Kommando vor und zurück

Technologie hier, Tradition dort: Die Hamburger Triennale widmet sich den ganz unterschiedlichen Trends der zeitgenössischen Fotografie

Weil über die Sommermonate eh nichts los ist, gibt sich Hamburg gerade den Fotografie-Overkill. Während die deutschen Fotoweltmeister auf Mallorca oder Sylt ihr Jahrespensum ewiggleicher Urlaubsbilder verknipsen, soll hier mit der ersten Triennale der Fotografie in einem kollektiven Kraftakt die hohe Kunst des Lichtbilds ins Recht gesetzt werden. Jedes Museum, fast jede Galerie zieht mit, und die Stadt quillt über vor Bildern.

Hauptattraktionen sind die bei Licht betrachtet eher unspektakulären Fotografien von Andy Warhol in der Kunsthalle und eine dreiteilige Ausstellung in den Deichtorhallen, von der mindestens zwei Abschnitte sehenswert sind: "Wohin kein Auge reicht" widmet sich denjenigen Lebensaspekten, die ohne Fotografie verborgen blieben oder zumindest dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen wären.

Das Spektrum der Arbeiten reicht von der Rastertunnelmikroskopie bis zur inoffiziellen RAF-Fotohistorie in den Schnappschüssen von Astrid Proll. Frei nach dem Motto "Was man nicht sehen kann, das muß man fotografieren" wird das Unsichtbare mit den Mitteln der Fotografie so lange umzingelt, bis es als Schwundstufe des Realen seine ganz eigene Aura entfaltet: Sei es in den Modefotos von Schohaja für das Jetzt-Magazin, in denen von der Mode gar nichts, von den Models nur deren Schatten zu sehen sind, oder mal ein Fuß, mal eine Hand, die unter der Bettdecke hervorlugen; sei es in Thomas Struths Serie "Orte der Entscheidung", worin u.a. eine lauschige Berghütte erst dadurch interessant wird, daß Jürgen Schrempp hier die Entscheidung gefällt haben soll, Daimler und Chrysler zu einem globalen Mischkonzern zu verschmelzen.

Die Welt des Glamour wird durch Paparazzi ebenso erst erschaffen wie der Ufo-Kult durch dubiose Amateuraufnahmen. Wie die Mikroskopie sind beides typische Borderline-Bereiche, in denen die fotografische Neugierde bei dem Versuch, das Regime des Verborgenen immer weiter zurückzudrängen, irgendwann wieder zu sich selbst findet und die bekannten kuriosen Resultate zeitigt.

Mit den bisherigen Restriktionen des Mediums hält sich der zweite Teil "Digitale Photographie" erst gar nicht mehr auf: Manipuliert wird zwar schon, seit die erste Silbergelatine belichtet wurde, aber die digitalen Post-production-Techniken versetzen diese Eingriffe in den Stand eines eigenen künstlerischen Genres, das mit der Illusion auch die Irritation perfektioniert. Das Künstlerpaar Aziz und Cucher etwa hat in seinen Porträts Münder Ohren, Augen und Nasen digital verkleistert; hermetisch versiegelte Monaden blicken uns an und blicken uns doch nicht an.

Burkhardt Schittny hat Modefotos per Computer in Francis Bacon-gleiche Gemälde verwandelt und schlägt damit die Brücke zur bildenden Kunst, ebenso wie Jeff Wall, dessen gigantische Plastik einer Greisin im Treppenhaus ("Giant") außer an King Kong an die unanatomische Heiligendarstellung des Mittelalters erinnert. Wenn man mit einem am Eingang erhältlichen Multi-mind-Rucksack - das sind Laptops mit Kamera und Bildschirm, womit man beobachten kann, was andere Ausstellungsbesucher gerade sehen - durch die ausladenden Hallen surft, kann man sich ein bißchen wie ein Upfront-Cybernaut des 24. Jahrhunderts fühlen, der durch eine Ausstellung der klassischen Postmoderne scootet. Wird einem das multigesponserte High-Tech-Teil auf dem Rücken allerdings lästig und hat man obendrein schon einmal "Riven" am Computer gespielt, kann der Eindruck weitaus weniger nachhaltig ausfallen.

Eher fragt man sich dann, was die Spielerei soll, und ahnt, daß die entscheidenden ästhetischen Impulse im Bereich der digitalen Wahrnehmung nicht von der Kunst ausgehen werden.

