Werbe-Agenturen-Sound

Musik lieben

Wenn gestandene Werber mit ihrer eigenen, der Werbewelt, nicht mehr zufrieden sind, dann machen sie - zum Beispiel - Vorhersagen über Katastrophenfälle. Oder sie fahren sich heroisch im Porsche tot. Oder sie werden zu Wodkaexperten. Oder sie machen Musik.

So zum Beispiel Charles Wilp, der in den späten sechziger Jahren dadurch zur einer Branchenberühmtheit wurde, daß er mit dem Slogan "Der gute Rausch" (für Afri Cola) scheinbar Gegensätzliches kombinierte und für den Werbeeffekt nutzte. Die konservative und bis dahin maximal mit dem gefürchteten Augenzwinkern arbeitende Werbebranche war entsetzt. Und das um so mehr, als Wilps Strategie aufging.

Seine Werbespots untermalte Wilp mit selbstkomponierter "Sexy-mini-super-flower-pop-op-alles-ist-drin"-Musik, die vor lasziver Psychodelischkeit nur so knackte. Und einige dieser Stücke sind jetzt auf einer CD erschienen, die den Titel "Charles Wilp fotografiert Bunny" trägt. Denn Wilp hat - offenbar ist das seiner grundsätzlichen Frühdemenz geschuldet - die Angewohnheit, all seine Models der Einfachheit halber "Bunny" zu nennen. Und die Musik Wilps, die er wiederum zur Untermalung seiner Fotosessions komponierte, klingt dann natürlich, wie sich ein Bunny-Sager anhören muß: wollsoft, rundlich und neckisch. Die Geigen geigen, dazwischen erklärt eine Frauenstimme, wie man Mascara benutzt oder lacht, und wenn man aus Heidelberg kommt, nimmt man das schwer für Lounge-Atmosphäre und lehnt sich in seinen Sessel. Und tatsächlich hat sich die zugehörige Assoziation von Rausch und Sexismus inzwischen durch Abnutzung eingestellt, und plötzlich ist diese Musik nur noch schön. Wilp selbst bereitet sich heutzutage auf einen Weltraumflug vor, und das ist kein Scheiß.

Irre, neuzeitiger und daher schlicht unhörbar ist dagegen die Platte "Perception of Private Entity" von Pope, die frei ist von einem vorwärtsgewandten Moderne-Denken. Hinter Pope steckt der Werber Michael Schirner, dessen Konzept lautet: "Wir spielen Stücke, die wir mögen, und zerstören sie dann." Also wird KLFs "What Time Is Love" durch einen defekten CD-Player gejagt, Störgeräusche lassen jede Harmonie platzen. Die Freunde des Trash- oder Noise-Terrorismus werden nebenbei ebenfalls abgewatscht. Das will neu sein und niemanden bedienen.

Dabei scheint es, als wolle Schirner die Zerstörungsorgien von John Zorns Naked City in die späten Neunziger übertragen und anstelle von Hardcore die Elektronik und anstelle der Matrize Jazz das Radioprogramm benutzen. Anders aber als bei Zorn, erschöpft sich die Methode Popes relativ schnell, fast ergibt sich ein durchgehendes Fusionjazz-Feeling, nur natürlich in vollendeter Schrottform.

Doch selbst, wenn diese Methode Gefahr läuft, rein obskurantistische Musik zu produzieren, so hat sie doch ihr Gutes: Angesichts der zärtlich-ausgefrickelten Sounds, die die Welt fluten und angesichts der andererseits nur noch sich in Traditionalismus suhlenden Punk- und Sonstwie-scheiß-auf-alles-Bands ist das hier eine echte Meisterleistung des Krachmachens und Kaputtliebens. Eine Platte also, die niemand hören will, aber trotzdem jeder haben sollte.

Charles Wilp: "Charles Wilp fotografiert Bunny". Ata Tak/EFA

Pope: "Perception of Private Entity". Chicken Records / Koch