Kein Ossi! Nirgends!

Ost-Identität muss dekonstruiert werden. Darum: Diss den Ossi!
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Schon ihn nicht, den Ossi, sag ihm, dass er stinkt, sag ihm, dass er hässlich ist und es im Bett nicht bringt!

Im Ernst! Man darf denen nix durchgehen lassen, den Ossis? Wieso Klassenkampf? Welche Klasse bilden denn die Ossis? Keine. Eben. Nicht die vermeintlichen Ossi-Hasser definieren den ehemaligen DDR-Bürger als ethnische Gruppe, nicht sie verknüpfen Soziales mit Nationalem - es sind die Ossis selbst. Sie sind es auch, die nicht mehr bereit sind, so genannte Klassenwidersprüche wahrzunehmen. Das Ossi-Wir relativiert soziale Identitäten von mittelständischen Unternehmern, Lehrerinnen oder Arbeitslosen. Darum ist es notwendig, Ossis zu dissen. Und zwar nicht, um sie als Menschen zu disqualifizieren, sondern als Ostler. Es geht darum, die Ost-Identitätsbildung zu dekonstruieren, denn sie ist repressiv und bedrohlich für Nichtdeutsche und Linke.

Man kennt das. Wenn Bevölkerungsgruppen wegen zugeschriebener kultureller oder ethnischer Identitäten unterdrückt werden, folgt im Gegenzug nicht selten ein besonderer Nationalstolz der Verfolgten. Wir haben das bei den Kurden erlebt, den Basken, den Iren, zum Teil auch bei südamerikanischen Befreiungsbewegungen. Befreiungsnationalismus hat noch immer dazu geführt, dass sich die Bewegungen entpolitisiert oder zumindest linke Positionen verlassen haben. Nicht umsonst sehen wir diesen Nationalismus heute kritisch. Trotzdem unterscheidet sich selbst dieser antiimperialistische Nationalismus der Opfer immer noch vom Nationalismus der Täter. Ostler sind eben keine Opfer. Sie werden nicht als Ostler unterdrückt oder diskriminiert, sie leiden keinen Hunger, man sperrt sie nicht in Hometowns, man verbietet ihnen nicht das Sächseln. Man lässt sie sogar weiter ihre Trabbis fahren, obwohl das aus ökologischen Gesichtspunkten eigentlich tabu sein müsste. Wenn sich in Ostdeutschland jemand wegen ethnischer Verfolgung zusammenschließen muss, dann höchstens Vietnamesen, Türken oder Afrikaner. Gegen die Ostler!

Natürlich gibt es Ost-West-Ungerechtigkeiten: ungleiche Löhne und Renten. Dagegen muss man protestieren. Aber rechtfertigt das die Konstruktion einer nationalen Volksgemeinschaft? Die Antwort lautet natürlich Nein. Im Gegenteil. Da, wo sich Ossis zur Opfergemeinschaft zusammenschweißen, verbindet sie nichts mehr als ihre nationale und historisch-kulturelle Identität. Alles Böse der Welt wird als von außen kommend wahrgenommen. Das ist der Boden des Rassismus. Wenn sich Ostler zusammenschließen, dann hat das nichts mit dem Befreiungsnationalismus der Kurden zu tun, sondern mit ihrem Deutschsein. Als Ossi kann man nach Westdeutschland reisen, nach Spanien oder Vietnam - unbehelligt. Aber Linke und Ausländer, manchmal sogar schon Wessis, müssen Angst haben im Osten.

Jede Relativierung der Zustände im Osten kommt dabei einer Verharmlosung gleich. Es ist wirklich so schlimm! Eine einzige Zugfahrt von Fürstenwalde nach Berlin oder durch Mecklenburg-Vorpommern oder der Besuch einer beliebigen Disko in Ostsachsen oder einer Tankstelle im abendlichen Harz beweist diese Aussage.

Der Verweis auf die hohen Wahlergebnissse rechtsextremer Parteien in Italien oder Frankreich ist eine Relativierung. Wahlergebnisse sind das eine. Aber der deutsche Faschismus hat seine Spezifität. Er ist mit einem erbarmungslosen Vernichtungswillen gekoppelt. Die Pogromstimmung in den Straßen findet nur zum Teil ihren Ausdruck beim Stimmverhalten in der Wahlkabine. Und anders herum.

Beim Ossi-Dissen geht es nicht darum, den Konsumwillen von Ostlern zu diffamieren, sondern den Ossi als Identitätshuber. Es geht darum, dem Ossi zu sagen: Nein, du bist nicht vor allem Ossi, Wendeverlierer und Krisenopfer, sondern du bist genauso blöd und konsumgeil wie wir Wessis. Die Einbindung in kapitalistische, patriarchale und rassistische Strukturen, die Frage danach, wo wir Unterdrücker und wo wir Unterdrückte sind, ist der Ausgangspunkt, an dem wir beginnen können, uns zusammenzuschließen - nicht unsere Rolle als Deutsche, Ostler oder Westler.

Erst wenn sich der linke vom rechten, der antirassistische vom rassistischen, der ausgebeutete vom ausbeutenden Ostler distanziert, wenn er seine Ost-Identität ablegt, kann es Perspektiven für linke Politik geben. Diese Distanzierung muss man den Ossis schmackhaft machen.