Fischers Reparaturbrigade

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: Mit den Kräften zur internationalen Krisenprävention will sich das Außenministerium in ziviler Interessenvertretung üben

Manchmal, in Sommerlochzeiten zum Beispiel, bekommen auch kleine Nachrichten mal die Chance, wie ein Pingpong-Ball haltlos quer durch die Medienlandschaft zu springen. Wer erinnert sich nicht an das "Killerkrokodil im Baggersee"? Auch Bundesaußenminister Joseph Fischer warf Anfang August einen interessanten Ball scharf angeschnitten ins Spiel. In einer Wochenendzeitung gab er bekannt, eine eigene Armee aufzustellen - unbewaffnet.

Fischer will verstärkt Zivilisten einsetzen, um das Krisenmanagement in Konfliktregionen zu verbessern. Dazu richte die Regierung zur Zeit ein regelrechtes Ausbildungszentrum für ziviles Friedenspersonal ein. Hier sollen Juristen, Verwaltungsfachleute, Sozialwissenschaftler, Politologen und auch ehemalige Bundeswehrsoldaten auf "zivile Auslandseinsätze" in einem deutschen Friedenskorps vorbereitet werden. Die Männer und Frauen könnten zum Beispiel nach Kriegen beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen.

Fischers Reparaturbrigade soll nach Anforderung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder der UN eingesetzt werden. 80 Personen würden bereits in diesem Jahr ausgebildet werden. Ein wirklicher Neustart ist das nicht, schließlich arbeiteten Anfang dieses Jahres bereits 150 Deutsche in Zivil als OSZE-Beobachter im Kosovo. Wenn auch nur mit Gnade der Nato. "Ich denke, das können wir weiter ausbauen", sagte Fischer dazu. Das war es dann auch schon.

Nicht zu vergleichen mit dem Ärger, den Ludger Volmer als kleiner Staatsminister in Fischers Amt mit derselben Nachricht kurz nach dem Regierungswechsel lostrat. Nachdem er auf dem Grünen-Parteitag Ende Oktober einen "wahrnehmbaren Wandel" in der deutschen Außenpolitik durch die Zivilisierung der internationalen Beziehungen, Rüstungskontrolle und die Aufwertung der Entwicklungspolitik prophezeite, hatte Volmer im November mehrfach die Bereitstellung einer speziell ausgebildeten "Peacekeeping-Truppe" angekündigt, der einige Tausend Mitglieder angehören sollten. Doktoranden der Friedensforschung gehörten zu jenem Zeitpunkt schon zu den OSZE-Beobachtern im Kosovo. Für den grünen Staatssekretär der richtige Weg, denn gerade die OSZE mit ihren 55 Mitgliedsstaaten sei unter der Kohl-Regierung links liegengelassen worden.

Im Rahmen der Zivilisierung wollte der Staatsminister auch den mit 60 Millionen Dollar eher kümmerlichen OSZE-Haushalt anheben. Schließlich verfüge die Nato über zwei Milliarden Dollar je Jahr. Volmer beabsichtigte, die Fachleute dem Auswärtigen Amt zuzuordnen und in Krisenfällen den Vereinten Nationen oder eben der OSZE zur Verfügung zu stellen. Derartige Projekte wollte er finanziell so abgesichert sehen wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Gelder dafür sollten wenigstens mittelfristig - schließlich ging es Volmer um Wandel - aus dem Verteidigungsetat umgeschichtet werden. Seine Äußerung in einer Journalistenrunde, daß Deutschland kein territorialer Angriff mehr drohe und man deshalb "ein stehendes Heer gar nicht mehr braucht", brachte nicht nur die Opposition zum Tanzen.

Während einer für den 4. Dezember angesetzten Aktuellen Stunde wurde Volmer zur Brust genommen. Für die CDU/CSU registrierte Werner Siemann händereibend, daß selbst Regierungssprecher Heye die Äußerung des Staatssekretärs als Privatmeinung eines Bundestagsabgeordneten abgestempelt hatte, die nicht den Auffassungen der Bundesregierung entspreche. "Wer die Streitkräfte aufgibt", tönte Siemann theatralisch, "muß sich die Frage gefallen lassen, ob er diesen Staat opfern will." Nur wer sich verteidigen könne, "wird ernst genommen".

