Ein Köder für Georgien

Die Nato öffnet sich für neue Beitrittsländer und brüskiert damit Rußland

Langsam, aber sicher schleicht sich die Nato weiter an die russischen Grenzen heran. Nach Berichten des US-Nachrichtensenders CNN vom Mittwoch vergangener Woche sieht George Robertson, der designierte Generalsekretär der Nato und bisherige britische Verteidigungsminister, einen künftigen Schwerpunkt seiner Arbeit in der Fortführung der Ost-Erweiterung der Allianz - neben der Stärkung des militärischen Gewichts der Europäer im Bündnis und der Pflege der Beziehungen zu Rußland. Die Nato, so Robertson, habe klargestellt, daß die Tür für neue Beitrittskandidaten weiterhin offen sei, und dementsprechend betrachte er die Heranführung beitrittswilliger Staaten als eine seiner Hauptaufgaben.

Damit präsentiert sich der Pragmatiker und Hardliner des Jugoslawien-Krieges auf der Höhe der Zeit, was die künftigen Aufgaben des westlichen Militärbündnisses nach dem Waffengang im Kosovo angeht. Denn gerade im Verhältnis zu Rußland hat der Krieg gegen Jugoslawien neue Maßstäbe gesetzt.

Angefangen mit der Brüskierung des UN-Sicherheitsrates durch die Selbstmandatierung zum Kriegführen, hat die Nato im Verlauf des Krieges alle diplomatischen Bemühungen Rußlands, sich als Machtfaktor im Kosovo-Konflikt ins Spiel zu bringen, demonstrativ torpediert. Rußland wurde damit vor eine unangenehme Alternative gestellt: bedingungslose Unterordnung unter das Bündnis oder offene Konfrontation mit ihm.

Den Platz im Kreis der Aufsichtsmächte hat Rußland mit dem Verzicht auf jeden prinzipiellen und praktischen Gegensatz zum Nato-Krieg erkauft. So hat die Nato im Fall Jugoslawien Rußland zur Hinnahme einer Niederlage bei der Wahrnehmung seiner "Sicherheitsinteressen" genötigt. Die Demontage der einstigen Großmacht etabliert damit allerdings alles andere als einen neuen geopolitischen Status quo, mit dessen Herstellung der Westen sich bescheiden wollte. Solange mit dem russischen Staat wegen seiner Atomwaffen kalkuliert werden muß, ist den "Sicherheitsinteressen" des Westens nicht Genüge getan. Daher Robertsons Statement: "Relations with Russia (...) are going to be enormously important."

Sehr wichtig sind diese Beziehungen deshalb, weil die weitere Eindämmung russischen Einflusses nicht als finaler Waffengang auf der Tagesordnung steht. Vielmehr soll Rußland weiterhin - unter Instrumentalisierung seines Willens zur Teilnahme an der Weltpolitik - über die Nato und die G 8-Struktur in den Prozeß seiner Entmachtung eingebunden werden; die Abhängigkeit Rußlands von westlichen Krediten, deren Vergabe politischen Kriterien folgt, tut ein übrigens.

So ist es auch kein Geheimnis, mit welchen Gegenden zukünftig die Dialogbereitschaft der künftigen russischen Regierungen strapaziert werden wird. Anfang August wurde US-Verteidigungsminister William Cohen in der Ukraine und Georgien vorstellig, und man erörterte "Fragen der militärischen Annäherungen der früheren Sowjetrepubliken an die Nato", wie es die FAZ vom 2. August formulierte. Ein georgischer Beitritt zur Nato sei zwar eine "Frage der Zukunft", allerdings stehe die Tür zum Pakt offen.

Ganz so einfach wird eine Eingliederung des Kaukasusstaates in die Nato jedoch kaum verlaufen: Georgien ist seit seiner Unabhängigkeit von der SU bis heute in Sezessionskriege mit der moskaufreundlichen autonomen Republik Abchasien verwickelt. Im Gegensatz zu dieser ist der Präsident Georgiens, Eduard Schewardnadse, ehemals sowjetischer Außenminister, prowestlich gesonnen. Der Versuch, den Sezessionsbestrebungen militärisch ein Ende zu setzen, scheiterte an der russischen Unterstützung Abchasiens und endete 1992 mit der Vertreibung der georgischen Truppen und der georgischen Bevölkerung sowie dem Eintritt Georgiens in die GUS. Materieller Ausdruck dieses Bündnisses war die Stationierung russischer Einheiten in Georgien.

