Driss gedisst

Nach 25 Jahren im Innenressort wurde Marokkos Hardliner Driss Basri entmachtet.

Plötzlich ging es schneller als allgemein erwartet. Marokkos langjähriger "Superminister" Driss Basri, seit 25 Jahren ohne Unterbrechung auf das Innenressort abonniert und Hardliner Nummer eins in Sachen Repression, musste am Dienstag letzter Woche gehen. Kurz und kommentarlos verkündete ein Kommuniqué im staatlichen Rundfunk seinen Abgang. Der "Palast", die Umgebung des neuen Königs Mohammed VI., gab keinerlei offizielle Erklärung dazu ab.

Am 23. Juli war der alternde Monarch Hassan II. nach 38 Jahren despotischer Herrschaft gestorben, sein Sohn, Kronprinz Sidi Mohammed, trat die Thronfolge an. Damit waren nach allgemeiner Auffassung auch die Tage Basris gezählt (Jungle World, 32/1999). Mohammed, so hieß es, könne Driss Basri nicht verzeihen, dass der ihm in den frühen neunziger Jahren - damals war die Thronfolge noch offen - den jüngsten Sohn des Königs vorgezogen habe.

Obwohl zunächst eine rein persönliche Rivalität innerhalb des Palasts dazu geführt zu haben scheint, die Ära Driss Basri nach einem Vierteljahrhundert zu beenden, wird nicht ausgeschlossen, dass Mohammed VI. sich von der repressiven Politik seines Vaters verabschiedet. Tatsächlich hat der neue König zu Beginn seiner Herrschaft einige Zeichen für eine gewisse Liberalisierung gesetzt. Spektakulärstes Symbol dafür war Ende Oktober die Rückkehr des prominentesten marokkanischen Oppositionellen Abraham Serfaty nach Rabat. Der nunmehr 72jährige, nach eigener Beschreibung Marxist-Leninist und antizionistischer Jude, hatte 17 Jahre seines Lebens in marokkanischer Haft und acht Jahre im französischen Exil verbracht. Auf Einladung des Königs kehrte der alte Mann, der durch die erlittenen Folterungen an den Rollstuhl gefesselt ist, nach Marokko zurück.

Am Donnerstag vergangener Woche hat Serfaty in der spanischen Tageszeitung El Pais gefordert, Driss Basri wegen der zahlreichen "Verschwundenen" und Ermordeten des "Verbrechens gegen die Menschheit" anzuklagen. Basri solle genau wie Pinochet auf internationaler Ebene verfolgt werden. Die spanische Liga für Menschenrechte hat angekündigt, eine entsprechende Klage gegen Basri zu erheben.

Von einem Übergang Marokkos zu einem bürgerlich-liberalen, parlamentarischen System kann dennoch keine Rede sein. Dagegen spricht schon, wie der Wechsel im Innenministerium, offensichtlich ohne Konsultation mit dem Premier, vollzogen wurde. Ministerpräsident Abderrahman Youssufi von der sozialistisch-reformistischen USFP - deren Einbindung in die Regierung bereits vor zwei Jahren unter Hassan II. erfolgt war - befand sich in Paris auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale, als der wichtigste Mann des Kabinetts abgesägt wurde. Driss Basris Nachfolger wurden ebenfalls über den Kopf des Premiers hinweg ernannt. Es handelt sich um zwei Vertraute des 36jährigen Monarchen.

Der neue Innenminister Ahmed Midaoui war bereits weit im Innenministerium aufgestiegen, als Driss Basri ihn 1997 feuerte, weil Midaoui sich als Gouverneur der Nordprovinz Tanger bei seinem Vorgehen gegen den Cannabis-Handel viele Feinde gemacht hatte. Ihm zur Seite gestellt wird als Innen-Staatssekretär der 37jährige Fouad Ali El Himma, ein ehemaliger Klassenkamerad des neuen Königs am Collège Royal. Sein neu geschaffener Posten soll dazu dienen, den direkten Einfluss des Thronregenten auf das Innenministerium sicherzustellen.

Mohammed VI. will sich nun um eine der wichtigsten Angelegenheiten der marokkanischen "Innenpolitik" kümmern: den Konflikt um die 1975 und 1979 in zwei Etappen von Marokko besetzte Westsahara, wo Marokko gegen die von Algerien unterstützte Befreiungsfront Polisario kämpft. Bis zum 30. Juni 2000 soll der Konflikt nach dem Willen der Vereinten Nationen durch ein Referendum gelöst werden, bei dem die sahaurische Bevölkerung über die Frage des Verbleibs bei Marokko oder der Unabhängigkeit abstimmen soll. Bislang wurde dieser Prozess von Marokko immer wieder hinausgezögert.

Der erzwungene Abgang Driss Basris scheint auch in direktem Zusammenhang mit den "marokkanischen Südprovinzen" - so die offizielle Sprachregelung - zu stehen. Zum einen hatte Basri in der Woche vor seinem Rücktritt erklärt, das von der UN vorgesehene Referendum werde frühestens nach Ablauf von zwei oder drei Jahren stattfinden können, und damit die offizielle marokkanische Position international in Schwierigkeiten gebracht. Seine Entlassung ermöglicht es nun, das Problem vorerst unter den Teppich zu kehren.

Zum anderen scheint ein ungeklärter Brand, der am 29. Oktober einen Teil der Archive der politischen Polizei DST - deren Leitung Driss Basri Ende September aus den Händen genommen worden war - zerstörte, unmittelbar zur Absetzung des Dauerministers beigetragen zu haben. Nach Informationen, die am Donnerstag vergangener Woche die Pariser Tageszeitung Le Figaro publiziert hatte, verbrannten dabei Dokumente, die über den Verbleib von für die Westsahara-Politik bestimmten Geldern Aufschluss geben könnten. Bedeutende Mittel, die pro-marokkanischen sahaurischen Clanchefs für einen Propagandafeldzug zufließen sollten, sollen von Driss Basri und seinen Vertrauten in die eigenen Taschen umgeleitet worden sein.

Nach Angaben der spanischen Tageszeitung El Pais vom vergangenen Freitag will der neue Monarch den Austausch im Innenministerium nutzen, um einen Kurswechsel in der Westsahara-Politik einzuleiten. Damit sich Marokko auf Dauer die Oberhoheit über die Westsahara sichern kann, soll die sahaurische Bevölkerung eine territoriale Autonomie erhalten, inklusive einer eigenen, gewählten Regionalverwaltung. Im Gegenzug soll das UN-Referendum auf unbestimmte Zeit hinausgezögert werden.

Schließlich befinden sich auf dem Territorium riesige Vorräte an Phosphat, dem Grundstoff für Dünger, die Marokko lange Zeit zum weltweit größten Exportland des Rohstoffs gemacht haben.