Verfahren gegen Alt-Nazi Soeren Kam eingestellt

Einfach Notwehr

Kriegsverbrecher jagen, internationale Verantwortung übernehmen, Menschenrechte schützen, Frieden stiften - heute auf dem Balkan, morgen in der ganzen Welt. Für das neue Jahrtausend hat sich Deutschland viel vorgenommen. Da wird es freilich Zeit, den Ballast des ausgehenden Jahrhunderts endlich loszuwerden: Weil ein schlechtes Image der Akkumulation schadet, sind deutsche Unternehmen plötzlich bereit, ihren einstigen Sklaven den einen oder anderen Brosamen zuzuwerfen. Und während unsere Jungs auf dem Amselfeld serbische Kriegsverbrecher einfangen, um sie an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu überstellen, entsorgen deutsche Richter die letzten Fälle von Verbrechen, die einst von deutschen Soldaten in aller Welt begangen wurden.

Soeren Kam war zwar kein deutscher Soldat im engeren Sinne, er hatte jedoch das Glück, auf der richtigen - nämlich der deutschen - Seite zu stehen, als er sein Kriegsverbrechen verübte: Gemeinsam mit seinen beiden Kameraden von der dänischen Waffen-SS-Einheit Schalburg, Jorgen Valdemar Bitsch und Knud Flemming Helveg-Larsen, entführte Soeren Kam am Abend des 3. August 1943 in Kopenhagen-Lyngby den Journalisten und Widerstandskämpfer Carl Henrik Clemmensen. Erst folterten sie ihr Opfer, dann feuerten sie acht Schüsse auf Clemmensen ab und ließen ihn tot im Rinnstein liegen. Der Grund für die Tat: Clemmensen hatte es gewagt, vor einem Journalisten des Nazi-Blattes Fadrelandet auszuspucken und ihn als Landesverräter zu beschimpfen.

Wie gesagt: Soeren Kam stand auf der richtigen Seite. Der Nachfolgestaat des Dritten Reiches dankte ihm den Einsatz für Führer und Vaterland, indem er ihm die deutsche Staatsbürgerschaft schenkte. Kam siedelte sich im malerischen Allgäu an, wurde Vertriebsleiter einer Brauerei, ließ sich pensionieren, wählte 37 Jahre lang CSU, trat mit Ritterkreuz auf stolzgeschwellter Brust bei Waffen-SS-Kameradschaftstreffen auf und überstand dank der fürsorgenden bayerischen Justiz alle Versuche, ihn für sein Verbrechen doch noch zur Verantwortung zu ziehen. Denn obwohl Kam in Dänemark längst für seine Tat zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, schützt ihn die deutsche Staatsbürgerschaft vor der Auslieferung. Und die zwei Ermittlungsverfahren, welche die bayerische Justiz widerwillig gegen den heute 78jährigen einleiten mußte, wurden allesamt eingestellt - das letzte in der vergangenen Woche, pünktlich zum 46. Jahrestag des Mordes an Carl Henrik Clemmensen.

Der zuständige Münchner Oberstaatsanwalt Manfred Wick ließ sich bei seiner Entscheidung auch nicht davon beeindrucken, daß Kam längst als notorischer Lügner entlarvt worden ist: Beim ersten Verfahren, das noch die Nazis gegen ihn einleiteten, berief er sich auf Notwehr. In den sechziger Jahren sagte er vor der bundesdeutschen Justiz aus, er habe erst auf Clemmensen geschossen, als dieser schon am Boden lag und zwar auch nur in einem "Akt solidarischer Haltung". Als dann vor vier Jahren der Obduktionsbericht aus dem Jahr 1943 wieder auftauchte, aus dem zweifelsfrei hervorgeht, daß alle acht Schüsse auf Clemmensen abgefeuert wurden, als dieser noch aufrecht stand, besann sich Kam doch lieber wieder auf Notwehr.

Für das bayerische Justizministerium reicht das, um das Verfahren einstellen zu lassen. Kams Tatversion sei zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht widerlegbar, so der Sprecher des Ministeriums gegenüber dem ARD-Magazin "Panorama". Staatsanwalt Wick setzte noch eins drauf. Obwohl für ihn ja offiziell immer noch unklar ist, was sich am Abend des 3. August 1943 in Lyngby abspielte, so ist er sich zumindest in einem sicher: Kam habe keinesfalls "aus bewußter Böswilligkeit oder niederen Motiven heraus gehandelt", so Wick in einem Schreiben an die dänische Zeitung Berlingske Tidende - jenes Blatt, für das Clemmensen einst tätig war. Deutsche Soldaten handeln nun mal nicht aus niederen, sondern immer aus höheren, wenn nicht sogar höchsten Motiven: für den Frieden, für den Führer, fürs Vaterland.