Bobo und seine Wirrköpfe

Montenegro verhandelt in Belgrad über einen neuen Status der Teil-Republik

Held zu sein ist derzeit in Jugoslawien so schwer nicht. In der montenegrinischen Stadt Cetinje etwa hat Bozidor Bogdanovic inzwischen den Status eines Freiheitshelden erlangt. Dabei hat Bozidor Bogdanovic eigentlich gar nichts Heroisches getan. Er hat nur den zivilen Ungehorsam der Montenegriner gegen die Befehle aus der Belgrader Zentrale in einen militärischen verwandelt. Denn als die jugoslawische Armee während der Nato-Luftschläge auch die Männer von Cetinje einberufen wollte, hatte sie damit nicht viel Glück: Die Postboten weigerten sich schlicht, die Einberufungsbefehle zuzustellen.

Irgendwann aber reichte es der gedemütigten Armee, und sie rückte mit Artillerie auf Cetinje vor. Was Bozidor Bogdanovic, "Bobo" genannt, dazu veranlaßte, seine Freunde zusammenzutrommeln und sich bewaffnet in den Straßen der Stadt zu zeigen. Der jugoslawischen Armee war das zuviel: Sie nahm Bobo fest.

Das hätte sie nicht tun sollen, denn binnen weniger Stunden befand sich die ganze Stadt in Aufruhr, blockierten Bürger die Straßen und schickten Frauen die Panzer der Armee in die falsche Richtung. Schließlich mußte die Armee Bobo wieder freilassen.

Dieses Erlebnis war für Bobo prägend. Was als Nachbarschaftshilfe für bedrängte montenegrinische Reservisten begann, mutierte zur Freiheitsbewegung bekannter Machart. Bobo jedenfalls verrät gerne, daß seine "Befreiungsarmee Montenegros" binnen weniger Stunden 20 000 Männer unter Waffen zusammentrommeln könnte. Garniert werden die militärischen Drohgebärden mit einem gedanklichen Konstrukt, das von der großen Geschichte Montenegros als unabhängiger Staat handelt und vom Willen der Montenegriner, abermals einen unabhängigen Staat zu bilden. Schließlich war das kleine, gebirgige Land an der Adria bis 1918 ein Königreich, das von der Petrovic-Dynastie regiert wurde.

Mit der Wiedereinführung der Monarchie und den eigenartigen zeitgeschichtlichen Reminiszenzen will der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic dagegen nichts zu tun haben. Er betreibt eher eine pragmatische Politik, die vor allem zum Ziel hat, sein kleines Land mit 630 000 Einwohnern aus den politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen des taumelnden und heruntergekommenen Kleinstaates Jugoslawien herauszuhalten.

In der letzten Woche besuchte Djukanovic Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland und gab sich gegenüber den begleitenden Reportern weniger wie ein ungestümer Separatist, wie man sie aus dem Kosovo kennt, sondern eher wie ein Realpolitiker mit fester Bodenhaftung: "Zuerst einmal möchte ich Montenegro als demokratisches Land sehen, das ökonomisch nach Europa paßt. Wenn dieses Ziel als Teilrepublik Jugoslawiens zu verwirklichen ist, so soll mir das recht sein", versuchte er sich in einer streichelweichen Appeasement-Politik gegenüber dem wankenden Slobodan Milosevic.

Denn es sind weniger leidenschaftliche Gefühle des Nationalstolzes, die für die zunehmende Sehnsucht der Montenegriner nach einem eigenen Staat verantwortlich sind. Eher haben die Nato-Luftschläge die Bewohner des Adriastaates abermals davon überzeugt, mit Jugoslawien von einer Niederlage zur nächsten zu tapsen. So versucht etwa die montenegrinische Regierung derzeit verzweifelt, eine eigene Währung einzuführen, um der erwarteten Hyperinflation des jugoslawischen Dinar zu entkommen.

Die ersten - personellen - Schritte dazu sind bereits getan: Der neue Wirtschaftsberater von Milo Djukanovic, Steve Hank, sagte in Podgorica, Montenegro müsse ein eigenes monetäres System etablieren. Dazu gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder führt Podgorica die Deutsche Mark als Währung ein oder einen montenegrinischen Dinar.

In Serbien dagegen ist man gezwungen, andere Wege zu gehen: Wohl schon in den nächsten Wochen wird Slobodan Milosevic die Druckerei der jugoslawischen Nationalbank anwerfen lassen, um dringend benötigte Geldscheine zu produzieren und damit die ausstehenden Gehälter der Soldaten und Beamten sowie die Renten der ganz gewöhnlichen Pensionisten zu bezahlen.

