Bundeswehr, ganz privat

Auf Anregung von Verteidigungsminister Scharping dürfen 33 Konzerne die Truppe für sich zum Sparschwein machen.

Man kann ziemlich sicher sein: Mit dem Millennium werden sich viele Wunder ereignen. Schon heute gibt es untrügliche Zeichen dafür, selbst in einer so diesseitigen Glaubensgemeinschaft wie der Bundeswehr. Noch im Frühjahr hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) in Geld- und Ideennot 21 Schöngeister zu Hilfe gerufen, die ihm in einer »Zukunftskommission« bis September 2000 Bild und Struktur einer irgendwie neuen Bundeswehr entwerfen sollten.

Zum Klub der toten Dichter gehörten neben Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker unter anderen Zeit-Herausgeber Theo Sommer, der philosophische Theologe Richard Schröder, Ex-DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière und drei Ex-Generale. Vorweihnachtliche Ereignisse lassen nun endgültig die Vermutung aufkommen, dass die Herren, die ihre Plan-Papiere plötzlich schon zu Ostern abgeben sollen, in ihrer Runde vor allem eine Art kollektiver Selbstbefriedigung praktizieren. Denn die Kommission - ursprünglich von den Grünen gefordert - ist längst überflüssig geworden.

Spitzenmilitärs lassen Grobskizzen einer neuen Bundeswehr mit 200 000 Zeit- und Berufssoldaten sowie nur noch 85 000 Wehrpflichtigen in die Medien durchsickern. Scharping kündigt den 400 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz »Shilo« in der kanadischen Provinz Manitoba, den die Bundeswehr seit 25 Jahren für die Ausbildung von Panzertruppen genutzt hatte. Bundeswehrkrankenhäuser sollen geschlossen, die Zahl des Sanitätspersonals um 25 000 zurückgefahren werden - mit einer Personalkostenersparnis von 850 Millionen Mark.

Ein halbwegs vollständiges Bild dieses scheinbar wirren Ideenmosaiks präsentierte der Verteidigungsminister in Berlin zwei Tage vor Heiligabend in einer Art Staatsakt. Zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichneten an jenem Mittwoch die Spitzen von 33 Konzernen den Rahmenvertrag »Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr«. Mit von der Partie unter anderem die Telekom, Blohm und Voss, Alcatel, DaimlerChrysler Aerospace, VW, BMW, die Deutsche Bank, Krauss-Maffei Wegmann, MAN, Diehl, Rheinmetall, Siemens, Thyssen, ja selbst Microsoft.

Ausgehandelt wurde das brisante Papier zwischen Bundeswehr und Industrie in sieben Gesprächsrunden von September bis Dezember 1999 in aller Ruhe, ohne das bei Atomausstieg oder Sparpaket gewohnte Gezeter. Das Ergebnis ist nach Ansicht Schröders eine »strategische Partnerschaft« zwischen Militär und Wirtschaft. Dabei gehe es darum, die weltweit anerkannte Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft endlich auch für die Bundeswehr nutzbar zu machen. Dadurch würden die Streitkräfte bald auch mehr Freiraum für Investitionen erhalten, so Schröder in Berlin.

Genau das ist der Kern. Die Konzerne sollen der Truppe laut Vertrag helfen, Organisation und Betrieb der Bundeswehr »strikt an den Kriterien Wirtschaftlichkeit und Effizienz« zu orientieren. Dabei wird die Bundeswehr am Ende von allen Aufgaben entlastet werden, die nicht zu den »militärischen Kernfähigkeiten« gehören. Das könne durch Privatfirmen billiger und zügiger erledigt werden. Wenn die Wirtschaftsbosse dieses besondere »Bündnis für Arbeit« clever anpacken, können sie sogar zweifachen Gewinn aus dem Deal ziehen. Zum einen erschließt sich ein krisensicherer Markt für gut bezahlte Dienstleistungen, zum anderen kann jede im Verteidigungshaushalt eingesparte Mark für lange aufgeschobene Rüstungskäufe bei der Industrie ausgegeben werden. Das ist keine Kann-Bestimmung. Es ist Vertragsziel, die hoch entwickelten »technologischen Kapazitäten« der Wirtschaft in Zeiten der Globalisierung »auch durch Unterstützung der Investitionsfähigkeit der Bundeswehr« zu erhalten.

