Üben für das Reich

Der Stahlhelm, früher reaktionäre Sammelorganisation für deutsche Soldaten, entwickelt sich zur Kämpferschmiede für Neonazis.

Hier einen Orientierungslauf, dort einen theoretischen Vortrag und manchmal auch eine praktische Schießübung - rechts zu sein kann viel Abwechslung mit sich bringen. Auch im "Alten Land".

Hier, an der Landesgrenze von Niedersachsen zu Hamburg, in Jork-Klein Hove (Landkreis Stade) befindet sich das zentrale Schulungszentrum des Stahlhelm / Kampfbund für Europa e.V. Seit Jahren unterhält die Organisation auf dem 22 000 Quadratmeter großen Anwesen in der Klein Hofer Straße ihr Franz-Seldte-Haus. Umzäunt und verdeckt von hohen Tannen klärt "Bundesführer" Günter Drückhammer die Kameraden über die Tugenden des Soldatentums und die Leistungen der Wehrmacht auf. Sein Sohn Kai-Uwe, "Bundesjugendführer" und "Landesführer Niedersachsen", führt sie in den Umgang mit der Waffe ein.

Seit 1996 fungiert Drückhammer als Bundesführer. Und seither erläutert er seine politischen Vorstellungen: "Das oberste Ziel des Stahlhelms ist die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in seinen historischen Grenzen." Angestrebt werde auch "die Wehrkrafterhaltung der deutschen Jugend" und die Gegenwehr zur "seit 1945 planmäßig betriebenen Überfremdung unseres politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens".

Bereits 1951 belebten deutsche Veteranen der beiden Weltkriege den Verein wieder, der in der Tradition des Namensgebers ihres Hauses, des NSDAP-Arbeitsministers Franz Seldte, steht. Seldte hatte den Stahlhelm 1918 für die Veteranen des Ersten Weltkrieges gegründet. In der Weimarer Republik gehörte die Organisation zu den bedeutendsten militaristischen Vereinigungen und spielte eine zentrale Rolle im Kampf gegen den demokratischen Staat. 1933 gliederte sein Gründer den Stahlhelm freiwillig in die SA ein. Nach 1945 war der Verein ein Forum für alte Frontkämpfer, die in Kriegserinnerungen schwelgten. Ab den siebziger Jahren gingen sie auf die extreme Rechte zu und gewannen neben anderen den Chef der Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl-Heinz Hoffmann, als Gastredner.

Heute bestehen im süddeutschen Raum enge Beziehungen zur NPD und in Norddeutschland zur Artgemeinschaft / Germanische Glaubensgemeinschaft. Zur Sonnenfinsternis reiste diese Organisation sogar in die Pfalz, zum zweiten Schulungszentrum des Stahlhelms, dem Pfälzer Stahlhelm-Heim am Potzberg bei Altengan. Dieses Heim wird vom "zweiten Bundesführer" und "Landesführer Rheinland-Pfalz", Hans-Jürgen Hertlein, geleitet.

In beiden Zentren soll "jeder Kamerad befähigt werden, eines Tages zu befehlen und zu führen", schreibt Kai-Uwe Drückhammer in einem internen Rundbrief. Den 36jährigen ehemaligen Bundeswehr-Oberfeldwebel, der als Schleifer gilt, treibt der Ehrgeiz, aus laschen Skinheads wehrfähige Soldaten zu machen. Nach bestandener "Wehrsportprüfung" zeichnen einmal im Jahr, am 20. April, Vater und Sohn Drückhammer die Kameraden mit dem "Wehrsportkreuz" aus. Am Geburtstag Adolf Hitlers - "offizieller" Gedenktag des Stahlhelms - erhielt 1998 auch Stefan Bliesner aus der militanten Tostedter Neonazi-Szene das Ehrenzeichen in Bronze.

Dass der Wehrsport keine Trockenübung ist, bewiesen bereits etliche der rund 100 Mitglieder des Vereins. Den Jungstahlhelmer Roman Greifenstein verurteilte das Amtsgericht Soltau 1998 wegen eines brutalen Überfalls auf eine Party in Celle zu einer Haftstrafe von 18 Monaten. Gegen weitere Vereinsmitglieder laufen derzeit Ermittlungsverfahren wegen Land- und Hausfriedensbruchs. Untersucht werden auch Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz. Im Januar und März vergangenen Jahres fand die rheinland-pfälzische Polizei bei Hausdurchsuchungen zahlreiche Maschinenpistolen, Minen, Sprengsätze, Gewehre, Munition und eine Panzergranate.

Aussteiger des Vereins berichten von einer zunehmenden Militanz der Truppe um den zweiten Bundesführer Hertlein. Fast jedes Mitglied soll inzwischen eine eigene Maschinenpistole besitzen. Bei der letzten Silvesterparty des Pfälzer Stahlhelm-Heims riefen Anwohner nach Schüssen die Polizei. Auf dem diesjährigen Sommerfest übten auf dem Gelände Männer, Frauen und Kinder das Schießen mit vollautomatischen Waffen. Nach Ermittlungen der Kriminalpolizei liefert der Stahlhelmer Josef Sutter aus Kreimbach-Kaulbach die Waffen für die Truppe. Bereits 1995 erschoss der saarländische Landesführer, Wolfgang Fritschi, seine ehemalige Lebensgefährtin.

Über das Vereinsblatt Der Stahlhelm werden die Mitglieder aufgefordert, ihre Kinder im vereinseigenen Scharnhorst-Bund deutscher Jungen und Mädchen anzumelden. Es bleibt nicht bei der Aufforderung: Im Sommer 1999 veranstaltet Kai-Uwe Drückhammer ein Biwak mit 30 Kindern ab zwölf Jahren an der Ostsee. Dort marschieren sie mit Plastikgewehren, üben aber auch das Bedienen echter Waffen und "bewährte Tricks im Gelände, die unsere Väter anwendeten". So berichtet es zumindest der Bundesjugendführer.

Der Stahlhelm ist fest in der Hand der Familie Drückhammer: Anke Drückhammer, die Schwiegertochter des "Bundesführers", betreut das "Amt für Information und Werbung" im Franz-Seldte-Haus. Dort ist auch die Redaktionsadresse des Stahlhelm und der Sitz des organisationseigenen Devotionalienverbands "Der Stalhof".

Zwar bestätigte der Bundesinnenminister in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion, dass der Stahlhelm eine rechtsextremistische Gruppierung mit "antisemitischem und revisionistischem Gedankengut" sei, die "militärische Aktionen" durchführe. Da der Verein aber "bundesweit unbedeutend" sei, werde er seit 1975 nicht mehr im Bundesverfassungsschutzbericht erwähnt. Dies sei Ländersache von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz.

Doch weder durch die Waffenfunde in Rheinland-Pfalz noch durch Verbotsforderungen - wie die der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) - sehen sich die niedersächsischen Staatsorgane genötigt zu reagieren. Oberstaatsanwalt Helmut Bleh aus Kaiserslautern beklagt sogar die mangelnde Zusammenarbeit mit seinen norddeutschen Amtskollegen.