Dinosaurier im Schlamm

Um die Macht auch bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 zu erhalten, inszeniert Mexikos Regierungspartei PRI ein bisschen Demokratie.

Der Dinosaurier unter den regierenden Machtkartellen unterzieht sich derzeit einer Frischzellenkur. An 70 Jahre Regierungszeit, dem derzeitigen Weltrekord, will die mexikanische Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) sechs weitere anhängen. Mit ihr laufen sich die Oppositionskräfte warm, um die "perfekteste Diktatur der Welt", wie sie das autoritäre, aber effiziente PRI-System gerne nennen, auf parlamentarischem Wege zu stürzen - oder zumindest an der Macht teilzuhaben.

Alles spricht dafür, dass Mexiko bis zur Präsidentschaftswahl am 2. Juli 2000 ein Machtkampf bevorsteht, der manche Kollateralschäden verursachen wird. Obwohl die Wirtschaftsdaten in Mexiko derzeit günstig aussehen, haben zwei Jahrzehnte neoliberaler Politik ein soziales Chaos verursacht, das noch nicht einmal die PRI leugnet. Die Reallöhne sind seit der Schulden-Krise 1982 um über 60 Prozent gefallen. Über die Hälfte der Mexikaner wird nach offiziellen Kriterien als "arm" eingestuft, etwa 20 Prozent sind "extrem arm". Während Unterernährung und Analphabetismus grassieren, haben die PRI-Elite und die mit ihr verbundene Unternehmen in die eigene Tasche gewirtschaftet und damit - oft auf illegale Weise - riesige Vermögen angehäuft.

Das Ergebnis dieser Politik ist ein explosives gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Mittlerweile agieren drei größere linksorientierte Guerilla-Organisationen, vor allem im ländlichen Süden. Viele soziale Bewegungen führen erbitterte Kämpfe - wie die Studierenden der nationalen Universität Unam (Jungle World, 34/99).

Um die Situation unter Kontrolle zu halten, greift die PRI zur Militarisierung ganzer Landstriche und zur selektiven Repression. So gab die gemäßigte linksorientierte Partei der Demokratischen Revolution (PRD) kürzlich bekannt, dass seit ihrer Gründung vor elf Jahren allein 644 ihrer Mitglieder ermordet worden sind. Selektiv ist diese Repression, weil meist nur Leitungsmitglieder der betroffenen Organisationen umgebracht werden; zugleich sucht die PRI immer wieder mit sozialen Versprechungen oppositionelle Bewegungen zu integrieren - und das mit einigem Erfolg.

Eine weitere Strategie des Machterhalts ist die kontrollierte Öffnung des einst monolithischen Einparteiensystems und der PRI selbst. In regimeloyalen Kommentaren wird dies als "Demokratisierungsprozess" bezeichnet. Es handelt sich jedoch dabei eher um eine Verteilung von Machtquoten, die den neu entstandenen Oppositionskräften zugestanden werden, um das System insgesamt zu stabilisieren, wie etwa der Politologe Luis Javier Garrido meint.

Dennoch ist nicht zu übersehen, wie weit die soziale Krise mittlerweile die Desintegration der PRI vorangetrieben hat. Offensichtlich wurde dies während des parteiinternen Rennens um die nächste Präsidentschaftskandidatur. Erstmals verzichtete der amtierende Präsident - derzeit Ernesto Zedillo - darauf, den PRI-Kandidaten in einer einsamen Entscheidung selbst zu bestimmen. Stattdessen sollen Vorwahlen die "Demokratisierung" der Partei glaubhafter machen.

Das Vorwahlgeplänkel aber ähnelte einer Farce. Die vier Bewerber beschuldigten sich gegenseitig der "Wahlfälschung", "Korruption" und "Manipulation" - Vorwürfe, wie sie normalerweise nur von der Oppositon zu hören sind - und diskreditierten damit gemeinsam ihre eigene Partei. Einer der Kandidaten, Humberto Roque Villanueva, charakterisierte seine drei Konkurrenten so: "Meine Rivalen in der PRI bilden eine zynische Dreifaltigkeit aus Dieben, Lügnern und korrupten, mittelmäßigen, feigen Marionetten, die von Ausländern trainiert wurden."

Am vorletzten Sonntag dann konnte sich Francisco Labastida durchsetzen. Die Opposition bezeichnet ihn als "Mann des Systems". Labastida hat eine lange Parteikarriere hinter sich und war zuletzt Innenminister. Er steht für Kontinuität, also weder für eine wirkliche "Demokratisierung" noch für die Rückkehr zur totalen Kontrolle. Für den Fall seines Wahlsiegs versprach er zwar den Kampf gegen den "brutalen Neoliberalismus" und die "beiden Hauptfeinde Mexikos: Armut und Korruption", doch darf man dies getrost als Populismus abtun. Labastida steht vor allem für die Weiterführung von Weltmarktöffnung und Privatisierungen, also für das bisherige Wirtschaftsprogramm, das er als Minister Anfang der achtziger Jahre mit entwickelt hat.

