Down by Law

Der britische Holocaust-Leugner David Irving klagt in London wegen Verleumdung.

Wenn nichts mehr geht, überhäufen Nazis ihre politischen Gegner meist mit Prozessen: publicity ist garantiert. Vor dem Londoner High Court geht es dieser Tage jedoch um weitaus mehr. Vor dem britischen Gericht soll darüber befunden werden, ob die Leugnung des Holocaust eine legitime Interpretation historischer Quellen neben anderen sein darf.

Der britische Holocaust-Leugner David Irving hat Klage wegen Rufschädigung gegen die US-Historikerin Deborah Lipstadt, Professorin für Jüdische Geschichte und Holocaust Studies an der Emory University in Atlanta, und den Penguin Verlag eingereicht. Der Prozess wurde bereits seit 1996 vorbereitet und wird voraussichtlich drei Monate dauern.

Lipstadt hatte Irving in ihrem 1994 in den USA erschienenen Buch »Denying the Holocaust«, einer historischen Chronologie der Holocaust-Leugnung seit 1945, als »Hitler-Bewunderer« charakterisiert, »der Scheuklappen trägt, Dokumente verfälscht und Fakten unrichtig wiedergibt, um historisch unhaltbare Schlüsse zu ziehen, insbesondere, wenn es darum geht, Hitler zu entlasten«.

Gegen diese Beschreibung zieht Irving zu Felde: Das Buch sei das Produkt des Forschungsauftrags einer israelischen Agentur und weiterer jüdischer Organisationen. Lipstadt und Penguin beschimpft er als »Schurken«, die als Teil einer jüdischen Weltverschwörung seine Existenz bedrohen würden. Der Begriff »Holocaust-Leugner« sei ein »verbaler Gelber Stern« und »tödlich wie eine in den Hals gejagte Spritze Nervengas«. Er stilisiert sich zum Opfer und hofft darauf, sich das britische Recht zu Nutze machen zu können: Dort gilt bei Verleumdungsklagen die umgekehrte Beweislast.

Lipstadt und der Penguin-Verlag, der das Buch in Großbritannien publiziert hatte, müssen nun Punkt für Punkt die Wahrheit ihrer Aussagen über Irving belegen. Da in Großbritannien weder der Holocaust als juristisch »offenkundige« Tatsache gilt, noch die Verbreitung der »Auschwitz-Lüge« juristisch verfolgt wird, muss Lipstadt nun vor Gericht die »Offenkundigkeit« des Holocaust beweisen.

Irving, der sich selbst verteidigt, legte am ersten Verhandlungstag gleich richtig los: Der »Gas-Kammern-Holocaust« sowie die Existenz von Gaskammern in Auschwitz seien eine »große Lüge«. Früher schon hatte er verbreitet, dass »Auschwitz kein Vernichtungslager« gewesen wäre: »Ungefähr 100 000 Menschen starben in Auschwitz innerhalb von drei Jahren. Wenn wir großzügig sind und annehmen, dass etwa ein Viertel davon ermordet wurde, müssen wir auch bedenken, dass die Briten in einer einzigen Nacht 50 000 Deutsche umbrachten, als sie Hamburg bombardierten«, so Irving. Demzufolge sei der »Holocaust ein Propagandatrick der Briten« und die Gaskammern seien erst nach Kriegsende von den Alliierten oder von polnischen Kommunisten gebaut worden.

Wer davon profitiert haben soll, ist für Irving klar: »Wenn die Gaskammer-Legende zusammenbricht, was wird das für Israel bedeuten? Israel bekommt viele Millionen Dollar pro Jahr vom deutschen Steuerzahler (...) und von amerikanischen Steuerzahlern, die die Israelis immer noch ertragen, weil die Juden so gelitten haben«, unterstellt der Hitler-Apologet in antisemitischem Duktus.

Verdrehungen und Verharmlosungen sind eine Spezialität des Briten: Schon in seinem 1977 erschienenen Buch »Hitlers Krieg« hatte Irving behauptet, dass Hitler nie einen Befehl zur so genannten Endlösung unterschrieben und bis 1943 nichts von den Vernichtungslagern gewusst habe. Er sei von Goebbels manipuliert und die NS-Verbrechen seien - größtenteils ohne sein Wissen - von Handlangern ausgeführt worden. Auch Hitlers Antisemitismus hält Irving für weniger radikal, als es dem »gängigen« Hitler-Bild entspreche.

Wegen diesen Entlastungsversuchen verlor der selbst ernannte Experte für das »Dritte Reich« an Ansehen, das er bei vielen Historikern wegen seiner angeblich hervorragenden Sachkenntnis und Quellenarbeit bis dahin genoss. So bezeichnete der Historiker Gordon A. Craig Irving zwar als »Ärgernis«, räumte aber zugleich ein, »dass er mehr über den Nationalsozialismus weiß als die meisten professionellen Akademiker in seinem Feld«. Dies sagt viel über die damalige akademische Diskussion unter Historikern aus und wenig über die Legitimität von Irvings Positionen.

Nach »Hitlers Krieg« hat Irving etwa 20 weitere Bücher publiziert, in denen er seine Thesen zunehmend radikalisierte. Er avancierte zum Exponenten der internationalen Revisionistenszene und trat immer häufiger als Referent bei Veranstaltungen der extremen Rechten in der BRD auf. Neben engen Kontakten zu dem mittlerweile verstorbenen Neonazi Michael Kühnen, war er gern gesehener Gast bei Veranstaltungen von DVU, NPD und anderen.

Spätestens 1988, mit dem Prozess in Kanada gegen den Neonazi Ernst Zündel, der damals wegen Holocaust-Leugnung verurteilt wurde, entwickelte sich Irving endgültig zum Auschwitz-Leugner. Der damals von Zündel als Entlastungszeuge präsentierte Fred Leuchter, der sich als Ingenieur ausgab, legte ein »Gutachten« vor, das beweisen sollte, dass in Auschwitz keine Vergasungen stattgefunden hätten. Irving, der in dem Prozess aussagte, dass es keinerlei Beweise für den Holocaust gäbe, war von dem so genannten Leuchter-Report so angetan, dass er ihn fortan selbst vertrieb.

Das reicht, meint man, um einen gerichtlichen Erfolg Irvings ausschließen zu können. Zumal die von Lipstadt und dem Verlag aufgebotenen Historiker Irvings Thesen gründlich auseinandernehmen werden. Dies würde für Irving die Demontage und Diskreditierung seines Werkes nach sich ziehen. Sollte er aber auch nur in Teilen Recht bekommen, kann er das propagandistisch ausschlachten und seine Ansichten als richterlich legitimiert präsentieren.

Seiner Opferstilisierung kommt ein aktueller Auslieferungsantrag des Amtsgerichts Weinheim an die britischen Behörden gerade recht. Der mittlerweile in Deutschland und anderen Staaten mit Einreiseverbot belegte Irving hatte mit seinen antisemitischen Geschichtsklitterungen 1990 bei einer Veranstaltung des damaligen NPD-Vorsitzenden Günther Deckert in Weinheim geglänzt. Deckert, der den Vortrag damals übersetzte, sitzt unter anderem deswegen bis heute im Gefängnis. Irving hingegen könnte Glück haben: Der Vorwurf der Volksverhetzung gegen ihn wird im September verjähren.