Organisierter Amokläufer

Zwei Tote, acht Verletzte - nach dem rassistischen Angriff eines Griechen auf Ausländer hat die Polizei die Einzeltäter-These entdeckt.

Seid ihr Kurden?" Die Frage kam von einem jungen Griechen und richtete sich an drei Männer in der Agisilaou-Straße im Zentrum von Athen. Als einer mit "Ja" antwortete, zog der Grieche ohne weitere Worte eine Schusswaffe und feuerte acht Mal auf seine ahnungslosen Opfer. Einer der Kurden starb noch am Tatort, die beiden anderen wurden schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Sie sollten in der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober nicht die letzten bleiben.

Pantelis Kazakos heißt der 23jährige rassistische Mörder, der vor drei Wochen insgesamt zehn Ausländer niederschoss - zwei seiner Opfer starben. Alle zehn Männer waren Kazakos, Security-Mitarbeiter beim griechischen Staatsfernsehen ERT, völlig unbekannt. Sie kommen aus Ghana, Bangladesh, Nigeria, Pakistan, Georgien, Ägypten und dem Osten der Türkei. Zum Verhängnis wurde ihnen ihre Hautfarbe.

Und eine wohl ebenfalls rassistische Fehleinschätzung der Polizei: Diese hatte zumindest in den ersten Stunden nach einem bewaffneten Albaner gefahndet und somit begünstigt, dass Kazakos mehr als acht Stunden ungehindert im Zentrum von Athen auf Ausländerjagd gehen konnte.

Nach dem Abschluss der ersten Untersuchungen - als Kazakos griechische Staatsbürgerschaft nicht mehr geleugnet werden konnte - wurde von einem "psychotischen, rassistischen Einzeltäter" berichtet. Und als habe man die Untersuchungsprotokolle der mehr als 200 rassistischen Morde der letzten zehn Jahre in Deutschland studiert, schob man in allen Erklärungen nach, dass "über Verbindungen zu rechtsradikalen Organisationen" keine Anhaltspunkte vorlägen.

Im Gegensatz dazu betonten mehrere AugenzeugInnen, dass Kazakos "mit bis zu zehn weiteren Personen" unterwegs gewesen sei. Seine Kollegen und früheren MitschülerInnen berichteten über Kazakos seit langem bekannte rassistische Einstellung und seine guten Kontakte zur neofaschistischen Organisation Chrisi Avgi (Goldener Tagesanbruch). Die Tageszeitung Elefterotypia veröffentlichte schließlich am 27. Oktober ein Archiv-Foto, das Kazakos Parolen rufend auf einer Chrisi-Avgi-Demonstration vom Februar 1996 zeigt.

Trotz dieser eindeutigen Hinweise auf die Verbindungen des Mörders zur organisierten rechten Szene beharren PolitikerInnen und Polizei auf ihrer Einzeltäter-These. Auf die sich häufenden rassistischen Übergriffe angesprochen, erklärte Regierungssprecher Dimitris Reppas, dass es sich in all diesen Fällen um "verwirrte Einzeltäter" handele: Ihre "rassistischen Ideen" hätten "nichts mit griechischer Kultur, Geschichte und Tradition" zu tun. Für Kazakos forderte er eine "harte, beispielhafte Bestrafung".

Das nun öffentlich zur Schau gestellte Entsetzen kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht zuletzt die Pasok-Regierung - unterstützt von zahlreichen Massenmedien - für das latent rassistische Klima in Griechenland verantwortlich ist. Durch den jahrelang propagierten Zusammenhang "Ausländer gleich Illegaler gleich Krimineller" wurde die Stimmung geschaffen, in der die derzeitigen rassistischen Übergriffe stattfinden.

Zuletzt hatte die Pasok-Regierung im Sommer ihr Ansehen bei den Wählern gesteigert, indem sie wochenlang AlbanerInnen verhaften und abschieben ließ. Täglich wurden Hunderte Menschen - von denen vermutet wurde, sie seien AlbanerInnen - kontrolliert und in Stadien gesperrt. Wer keine gültigen Papiere vorweisen konnte, wurde abgeschoben.