Die in den letzten Monaten zusammengetragenen Ideen sollen in einer ersten Phase in 14 Pilotprojekten erprobt werden. Der Phantasie der Industrie wurden hierbei offenbar nur da Grenzen gesetzt, wo sie am liebsten gleich noch Soldaten und Generalstab gestellt hätte. Vielleicht wäre andernfalls diesen Dezember eine BuWeAG, eine Bundeswehr Aktiengesellschaft, von Schröder und Scharping präsentiert worden.

Viel fehlt da nicht mehr. Leasingfirmen sollen der Truppe nicht nur die Wäsche stellen und säubern. Selbst ihre Jet- und Hubschrauberpiloten wird die Luftwaffe zum Teil bei der Industrie ausbilden lassen. Militärische Flugsimulatoren werden dafür künftig von der Industrie betrieben werden. Das nennt man Outsourcing. Im Wehrbereich Hannover werden Privatfirmen die »regionale Friedensversorgung« mit allen Verbrauchsgütern übernehmen. Selbst brisante Militärgüter wie Munition sind hier nicht mehr tabu. U-Boote werden von den Herstellerwerften betreut. Das umfasst nicht nur Instandsetzungen, sondern auch Training der Besatzung und Ersatzteilversorgung. Privatfirmen sollen den nichtmilitärischen Fuhrpark der Bundeswehr zur Verfügung stellen. Testziel im Wehrbereich Hannover ist vorerst die effiziente Nutzung von Bussen, Pkw und Lkw der Truppe sowie die mögliche Nutzung durch Dritte. Geschaffen werden sollen durch die Industrie moderne Kommunikations- und Datennetze, die aus Kostengründen ebenfalls an andere zahlende Nutzer vermietet werden können. Computer werden nur noch geleast.

Selbst der Betrieb des Gefechtsübungszentrums Colbitz-Letzlinger Heide soll im Rahmen eines privaten »Betreibermodells« die Betriebskosten minimieren. Und hier schließt sich der Kreis langsam wieder, denn in der Heide bei Magdeburg ist in den letzten fünf Jahren von DaimlerChrysler Aerospace und STN-Atlas Elektronik ein hochmoderner Übungsplatz für Panzer und andere Heereseinheiten gebaut und eingerichtet worden, der die erwähnten kostspieligen Exkursionen ganzer Panzerbataillone nach Kanada schlicht überflüssig werden lässt. Die Bundeswehr hat der Umbau dieses 232 Quadratkilometer großen Geländes bislang 1,2 Milliarden Mark gekostet.

Einziger Wermutstropfen für die Firmen: Nach Scharpings Worten werden künftig keine Entwicklungskosten mehr aus Bundesmitteln gezahlt. Allein beim Prestigevorhaben Eurofighter waren über die Jahre acht Milliarden Mark geflossen. Jetzt soll es Milliarden erst bei Lieferung von Waffensystemen geben. Der Minister, der den Pakt mit der Wirtschaft in diesem Jahr persönlich angeregt hatte, erwartet aber gleichzeitig, dass durch die Hilfe der Firmen Entwicklungs- und Beschaffungszeiten für Waffen von 15, manchmal gar 20 Jahren, auf fünf bis sieben Jahre verkürzt werden.

Die jährlichen Einsparungen der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft sollen für die Bundeswehr vorerst bei 200, vielleicht 300 Millionen Mark liegen. Von Knight Wendling Consulting und den Spediteuren Kühne & Nagel erstellte Studien sehen bei konsequenter Privatisierung aller nichtmilitärischen Bereiche in der Truppe Einsparungen von 15 Milliarden Mark als durchaus machbar. Genug Geld, um den von Scharping beklagen »Investitionsstau« von 20 Milliarden Mark bei Transportflugzeugen, Hubschraubern und für Aufklärungssatelliten bald abzubauen. Für die so genannte Zukunftskommisson wird da im nächsten Jahr wohl nur noch die Aufgabe bleiben, die Wehrpflicht wieder mal als unverzichtbares Aushängeschild der deutschen Demokratie zu preisen.