Kardinal im Kreml

Eigentlich sollte der russische Ministerpräsident Sergej Stepaschin dem russischen Präsidenten Boris Jelzin am Montag nur Bericht über seinen Besuch in der umkämpften Provinz Dagestan erstatten. Doch dann das: "Ich besuchte den Präsidenten, und er hat ein Dekret über meine Entlassung unterzeichnet. Er dankte mir - und feuerte mich", erklärte der verblüffte Ex-Premier auf einer Pressekonferenz. Gründe für den Rauswurf habe ihm Jelzin nicht mitgeteilt. Nach Angaben des Kreml feuerte Jelzin zugleich das Kabinett, das aber vorläufig weiter regieren soll. Stepaschin war Ende Mai von der Duma als Regierungschef bestätigt worden, bei seiner Entlassung durch Jelzin handelt es sich um die vierte Absetzung eines Premiers innerhalb von 18 Monaten. Bis zu den Parlamentswahlen am 19. Dezember soll nun Wladimir Putin, bisher Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, sein Glück versuchen. Putin, der lange als KGB-Agent in Deutschland arbeitete und als "der graue Kardinal" bekannt ist, wurde von Jelzin auch als dessen möglicher Nachfolger auf dem Präsidentensessel ins Spiel gebracht. Jungle World übernimmt keine Garantie, daß sich Putin bis zum Erscheinen dieser Zeitung in seinem Amt halten kann.