Der coole Spice

Sie sind die erfolgreichste Girlgroup aller Zeiten und jetzt wandeln sie alle auf Solo-Pfaden. Fast alle. Wie hört sich das an? Haben sie Visionen? Konnten wir das ahnen? Wie sind sie wirklich?

Mel C

Dies ist Mel C, ohne sie sind die Spice Girls nicht denkbar. Ihre Eltern tauften sie Melanie Jayne Chisholm, ihre Fans kennen sie als Sporty, jahrelang trug sie nichts weiter als einen Trainingsanzug. Jetzt hat sie eine Platte veröffentlicht.

Musik: Ein Soundgeröll, errichtet auf den Säulen und zwischen den Trümmern von Madonna, Slayer, Blur und den Beatles. Es produzierten William Orbit, Rick Rubin und Marius De Vries. Angenehm angerauter Gitarrenpop für Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen.

Auftreten: Kurzhaarfrisur zu Jeans und Unterhemd mit Spitzen-Applikation. Ein sehr interessantes Angel-Tattoo in der Bauchnabelgegend. Zur Imagepflege geht sie anscheinend mit Lastwagenfahrern Bier trinken.

Vision: vorhanden. Mel C zeigt soziales Engagement. Sie ist gegen Obdachlosigkeit: "I couldn't live without my phone / you don't even have a home." Wer könnte diesen Zeilen widersprechen?

Mut: sehr groß: Sie zeigt sich mit Bryan Adams in gemeinsamen Videoclips. Doch ansonsten ist ihre Unangepasstheit nur angetäuscht. Sie erscheint immer pünktlich zur Arbeit.

Vorhersehbarkeit: Damit konnten wir nicht rechnen. Fassungslos stehen wir vor diesem reichen Werk.

Mel C.: "Northern Star". Virgin.

Emma

Dies ist Emma, ohne sie sind die Spice Girls nicht denkbar. Ihre Eltern tauften sie Emma Lee Bunton, ihre Fans kennen sie als Baby, jahrelang dachte man, sie trage einen Schulranzen. Jetzt hat sie eine Platte veröffentlicht.

Musik: Covert mit der Band Tintinout den einzigen Hit von Edie Brickell & the New Bohemiens, jener Band aus den Achtzigern, die einst Plattenfirmenstrategen als Jule Neigel für den Weltmarkt konzipierten - lange Haare, lange Röcke und lange Duftkerzen. Nicht geschmackssicher, aber unerhört ausgefallen.

Auftreten: In dem Video gibt es eine Badewanne. Need we say more?

Mut: groß. Sie versteckt sich hinter der Anonymität eines Bandprojekts mit ausgesucht schlechtem Namen. An verschiedenen Fronten ringt sie mit ihrem Image: Sie unterzog sich einer strengen Abmagerungskur. Freundinnen und Freunde von Pausbackigkeit und Babyspeck werden unangenehm auf die Probe gestellt.

Vision: Will eigentlich ein normales Leben führen. Dem steht aber Bekanntheit und Geld entgegen. Wie kommt sie da wieder raus?

Vorhersehbarkeit: Damit konnte man rechnen.

Tintinout: "What I Am". Virgin.

Mel G

Dies ist Mel G, ohne sie sind die Spice Girls nicht denkbar. Ihre Eltern tauften sie Melanie Janine Brown, ihre Fans kennen sie als Scary, seit Jahren streckt sie die Zunge heraus. Jetzt hat sie einen Song veröffentlicht.

Musik: Hochleistungs-R & B-Perlen, aus den vergoldeten Hitfabriken von Timbaland und Missy Elliott. So macht man nichts falsch. Es sei denn, der Mann an den Reglern hat morgens seine Socken falschrum angezogen. Dann gehen selbst Coverversionen von "Word Up" in die Wäsche (siehe: Austin Powers).

Auftreten: Streng. In dem modernen Video zu "I Want You Back" sieht man die Farbe Blau, weiße Kleidung, rostigen Stahl und einen gefesselten Mann.

Mut: groß. Keine Angst vor Klassenschranken, heiratete einen prekär Beschäftigten, nämlich einen schlecht bezahlten Spice Girls-Tänzer.

Vision: Du darfst, Just Do It.

Vorhersehbarkeit: Damit durften wir, nein, damit mussten wir rechnen.

Mel B.: "I want you back". Virgin; "Word Up". O.S.T. Austin Powers. Maverick (Warner).

Victoria

Dies ist Victoria, ohne sie sind die Spice Girls nicht denkbar. Ihre Eltern tauften sie Victoria Addams, ihre Fans kennen sie als Posh, jahrelang war sie die Zicke aus gutem Hause. Jetzt hat sie geheiratet.

