Offensiv verhandeln

Bevor die kolumbianische Guerillatruppe Farc mit der Regierung über eine Beilegung des Konflikts spricht, ist sie zum Angriff übergegangen

Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana ist sichtlich bemüht, die jüngste Offensive der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) herunterzuspielen. Im Interview mit der argentinischen Tageszeitung La Naci-n dementierte das 48jährige Staatsoberhaupt Mitte vergangener Woche die Spekulationen über eine eventuelle US-Militärintervention gegen die Guerilla. Solange er Präsident sei, werde er eine derartige Operation in Kolumbien nicht zulassen, so der Präsident. Er betonte seinen Willen, die Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe fortzusetzen.

Am Donnerstag reisten sein Verteidigungsminister Luis Fernando Ram'rez und der kolumbianische Armeechef General Fernando Tapia nach Washington, um sich dort mit US-amerikanischen Regierungs- und Kongreßvertretern zu beraten - über die Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels genauso wie über die für vergangenen Montag angesetzten Friedensgespräche mit der Farc. Noch vor seiner Abreise betonte Tapia, seine Truppen hätten die Lage voll unter Kontrolle und einen "totalen Sieg" gegen die Guerilla errungen. Auch für Präsident Pastrana ist die Offensive der mit rund 15 000 Kämpfern stärksten Guerilla-Organisation des Kontinents nur ein Versuch, im Vorfeld der geplanten Friedensverhandlungen mit der Regierung Stärke zu demonstrieren. Er aber habe Vertrauen zum Farc-Chef Manuel Marulanda.

Die am 8. Juli begonnene Offensive der Farc, an der sich nach Agenturberichten auch Kommandos der Nationalen Befreiungsarmee ELN beteiligen, konzentrierte sich zunächst auf das Umland der Hauptstadt Bogot‡. Allerdings wurden die Aktionen im Laufe der vergangenen Woche auf insgesamt elf Provinzen und 15 Städte des Landes ausgeweitet. Militärsprecher bezeichneten diese Aktion gar als "größte und wahnsinnigste Guerilla-Offensive seit 40 Jahren". Aber nach Armeeangaben war diese Aktion mehr verlust- denn erfolgreich: Über 300 tote Guerilleros wollen die Militärs bis zum Wochenende gezählt haben.

Mit der auf die Hauptstadt konzentrierte Offensive richtete sich die Farc offensichtlich gegen die nationalen Eliten des Landes, die weitab vom de facto herrschenden Krieg in der Hauptstadt ein eher unbeschwertes Leben führen. Durch den Guerilla-Angriff ist es damit jetzt vorbei. Seit Anfang der vergangenen Woche gilt in zehn der von den Kampfhandlungen betroffenen Provinzen eine nächtliche Ausgangssperre.

Die Farc hat mit den neuesten Angriffen nicht nur ihre militärische Schlagkraft unter Beweis gestellt, sondern vor allem demonstriert, daß die großen Städte zum Aktionsfeld der Guerilla gehören oder zumindest potentiell gehören können. Für einflußreiche Kreise ist das ein Anzeichen dafür, daß die Guerilla gar kein Interesse an einer Verhandlungslösung hat. In kolumbianischen Medien wird die Guerilla zur Zeit ausschließlich als Terror-Organisation bezeichnet. Die geplanten Gespräche werden überwiegend als einseitiges Entgegenkommen der Regierung Pastrana gewertet, während die Farc angeblich die entmilitarisierte Verhandlungszone zum Aufmarschgebiet mache. Und so weigert sich ein Teil der Eliten, die Farc als gleichberechtigten und glaubwürdigen Verhandlungspartner zu akzeptieren.

Mit ihrer Offensive hat die Farc nach Ansicht des Politologen Jaime Zuluaga von der Universität Naci-nal diesen Teil der Eliten sogar noch gestärkt. Wer bisher bereits die Verhandlungen kritisierte, sehe sich nun bestätigt, meint Zuluaga, der selbst für die umgehende Aufnahme eines Dialoges eintritt - allerdings nicht nur die Farc, sondern auch die ELN an den Gesprächen beteiligt sehen will. Der Politologe will durch ein nationales Übereinkommen, gestützt auf alle politischen Kräfte und mit allen Guerilla-Organisationen, also auch mit der ELN, ein Ende des langjährigen Konflikts erreichen.

Die Verhandlungen sollten in La Uribe, einer Farc-Hochburg in der entmilitarisierten Zone, stattfinden. Der Themenkatalog umfaßt zwölf verschiedene Komplexe. So soll beispielsweise über eine neue Agrarpolitik verhandelt werden. In der Vergangenheit hat die Farc eine Landreform gefordert, die Zustimmung zu dieser Position würde aber eine komplette Neuordnung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Struktur des Landes erfordern. Als Eingeständnis an die Farc waren im Vorfeld auch eine Neustrukturierung der Armee und der Militärgerichtshöfe in Kolumbien zum Verhandlungsthema gemacht worden. Aber auch die Wahrung der Menschenrechte, der Schutz der Umwelt und deren Ressourcen stehen auf dem Programm, das als "allgemeine Agenda für den Wandel zu einem neuen Kolumbien" nahezu alle tradierten Strukturen Kolumbiens zur Disposition stellt und allgemein als Erfolg der Farc gewertet wird.

So verhandlungsbereit sich die Regierung auch geben mag, für einen Großteil der Eliten ist es sicher undenkbar, sich auf dieser Basis mit der Guerilla zu einigen. Nach den Gerüchten um eine direkte US-Intervention - bisher ist Kolumbien das Land, das nach Israel und Ägypten die größte finanzielle Hilfe aus Washington erhält - schaltete sich auf einmal auch ein Vertreter der Bundesregierung ein: Ludger Volmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Bisher hatte sich die rot-grüne Koalition immer um Distanz bemüht und sich von einer eventuellen Unterhändlerrolle von Werner Mauss und Bernd Schmidbauer abgegrenzt (Jungle World, Nr. 27/99).

Bei Volmers Besuch in Bogot‡ stand vergangene Woche hingegen die Farc im Zentrum der bundesdeutschen Kritik: Sie sei eine Terrortruppe und stelle keine soziale Alternative für das Land dar. Volmer kritisierte außerdem, daß bei der letzten Offensive Kindersoldaten im Alter von 9 bis 15 Jahren von der Farc eingesetzt würden - eine Behauptung der kolumbianischen Armee, die von unabhängigen Organisationen bisher nicht bestätigt wurde.

Gegenüber der Regierung Pastrana betonte Volmer, die Bundesregierung sei durchaus bereit, eine aktive Rolle in einem Friedensprozeß zu spielen. Wenn sie von kolumbianischer Seite darum gebeten würde. Gegen eine - die US-Hegemonie brechende - "wichtige Rolle" Deutschlands in dem kolumbianischen Konflikt spricht jedoch eines: die deutliche Kritik Volmers an der Guerilla.