Jutta Ditfurth

»Ich bekämpfe den Kapitalismus trotzdem«

Nicht Focus, nicht stern, auch nicht UZ oder Soz. Für ihre Abrechnung mit Joseph Fischer hat sich Jutta Ditfurth einen ungewöhnlichen Ort ausgesucht: die Neue Revue. Am 14. Oktober war "Zahltag". Seitdem werden die an Sex & Crime gewöhnten Leser der Neuen Revue über Geschichte, Strategie und Machenschaften der Grünen informiert. Liegt die Zukunft der linken Publizistik im Bauer-Verlag?

Am 4. Oktober startete Jürgen Drews seine neue Erotik-Show "Strip" auf RTL 2. Wer ist seine Assistentin? Dolly Buster, Maren Gilzer, Ramona Drews? Die Frage stammt aus dem Super Quiz der Neuen Revue. Wieso erscheint die "wahre Geschichte der Grünen" in diesem Blatt?

Ich arbeite seit 1980 als politische Journalistin. Seit Rot-Grün an der Regierung ist, habe ich faktisch Schreibverbot in Rot-Grün-nahen bürgerlichen Medien, am härtesten während des Krieges gegen Jugoslawien. Ich versuche, diese Blockade zu durchbrechen. Ich kläre darüber auf, dass die Grünen weder eine soziale noch eine ökologische Partei sind. Sie tarnen ihr Deutschnationaler-Werden im Mantel des Euro-Chauvinismus. Beispiele: Flüchtlings- und Asylpolitik, Zustimmung zum Krieg und zum deutschen Imperialismus. Die Grünen sind die Partei einer besonders enthemmten Fraktion des Bürgertums.

Oskar Lafontaines "Das Herz schlägt links" erschien zuerst in Springers Welt. Lafontaine erklärte, dass es keine linken Zeitungen mehr gebe, heute seien alle nur an Auflage interessiert. Heißt das, dass jetzt alles egal ist?

Nach Lafontaines Meinung müsst Ihr ihn fragen. Selbstverständlich gibt es kleine und kleinere linke Blätter wie konkret, ÖkoLinX. Auch Jungle World - trotz z.B. des Winnetou-und-Old Shatterhand-Titelbildes während des Krieges gegen Jugoslawien: pubertärer, postmoderner Müll. Mir geht's um folgendes: in linken Medien offene Auseinandersetzungen führen. Linke Analysen auch über Blätter mit größerer Auflage verbreiten. Erwerbsarbeiten: für Jungle World gratis, für den stern nicht.

Die Neue Revue will angeblich weg vom Schmuddel-Image. Im Heft macht sich das noch nicht so deutlich bemerkbar. Fühlst Du Dich nicht deplatziert zwischen Spekulationen über die "Akte Bubis", dem "Mädchen von nebenan" und "Dr. med. Mabuse"?

Ich fühle mich an vielen deutschen Orten "deplatziert". Es ist heuchlerisch, dass radikale Linke im Kampfblatt der Bourgeoisie, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schreiben "dürfen", in der Neuen Revue nicht. Ist das seriöser verkleidete Blatt harmloser? Die FAZ zieht rechts an der Bild-Zeitung vorbei. Und der Spiegel mit seinem Antisemitismus in Sachen Entschädigung der NS-ZwangsarbeiterInnen? Eine spießige "fein"/"unfein"-Bewertung hat mit linker Kritik nichts zu tun.

Deine Geschichte hat Aufsehen erregt, diskutiert wird lediglich darüber, wo sie erschienen ist. Ist Deine Strategie aufgegangen?

Auch Ihr interviewt mich nicht z. B. zu deutscher Außenpolitik, sondern zur Neuen Revue. Einige rot-grüne Medien reagieren so hysterisch, z.B. die Frankfurter Rundschau, als könnte ich allein ihre bekloppte Regierung stürzen. Die vielfältige gesellschaftliche Kritik an Rot-Grün spiegelt sich doch in den Medien überhaupt nicht wider. Ich versuche, mit einer gewissen Breitenwirkung linke Aufklärung über die gesellschaftliche Funktion der Grünen zu verbreiten. Nichts sonst. Das klappt.

Die Serie trägt den Titel "So grün war mein Traum". Erfüllst Du Dir mit der Veröffentlichung in einem Boulevard-Blatt nachträglich den Traum von der Massenbasis?

Über den Titel entscheidet die Redaktion, auch bei Euch. Antiautoritäre Linke sind in Deutschland eine Minderheit. Manchmal kann es - wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen taugen und die linke Opposition klug ist - gelingen, in einzelnen Fragen gesellschaftliche Mehrheiten zu bekommen. Ich gehöre weder zu der Abteilung der Linken, die sich Illusionen über die deutsche "Masse" macht, noch z.B. zu jener antideutschen Fraktion, die den Menschen gleichsam genetisch festgelegt sieht und leugnet, dass er ein veränderbares soziales Wesen ist - auch nur ein Vorwand, um aus gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auszusteigen.

Das Bild von der bösen Politikerriege, die schuld ist an der Misere, entspricht nicht nur genau dem Gesellschaftsverständnis, mit dem die Neue Revue hausieren geht. Das Bild, das Du zeichnest, erinnert an finstere K-Gruppen-Zeiten: Die Fischer-Gang, eine Macht-Clique, die von Anfang an nicht den Interessen der Revolution dienen wollte und ihr wahres Gesicht immer verschleierte, um dann im richtigen Moment zuzuschlagen. In ihrer schlechtesten Auslegung dienen solche Muster als Vorbild von Säuberungsphantasien: die böse geheime Verschwörung gegen das Gute der Revolution. Hätte man sie doch rechtzeitig im Keim erstickt.