Denn gerade der Unmut über leere Brieftaschen bringt das Regime von Milosevic immer mehr in die Defensive: Soldaten blockieren wichtige Straßenverbindungen in Serbien, um endlich ihre Schecks vom Verteidigungsministerium zu erhalten, für gewöhnlich zahme Pensionisten schließen sich den Protesten der organisierten Belgrader Opposition an, um ihre Hungerrenten zumindest nach Monaten zu erhalten.

Auch Zoran Djindjic, Chef der serbischen Demokraten, hat inzwischen erkannt, daß politische Verheißungen weniger nützen als die Instrumentalisierung des reinen Überlebenswillens der Serben. In der vergangenen Woche rief er zu einem "Marsch der Unzufriedenen" nach Belgrad auf: "Packt eure letzten Schuhe aus, um mit uns nach Belgrad zu marschieren." In den nächsten zehn bis 15 Tagen soll es soweit sein: Millionen Serben aus der Provinz sollen vor Milosevics Palast in Belgrad gekarrt werden, um den Präsidenten aus dem Amt zu pfeifen.

Das ermutigt die Emanzipationsbestrebungen der montenegrinischen Regierung. Am Mittwoch letzter Woche begannen in Belgrad Gespräche zwischen der Regierungskoalition in Podgorica und den Kollegen in Belgrad, um einen neuen Status für die Teilrepublik auszuhandeln. Beide Seiten gaben sich nach der Eröffnungsrunde der Gespräche durchaus zuversichtlich: "Solange es guten Willen zwischen den beiden Seiten gibt, kann es zu einer Einigung kommen", meinte Zivko Soklovacki, serbischer Verhandlungsführer von der JUL-Partei von Milosevics Frau Mira Markovic. Der gute Wille ist zweifellos vorhanden, denn sowohl für die Serben als auch die Montenegriner wäre ein Erfolg der Gespräche die elegantere und billigere Lösung.

Selbst Slobodan Milosevic müßte ein Interesse daran haben, den Montenegrinern besser einige Zugeständnisse zu machen, als den Zerfall Jugoslawiens und - bei einer Intervention seiner Armee in Montenegro - gar eine abermalige Attacke der Nato zu riskieren. Außerdem würde Milosevic selbst sich wohl in das Heer der Arbeitslosen Serbiens einordnen müssen, wenn sich Montenegro aus der Föderation verabschiedet: Jugoslawien würde dann endgültig nicht mehr existieren, und einen jugoslawischen Präsidenten bräuchte man dann auch nicht mehr.

Dagegen sind die politischen Forderungen Montenegros noch zu verschmerzen: Die Regierungskoalition "Für ein besseres Leben" in Podgorica möchte ab nun den jugoslawischen Premier ernennen und 20 Mitglieder ins Oberhaus des Belgrader Parlaments entsenden. Zumindest die erste Forderung könnte Milosevic dazu veranlassen, einen langjährigen Weggefährten über die Klinge springen zu lassen: Derzeit bekleidet Momir Bulatovic, 1997 gegen Djukanovic unterlegener Kandidat bei den Präsidentenwahlen in Podgorica, den Posten des jugoslawischen Premiers.

Auch die montenegrinische Bevölkerung stärkt Djukanovic bei seinen Bestrebungen den Rücken, innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes mehr Einfluß zu erhalten: Immerhin 65 Prozent der Bevölkerung plädieren für eine Veränderung des Status der Teilrepublik innerhalb Jugoslawiens.

Allerdings versuchen gerade jetzt nicht nur politische Wirrköpfe wie Bobo aus Cetinje, ein wenig die Leidenschaft für eine eventuelle Unabhängigkeit Montenegros zu schüren: Der Vorsitzende der montenegrinischen Sozialdemokraten, Zarko Rackevic, kritisierte das serbisch-montenegrinische Liebesgeflüster in Belgrad: "Unsere Seite läßt sich von Belgrad in ein Labyrinth endloser Verhandlungen führen", raunzte er in einem Interview mit Radio France International. Damit spielt er auf die Äußerungen Djukanovics an, es gebe für die Verhandlungen in Belgrad kein Ultimatum.

Doch eigentlich müßte sich der Sozialdemokrat gerade darüber keine Sorgen machen. Bald möchte Djukanovic einen konkreten Zeitplan für eine Änderung des Status Montenegros vorlegen und droht nach wie vor mit dem furiosen Finale der jugoslawischen Selbstzerfleischung: "Wenn die Verhandlungen scheitern, so wird es ohne Zweifel ein Referendum über die Unabhängigkeit geben."

Bis dahin aber dient der montenegrinische Präsident als Hoffnungsträger der serbischen Opposition, wie die führende Oppositionelle Vesna Pesic gegenüber Jungle World sagte: "Djukanovic hat die Macht, auch in Serbien endlich demokratische Veränderungen herbeizuführen. Auch ich unterstütze ihn."