Terroristen aus dem Netz

Die Weltkirche des Schöpfers erklärt weißen Vorstadtjungen in den USA, wie Antisemitismus praktisch funktioniert

Es war sein ganz persönlicher Unabhängigkeitstag: Um den 4. Juli erschoß der 21-jährige Benjamin Nathaniel Smith während einer dreitägigen Amokfahrt durch die Vororte Chicagos einen Schwarzen, verwundete sechs orthodoxe Juden und gab mehrere Schüsse auf ein koreanisch-stämmiges Paar ab, das unverletzt blieb.

Erst am Sonntagabend wurde die Polizei auf den Wagen aufmerksam und nahm die Verfolgung auf. Augenzeugen hatten den blauen Ford beschrieben, und Smith hatte das Fenster auf der Beifahrerseite von innen zerschossen. Am Ende der Jagd fand die Polizei den mutmaßlichen Schützen tot auf - mit einer Kugel im Kopf. Wie die Polizei der Tageszeitung Chicago Tribune mitteilte, hatte sich Benjamin Smith selbst getötet.

Rund zwei Wochen vorher, am 18. Juni, waren im kalifornischen Sacramento innerhalb von 45 Minuten drei Synagogen in Brand gesetzt worden. Nach Angaben der Tageszeitung San Francisco Chronicle entstand dabei ein Sachschaden von beinahe einer Million US-Dollar. An den Tatorten wurden Flugblätter gefunden, die den "jüdischen Medien" die Schuld am Kosovo-Krieg zuschrieben.

Obwohl nach Angaben eines FBI-Sprechers "aussagekräftige Beweisstücke" an einer der Synagogen gefunden worden sind, konnten die Täter bisher noch nicht ermittelt werden - eine Tatsache, die das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles dazu veranlaßte, für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, eine Belohnung von 25 000 Dollar auszusetzen.

Bei den Schüssen in Chicago konnte, abgesehen vom Tod des wahrscheinlichen Täters, auch die geistige Urheberschaft der Tat festgestellt werden: Smith war Mitglied der World Church of the Creator (Weltkirche des Schöpfers), einer Organisation, die die Ausweisung von Juden und Nicht-Weißen aus den USA fordert. Zudem propagiert sie den "heiligen Rassenkrieg" bei der Ankunft des Millenniums.

Menschenrechtler wie Mark Potok vom Southern Poverty Law Center beobachten die "Weltkirche" seit Jahren. Sie sei die zweit- oder drittgrößte rassistische Organisation in der USA und zudem die am schnellsten wachsende, so Potok gegenüber dem Radiosender Voice of America. Ihre Anhänger sind in der Vergangenheit vor allem durch das Verteilen von Flugblättern an Schulen aufgefallen. Doch mindestens ein weiterer Mord sowie verschiedene Fälle von Körperverletztung und ein schwerer Raub an einem jüdischen Geschäftsmann gehen ebenfalls auf das Konto von Mitgliedern der Kirche. Ob die Organisation an den Brandstiftungen in Sacramento beteiligt war, wird derzeit noch untersucht. In der Gegend von Sacramento gibt es mindestens vier Gruppen, die sich als Teil der World Church of the Creator begreifen, wie Rabbi Abraham Cooper, stellvertretender Leiter des Simon Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles, im Gespräch mit Jungle World erläuterte.

Das Hauptquartier der Weltkirche liegt in East Peoria, einem Vorort von Chicago. Kirchenoberhaupt, "Pontifex Maximus", ist der 27jährige Jurist Matt Hale. Er behauptet, seine Gruppe stifte nicht zu Gewalttaten an, sondern arbeite nur auf legale Weise. In der Tat ist Leuten wie Hale rechtlich nur schwer beizukommen: Die allgemeine Aufforderung zur Gewalt oder selbst zur physischen Vernichtung bestimmter Bevölkerungsgruppen wird in den USA durch das First Amendment geschützt, einen Verfassungszusatz, der das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit festschreibt. Strafbar ist lediglich die Aufforderung zu spezifischen Taten gegen Personen oder Organisationen.

