Die Basstler

Sie sitzen in ihren Studios und köcheln Musik auf ihren Fond herunter: Den Bass.

Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts fiel der Rock'n'Roll vom Himmel. Tausendmal ist seine Geschichte erzählt, und nur so viel ist hier von Belang: Bevor Elvis den neuen Sound millionenwirksam im Fernsehen mit einem Hüftschwung sexualisieren konnte, brauchte er einen Körper. Und den verlieh ihm der Rhythmus und der basierte auf dem Bass.

Anfang der Siebziger dann fiel Dub vom Himmel. Hundertmal ist auch seine Geschichte erzählt, und nur so viel ist hier von Belang: Dub kürzte Reggae auf seine Grundbestandteile herunter und schickte diese durch diverse Echokammern. Was blieb, waren Klänge, die durch die Echoräume wanderten, und der Bass.

Mitte der Neunziger schließlich fiel Stefan Bethke sein Waldorf-Pole-Filter auf den Steinfußboden und ging kaputt. Auch das ist schon ein paar Mal erzählt worden: Wunderbare Musik hat er unter dem Pseudonym Pole mit dem defekten Effektgerät produziert, das unvorhersehbar knackst, anstatt Klänge zu filtern. Ein weiteres Mal hat Bethke die alte Erzählung weitergesponnen, aus Defekten lasse sich der aufregendste Sound machen, wenn man die Geräte bloß anders benutze als vorgesehen. Nur soviel ist hier von Belang: Stefan Bethke ist der Begründer des Labels ~scape und der Prototyp des Basstlers.

Und diese Musik wiederum - um das vierte Viertel voll zu machen - wäre nicht möglich, wenn nicht irgendwann Anfang der Neunziger in England die Raver müde geworden wären und nach Musik verlangt hätten, die man hören kann, wenn die Droge an Wirkung verliert. Musik, die einen nicht aufregt, sondern abkühlt: Ambient oder Electronic Listening.

So. Und nun ist da diese Platte. "nek sanalet" heißt sie und ist von Kit Clayton, einem Software-Entwickler und Musiker aus San Francisco. "nek sanalet" kommt aus einer Indianersprache und heißt so viel wie "Welt der Wirklichkeit". Ob diese Referenz auf das Indianische den nomadischen Aspekt der Musik betonen soll, oder ob Clayton seine Wochenenden in Schwitzhütten verbringt - Titel sind ohnehin nur Schall und Rauch und übersetzen sich nie wirklich in Echo und Hall.

Auch Kit Clayton ist ein Basstler, wahrscheinlich ist er deshalb bei ~scape gelandet. Basstler sind Leute, die in ihren Studios sitzen, die nicht besonders viel Aufhebens machen um sich selbst - etwa wo sie herkommen oder Ähnliches -, die sich lieber in ihre Räume voller Equipment setzen und die mit wissenschaftlicher Akribie an der Weiterentwicklung des Dub arbeiten. Wobei sie den Eifer von autodidaktischen Privatgelehrten an den Tag legen. Eine Haltung, mit der sie alles verarbeiten, was ihnen über den Weg läuft. Kit Clayton setzt die Fundstücke dann neu zusammen und verfrachtet sie in neue sonische Räume.

Nun ist es nicht so, dass der Bass dieser Musik lauter oder tiefer wäre als in anderen Genres - der Umgang ist ein anderer. Der Bass drückt alles andere zur Seite. Es ist, als würden die Bassfrequenzen die anderen Klänge zersprengen und dann riesige Echokammern die Reste auffangen und hin- und herspielen. Mitunter wird diese Musik auch Urban Dub genannt, doch an Reggae erinnert sie nur entfernt. Mal läuft sie über einen Rhythmus, der mit Reggae verwandt scheint, aber darum geht es nicht.

Basstler wie Kit Clayton arbeiten nicht an Dub als Genre, so wie etwa HipHopper immer aufs Neue das Ich-heiße-so-und-so-und-das-sind-meine-Freunde variieren, auch nicht wie Bands, die sich an die verschiedenen Modelle der Rockgeschichte hängen, um dort ihre jeweiligen Versionen weißen Unbehagens am Lauf der Dinge herauszuschlagen - so etwas geht gegen das Prinzip des Frickelns und Herumbosselns. Den Basstlern geht es um die Methode. Um das Minimieren von Klängen, um die Abstraktion und um die noch ungehörten Klangräume. Und darum, bei aller Abstraktion, eben nicht den Körper zu vergessen, den Klangkörper, das, was man - in Ermangelung anderer Begriffe - "Wärme" nennt.

Basstler machen Musik, die eigentlich im höchsten Maße experimentell ist - denkt man, spürt es aber nicht. Denn im Unterschied zu dem meisten, was sonst unter Ambient oder Electronic Listening über die Ladentheken geht, opfert diese Musik nicht das, was irgendwann einmal, ungefähr Mitte der Fünfziger den Unterschied machte: den Körper der Musik - den Bass.

Die Geschichte lässt sich auch anders erzählen. Es war einmal ein Mann. Der arbeitete in einem Mastering Studio, das bis über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war. Es war einem Plattenladen angegliedert, und in diesem Laden bekam man Platten, die es sonst nirgendwo gab. Menschen aus aller Welt kamen dorthin, um sie zu kaufen und um dort das Mastern ihrer eigenen Produktionen in Auftrag zu geben, also die Vorlagen zum Pressen neuer Vinylscheiben herstellen zu lassen.

Der Laden hieß Hardwax, das Mastering Studio D & M, der Mann war Stefan Bethke, und über seinen Job lernte er alle möglichen Leute kennen. Viele seiner Kollegen, die dort tagaus, tagein die Vorlagen für Vinylplatten schnitzten, machten Musik und Stefan auch. Und die Musik, die sie dort machten, war eine ganz besondere, denn sie verband Techno- und Dub-Elemente, und das alles auf der Basis eines großen und runden Basses. Mitunter erlaubten sich die Musiker auch einen Scherz und ritzten einfach New York als Herkunftsort in ihre Scheiben, und da die Hüllen einfach grau waren, wunderten sich alle, die nicht eingeweiht waren, wie weit die da schon wieder sind in New York, und wie sehr man selbst wieder einmal zurückhängt.

Eine ganze Reihe der Basstler-Labore gruppieren sich rund um das Hardwax, und Main Street ist eins davon. Platte auf Platte wird von hier aus in die Welt geschickt. Und Moritz von Oswald und Mark Ernestus, die zwei Macher hinter dem Laden, dem Mastering Studio und den zahllosen Labels, sind ebenfalls typische Basstler. Höchst selten zeigen sie ihre Nasen her, Fotos von ihnen oder Interviews mit ihnen gibt es keine, sie sitzen lieber in ihrem Studio und lassen den Bass sprechen.

Die Ergebnisse sind allerdings weniger abstrakt als die des ~scape-Labels und wesentlich näher an den Vorgaben, aus denen der Basstler-Sound entstanden ist. Mal hört man da die Stimme des Reggaesängers Tikiman durch die Hallspiralen mäandern, dann haben die Produktionen ein eindeutig vom Deep House inspiriertes Beatgerüst. Es ist auch weniger verspielt als das, was Kit Clayton aus seinem Klanglabor entlässt - und trotzdem. Die Main Street-Produktionen funktionieren über die gleiche Methode: radikale Minimierung aller Sounds, große Echokammern und ein mächtiger Bass.

Kit Clayton: "nek sanalet". ~scape / Efa

Burnt Friedman & The Nu Dub Players:
"Do not legalize it". ~scape / Efa

Main Street Records:
"Round One To Round Five". Efa