Nicht regieren heißt mitregieren

Der 22. Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko) versuchte, sich von den großen NGOs abzugrenzen.

Das legendäre Ché Guevara-T-Shirt trug kaum einer der TeilnehmerInnen des 22. Bundeskongresses der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen (Buko), der am letzten Oktober-Wochenende in Hannover tagte. Doch nicht nur die Kleidung hat sich im Laufe der vergangenen Jahre verändert - auch die Themenpalette, mit der sich der Buko inzwischen beschäftigt, ist größer geworden. So debattierten die 300 VertreterInnen von feministischen, ökologischen, Flüchtlings- und Buko-Mitgliedsgruppen nicht nur über klassische Themen wie Schuldenerlass und Welthandel, sondern ebenso über die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg, die Ost-Erweiterung der Europäischen Union (EU), die Weltausstellung Expo 2000 und die Selbstorganisation von Flüchtlingen.

Der Tagungsort war Programm: Kein entwicklungspolitisches Thema stand im Mittelpunkt des Kongresses, sondern die in vier Foren - Weltwirtschaft, Soziales, Kontrolltechniken der Zukunft und "Dialog-Kultur" - gebündelte Kritik an der nächstes Jahr in der niedersächsischen Hauptstadt stattfindenden Weltausstellung. Ziel: "Perspektiven jenseits der schönen neuen Expo-Welt" zu entwicklen.

Die Chance der Linken, so Joseph Hierlmeier, Buko-Mitarbeiter mit Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft, in seinem Einleitungsreferat, liege darin, die Expo als Schaufenster zu begreifen, das den Blick auf die Zukunftsvisionen von Regierungen und Industrieunternehmen freigebe - und damit die Möglichkeit eröffne, deren technokratische Glücksversprechen zu kritisieren.

Durch die von den Expo-Machern verbreitete "Eine-Welt"-Ideologie, nach der wir alle in einem Boot sitzen, würden die ungleichen Machtstrukturen in Organisationen wie der Welthandelsorganisation WTO oder der Weltbank lediglich verwischt. Das Expo-Leitbild "There is no alternative" vermittele den Eindruck, es gebe keine Alternative zur kapitalistischen Globalisierung. Sparmaßnahmen, Rationalisierung und die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen avancierten so zu unhinterfragten Sachzwängen, kritisierte der Buko: Superstar der Expo sei die unsichtbare Hand des Marktes.

Doch nicht nur die klassischen Feinde nahm der Kongress ins Visier, auch die an der Expo teilnehmenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) standen unter Beschuss: Sie hätten ihre Politik in die Vorzimmer der Ministerien verlegt und beschränkten sich darauf, kritische Berater der rot-grünen Regierung zu sein. So kämen sie nicht umhin, staatsnahe Forderungen zu erheben, die ohnehin niemandem weh tun.

Wegen ihrer professionellen Organisationsformen und finanziellen Abhängigkeiten hätten sie nicht nur die klassischen Themen der Solidaritätsbewegung neu besetzt, sondern auch deren Inhalte verändert, meinte der Buko. Prägnantestes Beispiel: die Kampagne "Erlassjahr 2000". Die von Kirchen und namhaften NGOs getragene Kampagne - deren Aufruf allerdings auch vom Buko unterzeichnet wurde - forderte eine begrenzte Schuldenstreichung der ärmsten Länder. Und das, wo bis vor kurzem die bedingungslose Streichung der Auslandsschulden zum Standard in der "Dritte-Welt"-Szene gehörte.

"Früher hätte es in der entwicklungspolitischen Szene einen Aufschrei gegeben, wenn die Forderung nach Schuldenstreichung mit dem Interesse der deutschen Exportindustrie begründet worden wäre. Heute erntet man oft Unverständnis, wenn man dies nicht tut", erklärte Hierlmeier. Runde Tische, die Zustimmung zur Agenda 21 und andere konsensuale Politikformen jedoch kämen immer mehr in Mode. Demgegenüber wollen die Buko-Gruppen "selbstbestimmt" entwicklungspolitische Debatten führen und sich die Vielfalt ihrer Aktionsformen erhalten, um den Blick für Perspektiven jenseits der realpolitischen Alltagsarbeit von NGOs offenzuhalten.

Auch wenn die Kritik bei einigen TeilnehmerInnen dazu führte, schon bei dem Wort NGO die Augen zu verdrehen, so arbeitet in der Praxis auch der Buko mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Abgrenzung fällt da schwer in einer Zeit, wo Forderungen nach "freiem Bildungszugang für alle" oder einer "radikalen Demokratisierung der Gesellschaft" inzwischen selbst von den Vereinten Nationen oder der Weltbank unterschrieben werden - und sich das Wort "selbstbestimmt" auch in den Hochglanzblättern der Expo findet. Hier hat der Buko sein selbst gestecktes Klassenziel, Diskursverschiebungen sichtbar zu machen und die globalen Machtverhältnisse auf den Punkt zu bringen, nicht erreicht.

Zumindest ein Problem, das der Buko mit den NGOs teilt, sind die finanziellen Abhängigkeiten. So mussten die geplanten Seminare für das kommende Jahr erst einmal auf Eis gelegt werden, weil der Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik der Evangelischen Kirche (ABP), langjähriger Förderer des Buko, selbst mit Gelder-Kürzungen zu kämpfen hat.

Zu guter Letzt droht auch noch dem Internationalen Solidaritätsfonds (ISF) der Grünen - ebenso Teilfinanzier des Buko - der Abschuss. Die fünf Millionen Mark,

die die Partei 1984 an Europa-Wahlkampfkostenerstattung erhielt, ließ sie zu Gunsten der Dritte-Welt-Bewegung in einem Fonds anlegen. Seit 1985 unterstützte der ISF die internationalistische Arbeit mit den Zinserträgen aus diesem Vermögen.

Doch soll dieser Fonds nun ausgeschöpft werden, um die durch die grünen Wahlniederlagen verursachte Finanzmisere zu beheben. Der Partei liege nicht mehr viel an eigenständigen entwicklungspolitischen Gruppen, heißt es in der Begründung: Schließlich hätten sich parteieigene Organisationen wie die Heinrich-Böll-Stiftung selbst den Schwerpunkt Nord-Süd-Politik gesetzt. Darüber hinaus, so die Hoffnung der Menschenrechtskrieger, wird's Joseph Fischer schon richten. Heißt es in der Begründung doch: "Die Präsenz und die Bedeutung internationaler Politik bei Bündnis90/ Die Grünen spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass der Bundesaußenminister ein Grüner ist." Die Buko-Gruppen wollen ihren 23. Kongress Ende 2000 trotzdem abhalten - in der Bundeshauptstadt, mit den Schwerpunkten Weltwirtschaft und WTO.