"Kommando zurück!" könnte die Devise der parallel gezeigten Ausstellung "Insight Out" im benachbarten Kunsthaus lauten: Zurück zur handwerklich perfekten und künstlerisch ambitionierten Landschafts- und Stilleben-Fotografie. "Landschaft und Interieur als Themen zeitgenössischer Photographie" klingt als Thema erst einmal ziemlich weit gefaßt. Gemeinsam ist jedoch allen gezeigten Arbeiten die Abwesenheit von Menschen oder deren allenfalls untergeordnete Rolle innerhalb des Bildkontexts. So oder so geht es um Umwelt, die nicht, wie noch in der Romantik als unberührte Natur begriffen wird, sondern immer schon System-Umwelt ist, im Luhmannschen Sinne, wenn man so will.

Selbst in den elegischen und technisch perfekten Blow-ups von Elger Esser, die an die Bildtradition der Veduten und Seestücke erinnern, ist die Kolonisation der Vergangenheit durch die Jetztzeit im verschwindenden Detail sichtbar. Die Renaissance großformatiger Landschaftsbilder in der Gegenwartskunst hat sicherlich mit den Möglichkeiten zu tun, die die heutige Kamera- und Labortechnik bietet und makellose Abzüge in diesem Format erst ermöglicht. Einen ähnlichen Effekt wie Esser erzielt jedoch der Niederländer Jan Köster, indem er schlichte Kleinformate zu Panoramen des platten Landes kompiliert. Die Stimmigkeit des Bildes ergibt sich aus der Langsamkeit der ruralen Abläufe, die dadurch eindrücklich selbst ins Bild rückt.

Selbst Andreas Gurskys Terrassenpanorama, 1988 an der Universität Bochum aufgenommen, bekommt im Rahmen der Ausstellung etwas Friedlich-Zeitloses, auch wenn eine kapitale Betonplatte von oben in das Bild drückt und man weiß, daß es sich um die Uni mit der höchsten Selbstmordrate in Deutschland handelt. Spätestens bei den Interieurs merkt man, daß diese veränderte Wahrnehmung - weg vom Menschen und hin zu dem, was ihn umgibt - keine willkürliche ist, sondern durchaus einem Gebot der Zeit gehorcht.

Vielen Werken merkt man den Einfluß von Hilla und Bernd Becher an, die mit ihren seriellen Schwarz-Weiß-Fotos von Bohrtürmen, Gasometern und Wasserspeichern die Erhabenheit des Profanen in der zeitgenössischen Kunstfotografie etabliert haben. In der Ausstellung sind die Wegbereiter der Düsseldorfer Schule jedoch nicht vertreten. Eindeutig bedient sich dafür beispielsweise die Becher-Schülerin Candida Höfer der antiseptischen Nüchternheit ihrer Lehrer, wenn sie menschenleere Uni-Säle und Museumsfoyers ablichtet.

Wie fremdartig ein Lichtschalter oder ein Waschbecken-Überlauf wirken kann, wenn er auf einen Quadratmeter vergrößert wird, läßt sich an den Bildern der Schwedin Maria Hedlund überprüfen. Was sich hier und in anderen Bildern artikuliert, ist dieselbe mißtrauische Hypersensibilität gegenüber der Dingwelt, die schon in der Literatur für neue Impulse gesorgt hat, insbesondere die Romane "Zimmertemperatur" und "Die Rolltreppe" von Nicholson Baker sind hier zu nennen. Daß die Dinge, die uns alltäglich umgeben, erst sichtbar werden, wenn sie im Buch beschrieben oder im Museum ausgestellt sind, gehört zu den Paradoxa des modernen Lebens.

Nichtsdestoweniger erscheint die Sensibilisierung für die Details des Alltags als notwendige Klausur für das überreizte Subjekt der Postmoderne. Wie sonst wäre die Ikea-Uniformierung der Wohnungen in Kombination mit den Katalogtexten - "Ist es das, wovon Sie schon immer geträumt haben? Willkommen in der Wirklichkeit!" - als die Zumutung zu enttarnen, die sie ist, wenn wir nicht wie in der Arbeit "Katalog Stücke" von Dominique Auerbach im Museum darauf gestoßen würden?

"Wohin kein Auge reicht" und "Digitale Photographie", Deichtorhallen, Hamburg, Deichtorstr. 1-2. Bis 5. September "Insight Out", Kunsthaus, Hamburg, Klosterwall 15. Bis 5. September