Vertreibungen im Kosovo

Ethnisierung in Reinform

Zuerst waren es Serben und Montenegriner, dann Roma, schließlich Juden: Zwischen 220 000 und 300 000 Menschen sind im letzten halben Jahr aus dem Kosovo geflohen oder vertrieben worden. Die meisten von ihnen erst nach dem Ende der Nato-Angriffe gegen Jugoslawien. Die erste Zahl gab das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Anfang September an, die zweite wurde Ende Oktober von dem jugoslawischen Radiosender IS verbreitet.

Die Diskrepanz zwischen den beiden Schätzungen lässt sich durch die acht Wochen, die zwischen ihnen liegen, erklären. Gemeinsam haben sie, dass sie laufend nach oben korrigiert werden müssen. So kamen allein am letzten Wochenende mindestens 450 Menschen hinzu: Denn so viele Kroaten wurden da in Busse gepackt und aus dem Kosovo nach Mazedonien gefahren. Von dort aus sollen sie nach Kroatien gebracht werden. Die Regierung in Zagreb, die die Busse gemietet hatte, erklärte, sie habe mit dieser Aktion auf die steigende Anzahl von Übergriffen gegen Kroaten im Kosovo reagiert.

Traf es mit den Serben, Montenegrinern, Roma und Juden jene, die von nicht wenigen Kosovo-Albanern als Täter, Mittäter, Kollaborateure und Günstlinge der jugoslawischen Staats- und Militärführung halluziniert wurden, geht es nun auch denen an den Kragen, die der Zusammenarbeit mit dem Bundesstaat Jugoslawien bisher unverdächtig waren. Und das, wo die Kroaten nach ihren Kriegen gegen Serbien doch so etwas wie die natürlichen Bündnispartner der Kosovo-Albaner sein müssten. Doch selbst das zählt nicht, es gilt nur eines: Kosovo den Kosovo-Albanern.

Das haben auch die Repräsentanten der internationalen Protektoratsverwaltung gemerkt. Sowohl der außenpolitische EU-Koordinator Javier Solana als auch der deutsche Kfor-Kommandeur Klaus Reinhardt fordern jetzt, "Hass, Gewalt und Intoleranz" im Kosovo zu beenden. Der Adressat dieser Forderung bleibt bei beiden bewusst unklar: Soll man an die selbst ernannte provisorische Regierung der Kosovo-Albaner unter Hashim Thaqi appellieren? An die zahlreichen ehemaligen UCK-Kämpfer, die nun im Kosovo-Korps den Landstrich wieder aufbauen sollen? An die UCKler, die das Gleiche außerhalb des Korps tun?

Oder richtet sich die Forderung an alle Kosovo-Albaner, da zur Zeit jeder von ihnen in der Lage ist, zusammen mit Freunden und Bekannten ein Pogrom an Serben zu versuchen? Der Angriff von 300 Kosovo-Albanern auf einen von Nato-Truppen eskortierten Konvoi serbischer Flüchtlinge in der letzten Woche in Pec mit 18 verletzten Serben macht deutlich, dass die Demilitarisierung der UCK nichts an der völkischen Formierung einer "reinen kosovarischen Gesellschaft" geändert hat.

Im Gegenteil: In Kosovska Mitrovica, wo noch immer zahlreiche Serben leben, werden immer mehr Kfor-Soldaten zu ihrem Schutz stationiert. Auch in der Provinzhauptstadt Pristina - die ebenfalls immer noch nicht "serbenfrei" ist - musste die "Internationale Schutztruppe" letzte Woche um 2 200 Mann aufgestockt werden. Anstatt, wie anfangs erhofft, die Truppenstärke nach und nach reduzieren zu können, wächst sie weiter an. Den völkischen Wahn in seinem Lauf hält zur Zeit nur noch die Kfor auf.

Man kann diesen Zuwachs auch als eine Vorahnung oder als Vorbereitung zum Selbstschutz interpretieren: Hat sich mit der Vertreibung der Kroaten doch gezeigt, dass es im Kosovo nicht mehr nur um den Ausschluss oder die Beseitigung der "Serben und Serbenfreunde", sondern um Ethnisierung in Reinform geht.

Bleibt als Frage eigentlich nur noch, wer als nächster dran kommt? Die türkische Minderheit? Die noch im Kosovo lebenden Mazedonier? Und danach? Wenn außer den Kosovo-Albanern nur noch die Kfor-Ausländer da sind?