Neuen Schwung in die Polit-Ökonomie der kaukasischen Staaten brachten die Verträge großer Ölfirmen unter anderem mit Aserbaidschan. Diese Verträge reflektieren die geänderte geopolitische Strategie der USA, die ihre Energie- und Rohstoffversorgung nicht über Staaten abwikkeln will, die ihnen feindlich gegenüberstehen, wie beispielsweise Iran, Libyen und Irak. Georgien spielt in diesen Kalkulationen jedoch in erster Linie als Transitland eine Rolle, da es selbst kaum über Rohstoffe verfügt.

Spätestens seit 1995 definiert auch die EU ihre Interessen an der Erschließung der Ölreserven und der Bestimmung der Pipelinerouten im Kaukasus. Als wichtiger Schritt in Richtung Einflußnahme auf die Region wurde das sogenannte Tacis-Programm unter anderem für den Transkaukasus entwickelt. Es umfaßt sowohl Unterstützung beim Ausbau der Infrastruktur als auch ein "Demokratieprogramm", welches regionalen Initiativen behilflich ist, politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Rußland zu erlangen.

Gerade weil Georgien hauptsächlich den Vorzug einer Transitroute, die weder durch Rußland noch durch islamisch beeinflußte Staaten führt, zu bieten hat, versucht es sich den neuerwachten westlichen Begehrlichkeiten durch das Versprechen auf Stabilität anzudienen. In den verschiedenen Optionen der zukünftigen Pipelinetrassen kann Georgien nur dann interessant werden, wenn es ihm gelingt, den Abtransport des Öls für den Westen zu den Bedingungen des Westens zu garantieren.

Als Versuche, sich vertrauenswürdig zu erweisen, müssen der Beitritt in die Partnership for Peace (PfP) 1994 und die Mitgliedschaft im euroatlantischen Partnerschaftsrat (EAPR) 1997 gezählt werden. Der Aktionsplan der EAPR umfaßt die Kooperation in den Bereichen militärische Infrastruktur, Luftraumschutz, Konzeption friedenserhaltender Maßnahmen, militärische Manöver sowie Krisenbewältigung.

Im Rahmen der EAPR haben ranghohe Milititärs Georgiens bereits das Interesse bekundet, aktiv stabilisierende Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Nato zu übernehmen. Seit Anfang dieses Jahres finden außerdem gemeinsame Manöver der Ukraine, Aserbaidschans und Georgiens ohne Rußland statt. Das Manöver-Szenario: die Sicherung der neueröffneten Pipelinetrassen. Und schon unmittelbar nach dem Moskauer GUS-Gipfel im April erklärten dieselben Staaten ihren Austritt aus dem Vertrag von Taschkent, der 1992 zur Schaffung eines einheitlichen Verteidigungsraumes geschlossen worden war.

Da die Sezessionsbestrebungen Abchasiens nicht zu Georgiens prowestlichem Masterplan passen, versucht Schewardnadse, die im Kosovo geprägte Sprachregelung der ethnischen Säuberung für seine Interessen nutzbar zu machen: Er setzte die Vertreibung der Georgier aus Abchasien mit dem Vorgehen Milosevics gegen die Kosovo-Albaner gleich. Da Georgien aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, die Sezessionsbestrebungen Abchasiens zu unterdrücken, versuchte die Regierung zudem wiederholt, dem Westen die Wichtigkeit der Stabilität im Kaukasus klarzumachen. So ließ Schewardnadse auch schon das Stichwort von einem aggressiven, gefährlichen Separatismus fallen, der ganz Europa destabilisieren könne.

Aber selbst wenn EU oder Nato wirklich bei der "Demokratisierung" der Region militärisch Hilfe leisten wollen, muß dies im Moment noch als Zukunftsmusik gelten. Denn Rußland betrachtet Georgien als "nahes Ausland". Diese Floskel ist der Ausdruck dafür, daß - anders als im Kosovo - Rußland das georgische Territorium als seinen eigenen Hinterhof betrachtet und die zunehmende Abkehr von der GUS hin zur Nato als Gebietsverlust begreifen muß.

Und so blieb es der FAZ vorbehalten, die die spezifischen Interessen des deutschen Staates im Verhältnis zu Rußland fest im Auge behält, Cohens Vorstoß in Georgien als "Unbedachtheit" abzuwatschen.