Volmer bäumte sich nochmal auf. Er bestand darauf, daß sich aus der "entscheidend verbesserten Sicherheitslage" notwendig die Frage nach einem zeitgemäßen sicherheitspolitischen Instrumentarium ableite. Im Sinne des Friedensgebotes des Grundgesetzes müßten schließlich "alle Möglichkeiten" genutzt werden, um militärische Gewaltanwendung zu vermeiden. Volmer attackierte überlebte Bundeswehrstrukturen. "Frühwarnung, präventive Diplomatie, friedenserhaltende Maßnahmen und der Wiederaufbau demokratisch-zivilgesellschaftlicher Strukturen - das sind die Instrumente zur Bewältigung von Regionalkonflikten", sagte er. Der Staatssekretär verwies darauf, daß er mit Chef Fischer bei einer OSZE-Ministerratstagung in Oslo die Einrichtung eines Ausbildungszentrums für Peacekeeping vorgeschlagen habe. Doch der beschworene Außenminister wollte Volmer nicht zur Seite springen. Anfangs noch präsent, hatte er den Saal verlassen.

Aus der SPD-Ecke konterte Kurt Palis: "Nicht immer, wenn jemand unkonventionelle Gedanken äußert, sind diese auch uneingeschränkt brauchbar." Da es um die Existenzgrundlage der Soldaten gehe, laute die Devise: Erst nachdenken, "dann querdenken". Auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping hielt seiner Truppe die Stange. Die Bundeswehr, das hätten Einsätze in Bosnien, Kambodscha, Georgien und Sudan bewiesen, sei "schon heute fähig", im Sinne der Krisenprävention Aufgaben zu übernehmen. Scharping bat alle Mitglieder des Hauses, "gleich welche Ämter sie sonst bekleiden mögen", die Politik der Regierung nicht in einen Gegensatz zu den Aufgaben der Bundeswehr zu bringen. Für Volmer ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Dabei hatte der Staatssekretär doch so "quer" gar nicht geredet. Schließlich war schon im rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschrieben worden, daß sich die neue Regierung für den Aufbau einer "Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung" einsetzen werde. Hierzu sollte die Friedensforschung finanziell gefördert werden. Der "wahrnehmbare Wandel" Volmers aber fand nicht statt. Scharping pochte noch im April vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft darauf, daß erst militärische Gewalt "unverzichtbare Voraussetzungen für die friedliche Lösung von politischen Konflikten schaffen" könne. Er räumte dabei ein, daß es sich beim Luftkrieg gegen Jugoslawien leider nicht vermeiden lasse, daß "Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen" würden. Präventive Konfliktverhütung ist für den Verteidigungsminister nur "Hand in Hand" mit militärischen Mitteln denkbar.

Anders Heidemarie Wieczorek-Zeul: Ende Mai entwickelte sie ihre Ansichten zum Thema in der Bonner Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Ihr gehe es darum, den Ausbruch von Krisen zu verhindern. Auch weil Prävention am Ende preiswerter sei als die Beseitigung von Kriegsfolgen. Sie hält es für symptomatisch, daß weltweit jährlich 50 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe aufgebracht werden, dagegen 780 Milliarden für die Rüstung. Die Folge von über 100 Kriegen in den neunziger Jahren seien 22 Millionen Flüchtlinge. Armut und Umweltzerstörung würden diese Zahl auf 125 Millionen Menschen ohne Lebensgrundlage schrauben.

Die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung will mit Entwicklungspolitik Krisenprävention betreiben. Der Krieg in Ruanda ist für sie ein Zeichen für die Kurzsichtigkeit der Industrieländer. Nachdem die Importländer Ende der achtziger Jahre das internationale Übereinkommen zum Kaffee-Export platzen ließen, brachen Ruanda durch Preisstürze die Exporterlöse weg. Solche Zusammenhänge müßten bedacht werden. Durch "Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse" hofft sie, solche strukturellen Ursachen von gewalttätigen Konflikte abzubauen. Einrichten will sie dafür einen Zivilen Friedensdienst. Hehre Ziele. Auch ihr wurden im Sparhaushalt 2000 576,5 Millionen Mark gestrichen. Spartendenz steigend. Allein die Nichtregierungsorganisationen verlieren bis zum Jahr 2003 über 450 Millionen Mark. Mehr internationale Präsenz für weniger Geld - schwer vorstellbar.