Sechs Kugeln für 180 Mark

Mit sechs Schüssen in den Kopf wurde am vergangenen Wochenende der populäre Generalsekretär der türkischen Gewerkschaft Turk-Is, Semsi Denizer, ermordet. Cengiz Balik, der nach Aussage von Denizers Bruder ein Freund des Ermordeten ist, hat den Mord gestanden. Angeblich hatte der Gewerkschaftler Balik umgerechnet 180 Mark geschuldet. Denizer hatte 1991 die größte Demonstration in der türkischen Geschichte organisiert und war mit 50 000 Bergarbeitern nach Ankara gezogen, um gegen Lohnkürzungen zu protestieren. Die Regierung hatte damals nachgeben.

Daß Denizer nun wegen ein paar Mark sterben mußte, ist wenig glaubwürdig. Es gebe sicher andere Hintergründe für die Tat, sagte der Präsident des größten türkischen Gewerkschaftsverbandes, Bayram Meral, der Nachrichtenagentur Anatolien. Die Gewerkschaften stehen derzeit wegen der anstehenden Reform des Sozialwesens unter großem Druck. Die Regierung will die Pensionsgrenze von 45 auf 58 Jahren bei Frauen und von 50 auf 60 Jahre bei Männern anheben. Das Thema wurde zwar bei einem Treffen zwischen Turk-Is und Regierungsvertretern vergangene Woche ausgeklammert; die Gewerkschaften verschoben daraufhin einen geplanten eintägigen Streik. Gleichzeitig warnte Bayram Meral in der Tageszeitung Hürriyet, daß die Regierungspläne den "Frieden im Land gefährden" würden.

Die Reformen gehören zu den Bedingungen, die der Internationale Währungsfonds der Türkei für die Gewährung weiterer Kredite gestellt hat.