Verschleiernde Klischees über die Rolle des bürgerlichen Politikers finden sich in jedem Medium. Sind Eure "finsteren K-Gruppen-Zeiten" nicht bloß ein antikommunistisches Klischee? Es gab in den siebziger Jahren große Unterschiede z.B. zwischen dem Kommunistischen Bund, der in der Anti-AKW-Bewegung eine vorwiegend positive Rolle spielte, und den VaterlandsverteidigerInnen von der KPD/AO, aus der heute viele rechte grüne FunktionärInnen stammen. Zutreffend ist aber, dass Fischer und Cohn-Bendit aus ihrer "antiautoritären" Kritik an den K-Gruppen nur gelernt haben, die übelsten Methoden selbst anzuwenden.

Sollte man nicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass sich Leute wie Fischer und Daniel Cohn-Bendit verändert haben - eben angesichts linker Erfolglosigkeit auf ihre Art und Weise Karriere auf der anderen Seite gemacht haben?

Vielleicht ist das Leben doch nur Elend. Seid Ihr ein Blatt für das Lob der politischen Depression und des Fatalismus geworden? Ich nehme zur Kenntnis, dass wir im Kapitalismus leben, und bekämpfe ihn trotzdem. Ich beschreibe in der Neue Revue-Serie, wie aus den Grünen eine Kriegspartei wurde, eine Partei einer neuen deutschen Auschwitzlüge, eine Partei der sozialen Verelendung, der Modernisierung der Atomenergie und des Rassismus gegen Flüchtlinge. In einem Buch hätte ich mehr Platz, die Rolle von Personen und die gesellschaftliche Dynamik, die eine Partei nach rechts drängt, in eine analytische Beziehung zu setzen.

Die Entwicklung, die Fischer seit den siebziger Jahren durchgemacht hat, entspricht in etwa jener Veränderung, die auch große Teile der die Grünen tragenden Bewegung vollzogen haben. Vor allem aus diesem Spektrum zieht die Partei heute ihre Stimmen. Vertreten die Grünen, wie sie sich heute darstellen, nicht genau das, was diese Klientel hören will?

Die Grünen haben die meisten StammwählerInnen vor den Kopf gestoßen. Sie haben sich von CDU- und SPD-WechselwählerInnen abhängig gemacht. Zwischen 1989 und 1991 haben rund 10 000 Mitglieder die Grünen verlassen: ÖkosozialistInnen, FeministInnen und linke ÖkologInnen, aber auch Wertkonservative. Seit 1984 hat sich die Hälfte der grünen Mitgliedschaft ausgetauscht. "Die Grünen" sind heute ein trügerisches Etikett auf einem anderen Projekt. In grundsätzlichen Fragen haben wir eine Einheitspartei, CDU/CSU/SPD/ FDP/Grüne, die eine immer geschlossenere Volksgemeinschaft repräsentiert. Rot-Grün ist keine Alternative, sondern nur eine Fortsetzung der CDU/FDP-Politik.

Für die Zukunft der Linken ist wichtig, mit den restlichen rot-grünen lllusionen aufzuräumen. Das Leben ist zu kurz, um zu warten, bis sich alle Illusionen an der Wirklichkeit blamiert haben. Das zu beschleunigen, dabei helfen - neben Kritik und Analyse - Provokation und Polarisierung.

Was wäre ohne den Putsch der Fischer-Gang in der Partei anders gelaufen? Mit einer Partei-Chefin Ditfurth wäre vielleicht der eine oder andere linke Grundsatz erhalten geblieben. Dafür wäre eine linksradikale, ökosozialistische Partei nie über zwei Prozent gekommen - weil große Teile der Basis genau das wollen, was die jetzige Parteiführung will.

Erstens hatten die Grünen zu ihrer linkesten Zeit den bis heute größten Bundestagswahlerfolg: 8,3 Prozent, 1987.

Zweitens werden emanzipatorische gesellschaftliche Veränderungen von sozialer Gegenmacht erkämpft, nicht von "Partei-ChefInnen". Die Grünen hätten ein Teil dieser sozialen Gegenmacht bleiben können. 1988 suchten etliche Realo-Führer schon Jobs beim Spiegel, bei der SPD und anderswo. Es gab enormen rechten gesellschaftlichen Druck, aber keinen Automatismus, dass die Grünen ein neoliberales Projekt werden mussten.

Wir Linken wollten mit der Grünen-Gründung von 1980 z.B. verhindern, dass die ökologische Frage von Rechts besetzt und die faschistische Blut-und-Boden-Ideologie modernisiert wurde. Wir wollten uns außerdem mit dem Produktivkraft-Fetischismus der traditionellen Linken auseinandersetzen, im Sinne von Marx: Der Kapitalismus zerstört die Erde und den Arbeiter. Beide Vorhaben haben einen gewissen Erfolg gehabt - unabhängig vom Scheitern der Grünen als emanzipatorisches Projekt.

Kann es sein, dass Du den rechten Kritikern einen Gefallen getan hast?

Und wenn ich Saddam Hussein kritisiere, nütze ich dem US-Imperialismus? Und wenn ich den Antisemitismus in der PKK kritisiere, dem türkischen Staat? Das ist ein Totschlagklischee.