Musik: Veröffentlichte kürzlich ihren Sohn Brooklyn. Privat singt Victoria die Carmina Burana, weil es zur Einrichtung ihrer 28-Zimmer-Villa passt. Wenn sie mit Ehemann Dave seine Sammlung Schweizer Armbanduhren sortiert, hören sie in Zimmerlautstärke "You'll Never Walk Alone".

Vision: Sie will werden wie Cher. Vorerst ist sie Oberhaupt der Addams Family.

Mut: begrenzt. Sie hat David Beckham geheiratet. Das will jeder. Sie hat ihn aber auch bekommen, damit ist sie die einzige.

Auftreten: verantwortungsbewusst. Aus Angst vor einer Lebensmittelvergiftung kippte sie zwanzig Flaschen eines Champagners des Jahrgangs 1979 ins Klo. Sie dachte, er habe sein Haltbarkeitsdatum überschritten.

Vorhersehbarkeit: Damit konnten wir nicht rechnen. Fassungslos stehen wir davor.

Geri

Dies ist Geri, ohne sie waren die Spice Girls nicht denkbar. Ihre Eltern tauften sie Geri Estelle Halliwell, ihre Fans kannten sie als Ginger, jahrelang trug sie fast nichts. Jetzt hat sie eine Platte veröffentlicht.

Musik: Für Hausfrauen, Schulkinder und Arbeitslose genau das Richtige. Sie kennt Paul McCartney, sie liebt James Bond. Alkoholisierte Friseurinnen singen ihre Lieder, wenn im Pub die Glocken läuten.

Auftreten: Erstaunlich - vollständige Wandlung vom habituellen Bimbo-Chick zur reifen Frau. Das gegenläufige Sounddesign schöpft souverän sämtliche Möglichkeiten der uninspirierten Unterhaltungskultur ab. Sound und Image kommen so zur einer spektakulär verzögerten Deckung, die nichts gibt auf Zeit und Raum. In diesem Sinne beinahe dialektisch.

Vision: Sei wie du bist!, Leben und sterben lassen, Morgen ist auch noch ein Tag.

Mut: Sie wagte den Weg in die Unabhängigkeit. Ein großer Schritt für sie, für uns hat er weniger zu bedeuten.

Vorhersehbarkeit: Damit durften wir nicht rechnen, fassungslos stehen wir vor diesem reichen Werk.

Geri Halliwell: "Schizoponic". EMI.

Fazit:

Von all den Acts, die ihre Haut unter der Peitsche des Verbrauchers zu Markte tragen, stürzt niemand tiefer als das Teen-Idol und niemand so tapfer. Auch Girl Groups haben es dabei nicht einfach. In welches Sicherheitsnetz können sie sich fallen lassen, wenn der Applaus verstummt? Bald schämen sich die Fans, sie einmal gemocht zu haben, bald ist jene Wonne vorüber, ein schreiender, kreischender Hohlkopf zu sein - die Ungnade folgt als frühes Schicksal. Nur im Schatten des Ruhms ist das Altern in Würde möglich.

Den Platz an die Sonne schafft bestenfalls eine - den Absprung zu weiterem Ruhm und verändertem Image. Emma wird es nicht sein. Emma wird es aber auch nicht wollen. Im Unterschied zu Mel G, die es ebenso nicht sein wird, so sehr sie auch danach strebt. Victoria ist es im Grunde schon, nur nicht als Sängerin, sondern sehr pragmatisch als die Hälfte eines Traumpaars.

Bleiben noch Mel C und Geri. Mel C muss mit ihrem Richtungswechsel logischerweise durchfallen. Sie inszeniert sich als rebellische Rockröhre, während sie gleichzeitig als Spice Girls unter Vertrag bleibt, was als Wendung derart sophisticated daherkommt, dass es niemand versteht, nicht einmal wir. Geri Halliwell jedoch thront über ihrer Vergangenheit, auf verblüffende Weise gehen erstaunliche Ungeschicklichkeit sowie grauenerregende Geschmacklosigkeit bei ihr jene heilige Allianz ein, die den großen Pop stiftet.

Ungeschicklichkeit ist notwendig für den Erfolg bei Kindern. Für Ungeschick steht Geris wiederholter Versuch, ansprechend zu singen und zu tanzen, Menschen, die auch noch nicht alles können, vergeben für sowas gern Sympathiepunkte. Die Geschmacklosigkeit hingegen ist entscheidend für den Erfolg bei Erwachsenen, unschwer lässt sie sich in Geris Wahl der Coverversionen erkennen. Auf der CD-Maxi zu "Lift Me Up" überzeugt sie mit Paul McCartneys "Live And Let Die". Mütter und Väter wissen das zu schätzen, denn hat man erst einmal Kinder, kann man sich Geschmack nicht mehr leisten.