Nach dem Tod des Amokfahrers distanzierte sich Hale von seinem früheren Anhänger. Dem FBI sagte er, Smith habe die Kirche vor Monaten verlassen, so die Chicago Tribune. Und in einem Fernsehinterview beteuerte Hale: "Es ist nicht unsere Taktik, Menschen mit solchen Mitteln zu gewinnen. Wir versuchen, Menschen zu überzeugen, genau wie andere Kirchen." Besonders überzeugend sind diese Distanzierungsversuche nicht, wie das Southern Poverty Law Center bestätigt: Noch im Januar hatte Hale seinem Gefolgsmann die höchste Auszeichnung seiner Kirche verliehen - "Schöpfer des Jahres". Die Staatsanwältin Janet Reno versucht jetzt, Hales Mitwisserschaft an Smiths Taten zu beweisen, was eine eingehende Untersuchung der Weltkirche rechtfertigen würde.

Das Simon Wiesenthal Center hat Organisationen wie die Weltkirche schon seit längerem im Visier und betont die Notwendigkeit, antisemitische Gruppierungen in den USA differenziert zu betrachten. Außer den militanten Neonazis wie dem White Aryan Resistance (WAR), nennt Cooper zwei weitere wichtige antisemitische Strömungen.

Die erste Kategorie umfasse die religiös-judenfeindliche Christliche Identitätsbewegung. Deren Ideologie beruhe auf der Verschwörungstheorie, die meisten Kirchen, vor allem die katholische, seien vom Judentum unterwandert. Die Identitätschristen bestreiten, daß Jesus Jude war und verorten die Wurzeln des Christentums nicht im Judentum, sondern - hier kommt gewöhnlicher Rassismus ins Spiel - im "weißen" Westeuropa.

Die World Church of the Creator ordnet Cooper einer zweiten Kategorie zu: Sie vertrete einen mit theologischem Beiwerk versehenen Rassendualismus. Dieser finde auf der einen Seite die "heldenhaften" Weißen vor, auf der anderen die Menschen aller weiteren Hautfarben. Dazu gehören natürlich die Juden als zerstörerisches Element, das die weiße Gesellschaft infiltriere und korrumpiere. Christliche Religionen werden in ihrer Gesamtheit als jüdisches Machwerk bezeichnet.

"Die Identitätskirchen versuchen zu sagen: 'Wir sind die echten Christen'", erklärt Cooper zusammenfassend. "Die Weltkirche des Schöpfers meint, das Christentum sei bloß eine weitere schreckliche Sache, die die Juden in die Welt gesetzt haben."

Obwohl beide Argumentationen gleichermaßen absurd sind, gibt ihre Unterscheidung Aufschluß über die Zielgruppen der jeweiligen Bewegung. Die Identitätskirchen wenden sich an praktizierende Christen, oftmals in ländlichen Regionen. Die Weltkirche richtet ihre Agitation überwiegend an männliche Teenager aus gutsituierten Vorstadtfamilien. Während die christlichen Antisemiten meist auf konventionelle Weise werben - Predigten, fromme Heftchen, etc. -, betreibt die World Church ihre Missionierung hauptsächlich via Internet. Kirchenoberhaupt Hale begründet dies mit einer "im Durchschnitt höheren Intelligenz" der Internetnutzer. Auf diese Weise ließen sich "die besten Leute" rekrutieren.

Rabbi Cooper sieht in den Methoden der World Church of the Creator die Zukunft des rassistischen Terrors. "Es gibt keine Anzeichen dafür, daß wir es in nächster Zeit mit einer Massenbewegung zu tun haben werden. Doch aufgrund einer Kombination von Umständen werden wir in Zukunft wahrscheinlich mehr Anschläge erleben - ausgeführt von 'Individuen', die scheinbar mit keiner Bewegung im Zusammenhang stehen, aber offensichtlich von dieser Art Ideologie beeinflußt sind. Diese Umstände sind nicht zuletzt der wachsende Einfluß des Internet und der daraus resultierende, erleichterte Zugang zu exakten Konstruktionsplänen für Bomben und zu ähnlichen Informationen. Ich befürchte, daß die jüngsten Vorfälle ein Prototyp für zukünftige extremistische Aktionen sind."

Durchorganisierte Strukturen sind demnach nicht mehr notwendig: Es reichen ein paar Internetseiten, die Tausende von Menschen ansprechen, von denen hin und wieder einer konsequent wird und den Abzug betätigt. Wie Benjamin Smith.