Sotomayor vs. Darwin

Sportler und Termiten

Javier Sotomayor hält mit 2,45 Metern den Hochsprungweltrekord. Bislang nahm die sportinteressierte Öffentlichkeit dies mit Staunen zur Kenntnis. Jetzt holt ihn die Geschichte ein.

In den sechziger Jahren hatten US-Wissenschaftler herausgefunden, daß der Mensch nie höher als 2,30 Meter springen könnte. Berechnet wurde dies durch Eintragen von Leistungen in Graphiken: In den Anfangsjahrzehnten des Sports gab es rasante Rekordentwicklungen, die verlangsamten sich erkennbar, und irgendwann würde die sich abflachende Kurve halt nicht mehr nach oben gehen können - schon aus graphischen Gründen.

Als der US-Amerikaner Dwight Stones 1973 dann doch 2,30 Meter übersprang, gaben Leichtathletikbeobachter, die noch nicht ganz von ihrer tollen Theorie der Grenze menschlicher Leistungsfähgkeit lassen wollten, einfach dem US-Springer Dick Fosbury die Schuld, der eine neue Technik, den Flop, entwickelt hatte: Dabei ist der Körper des Springers so gebogen, daß der physikalische Körperschwerpunkt unterhalb der gesprungenen Höhe liegt, außerhalb des Körpers nämlich. Mithin konnte stolz verkündet werden, dieser clevere Kerl Fosbury habe der Physik ein Schnippchen geschlagen, aber die aufgezeichnete Kurve sei immer noch so abgeflacht, daß kein Mensch höher springen könne.

In den siebziger Jahren drängten verstärkt afrikanische Länder in den Weltsport. Mit deren Wissen und Historie hätte die Wissenschaft schon damals erfahren können, daß beim Wahuma-Stamm im heutigen Ruanda der Hochsprung zu den beliebtesten Formen der Körperkultur gehörte. Nach Schätzungen, die auf Fotos basieren, welche zeigen, wie um die Jahrhundertwende Wahuma-Männer über die Köpfe deutscher Kolonialisten springen, wurden damals Höhen von 2,50 Meter bis zu 2,70 Meter erreicht. Die Technik der Wahumas bestand im Anhocken der Beine, abgesprungen sind sie von einem Termitenhügel.

Sprach man die Vertreter der Theorie vom Ende der menschlichen Leistungsfähigkeit auf die Leistungen der Wahuma an, erklärten sie, der Termitenhügel sei eine Art Trampolin, kein Wunder, daß die Afrikaner so hoch sprängen. Überprüft hat die Behauptung über die angeblichen physikalischen Eigenschaften eines Termitenhügels niemand.

Seit wenigen Tagen wird der 2,45-Meter-Springer Javier Sotomayor aus Kuba wegen Dopings, genauer: der Einnahme von Kokain, angeklagt. Ob Kokain einem Hochspringer sportlich helfen kann, ist sehr unwahrscheinlich. Aber gewiß wird sich jemand finden, der erklärt, die Leistung Sotomayors habe ein reiner, sauberer, richtiger, also ungedopter Mensch nie und nimmer erbringen können.

Sehr wohl müsse also zum Ende des 20. Jahrhunderts auch das Ende der Evolution ausgerufen werden. Die Widerlegung Darwins wird durch den Umstand gestützt, daß bis heute keine Urinproben der Wahuma-Männer analysiert wurden.

Nachtrag: Der englische Sprinter Linford Christie, mit 9,87 Sekunden über 100 Meter hält er den Europa-Rekord, wird dieser Tage ebenfalls des Dopings beschuldigt. Ähnliche Studien, wie die der "Bei-2,30-Meter-hört-die-Evolution-auf"-Theoretiker, besagen, daß der Mensch (sprich: der ungedopte Mensch) nie schneller als 9,9 Sekunden über 100 Meter laufen könne.