Auffällig ist auch der Umgang staatlicher Stellen mit der neofaschistischen Chrisi Avgi. So hatten zehn Mitglieder der Organisation unter den Augen der Polizei im Sommer 1998 versucht, drei linke Demonstranten in Athen mit Eisenstangen zu erschlagen. Mehrere Zeugen identifizierten die an dem Überfall Beteiligten als Faschisten. Sie hatten außerdem beobachtet, dass sich die Chrisi-Avgi-Mitglieder vor dem Angriff mit Polizisten unterhalten hatten, beide Seiten sprachen sich mit Vornamen an.

Einer, der damals identifiziert wurde, ist Antonis Androutsopoulos, Führungskader von Chrisi Avgi. Erst nach großem öffentlichem Druck, zwei Wochen nach dem Angriff, wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Zu seiner Verhaftung hat das bis heute allerdings nicht geführt, im Gegenteil: Androutsopoulos bewegte sich noch Wochen lang unbehelligt in Griechenland, gab Interviews und verließ schließlich mit unbekanntem Ziel das Land.

Trotz der verstärkten Forderungen nach einem Verbot von Chrisi Avgi und der Schließung ihrer Büros konnte die Organisation im Oktober 1998 einen internationalen Nazi-Kongress in Thessaloniki durchführen. Mehr als 400 Nazis aus Deutschland, der USA, Dänemark, Italien, Frankreich und Lateinamerika kamen zusammen. Geschützt von einem großen Polizeiaufgebot konnten sie drei Tage unbehelligt diskutieren. Zum Abschluss führten sie eine Demonstration in einem Vorort von Thessaloniki durch.

Bis heute kommt es immer wieder zu faschistischen Übergriffen gegen (vermeintliche) Linke und AusländerInnen, ohne dass jemals einer der Angreifer gefasst wurde. Die Vereinigung Diktio (Netz zur Verteidigung gesellschaftlicher und politischer Rechte) weist zudem darauf hin, dass einige rassistisch motivierte Morde von der griechischen Justiz gar nicht geahndet würden. So waren in den letzten beiden Jahren zwei Albaner wegen des Diebstahls einer Melone und eines Fahrrads erschossen worden - in beiden Fällen wurden die Täter vor Gericht unter dem Beifall des Publikums freigesprochen.

Große Teile der griechischen Bevölkerung scheint dies nicht zu stören, viele GriechInnen teilen auch den Rassismus des jetzt verhafteten Kazakos. In den vergangenen Tagen war immer wieder zu hören, "wenn er schon morden muss", hätte er sich doch "wenigstens Albaner" aussuchen sollen.

Die am 26. Oktober mit rund 5 000 TeilnehmerInnen bisher größte antirassistische Demonstration durch Athen blieb deshalb auch eine weitgehend Nicht-GriechInnen vorbehaltene Veranstaltung. Obwohl die Synaspismos (Linksallianz), die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) und der Gewerkschaftsverband GSEE aufgerufen hatten, beteiligten sich gerade einmal 400 GriechInnen.

Hinter dem Fronttransparent "Rassismus tötet - stoppen wir ihn" waren nur einzelne AthenerInnen von Diktio, anarchistischen, linksradikalen und ökologischen Gruppen auszumachen. Von den Parteien war einzig Synaspismos mit mehreren ParlamentarierInnen vertreten. Die DemonstrantInnen forderten den "Stopp der Abschiebungen", "Legalisierung aller hier Lebenden" und das "Verbot rassistischer Organisationen". DemonstrantInnen aus Bangladesh trugen ein Transparent mit dem hilflosen Spruch "Neun Millionen Griechen leben im Ausland". Vielleicht wäre die Aufschrift "Elf Millionen Griechen leben noch hier" besser gewesen.