Trotz der internen Schlammschlacht konnte die PRI eine zeitweise befürchtete Parteispaltung verhindern. Sie geht geeint mit einem durch eine Vorwahl legitimierten Kandidaten in den Wahlkampf. An materiellen Ressourcen zum Stimmenkauf dürfte es ihr nicht mangeln. Allein Labastida soll während der Vorwahlkampagne 20 Millionen Dollar aufgewendet haben, eine Summe, die er beim Rennen um die wirkliche Macht vervielfachen dürfte. Hinzu kommen die staatlichen Sozialleistungen und Kreditprogramme, die während der Wahlkampfzeit traditionell entsprechend der politischen Loyalität verteilt werden, sowie die Unterstützung durch die Fernsehkanäle, die sich im Besitz von Familien aus dem PRI-Establishment befinden.

Mit dieser Rückendeckung hat Labastida gute Chancen. Zumal sich die parlamentarische Opposition in schlechter Verfassung befindet. Ein Wahlbündnis der konservativ-katholisch-neoliberalen Pan (Partei der Nationalen Aktion) mit der PRD ist bereits im September gescheitert. Abgesehen davon, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik der beiden Parteien schlecht zu kombinieren sind, haben dafür auch die Eitelkeiten ihrer Galionsfiguren eine Rolle gespielt, die beide unbedingt selbst kandidieren wollten.

Jetzt versuchen sie es getrennt. Für die PRD kandidiert zum dritten Mal der Ex-Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Cuauhtémoc C‡rdenas. Er zeichnet sich durch den Charme eines Kühlschranks und eine komplette Unfähigkeit zur öffentlichen Rede aus. Das lässt sich in der Öffentlichkeit zumindest als "Ehrlichkeit" verkaufen. Und so ist auch C‡rdenas Botschaft: sozialdemokratische Reformpolitik und Demokratisierung.

Die Pan hat Vicente Fox, den Ex-Gouverneur von Guanajuato, nominiert. Fox versucht, sich von seiner etwas angestaubten Partei abzuheben und präsentiert sich im "Laptop und Lederhosen"-Stil, der Moderne und Tradition verbinden will. In seinem grenzenlosen Opportunismus flog er kürzlich nach Kuba, um dem in Mexiko noch immer beliebten Fidel Castro die Hand zu schütteln. Anschließend kündigte er an, die katholische Nationalheilige Virgen de Guadalupe zu seinem Wahlkampfmaskottchen zu machen, was ihm aber von einer entsetzten Öffentlichkeit wieder ausgetrieben wurde.

Angesichts ihrer schlechten Aussichten gegenüber dem übermächtigen Labastida dürfte es Fox und C‡rdenas im Wahlkampf vor allem darum gehen, eine möglichst starke Position zu gewinnen, um anschließend eine Mehrparteienkoalition unter einem PRI-Präsidenten durchsetzen zu können, der dafür sorgen dürfte, dass alles so bleibt, wie es ist. Dies entspräche dem Konzept des "paktierten Übergangs zur Demokratie", dem die Führung der Oppositionkräfte anhängen, am besten.

Interessant dürfte indes werden, wie sich die außerparlamentarische Oppositon weiter entwickelt. Der Streik der Unam-Studierenden und die Unterstützung durch weite Teile der Bevölkerung trotz der Diffamierungskampagne der Medien, die in den Aktivisten drogenabhängige Mitglieder von Guerillagruppen erkannt haben wollen, ist dafür von großer Wichtigkeit. Die Bedeutung der Bewegung besteht darin, dass sie mit den autoritären Strukturen der Vergangenheit gebrochen hat und die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit durch einen radikalen Bruch mit dem herrschenden politischen System glaubwürdig zu machen versucht.

Dabei trifft sie sich mit den aufständischen Gruppen EZLN, EPR und ERPI. Während die EZLN noch immer auf den Dialog orientiert ist und die EPR sich nach Repressionsschlägen und internen Auseinandersetzungen in einer Phase der Konsolidierung befindet, ist kürzlich ein Dokument der ERPI aufgetaucht, das für das Jahr 2000 den bewaffneten Aufstand ankündigt.

Auch wenn dies nur der Wunschtraum einer im Grunde schwachen Gruppe von ein paar Hundert Guerilleros sein mag, zeigt es doch ebenso wie der Unam-Streik, dass sich Politik in Mexiko nicht auf Wahlen beschränken muss.