Pakistan sichert Rückzug aus Kaschmir zu

Kriegsgeil bis zum letzten Mann

Mit dem Krieg hat Pakistan eigentlich gar nichts tun. Das behauptet die Regierung in Islamabad zumindest immer, wenn der Nachbarstaat Indien sie beschuldigt, reguläre Soldaten im indischen Teil Kaschmirs einzusetzen. Oder wenn Vertreter der US-Regierung über Geheimdienstinformationen berichten, nach denen die islamistischen Guerilleros, die sich seit Ende Mai im Süden der Provinz mit der indischen Armee bekriegen, von der pakistanischen Seite unterstützt werden.

Trotzdem übte sich Ministerpräsident Nawaz Sharif vergangene Woche in internationaler Diplomatie: Ein Besuch bei William Clinton, ein Telefonat mit Anthony Blair in London - und schon erklärte Sharif am Donnerstag, die Kaschmir-Kämpfer würden den Rückzug antreten. Obwohl die Regierung ja angeblich keine Kontrolle über die islamischen Gotteskrieger hat, schon gar keine eigenen Truppen entsendete und so tat, als wüßte man nicht einmal, wo es ist, dieses Kaschmir.

Die Rückzugspläne präsentierte der pakistanische Premier zunächst nur seinem Gastgeber - und der internationalen Presse. Gegenüber der pakistanischen Tageszeitung The News International sagte er davon lieber nichts. Statt dessen tönte er, Pakistan habe viel bessere Raketen als Indien. Es wäre auch nicht wirklich glaubwürdig, wenn sich Sharif, der innenpolitisch eine Islamisierung des Landes vorangetrieben und sich mit dem indischen Ministerpräsidenten und Hindu-Extremisten Atal Bihari Vajpayee einen regelrechten Wettlauf um die Atomwaffenfähigkeit der beiden Nachbarstaaten geliefert hat, plötzlich zum Friedensstifter mutiert.

Die in Washington vorgespielte Besonnenheit, ist sonst nicht seine Art - und wird ihm gerade deshalb übel genommen. Die oppositionelle Jamaat-e-Islami wirft dem Premier "Verrat" an den gegen die indische Armee kämpfenden Mujaheddin vor und organisiert Demonstrationen gegen Sharif. Mit den Parolen "Allah ist groß" und "Der heilige Krieg geht weiter" reagiert auch die mehr als ein Dutzend islamistische Gruppen aus Kaschmir umfassende Dachorganisation mit dem schönen Namen Vereinigter Rat des Heiligen Krieges: "Bis zum letzten Blutstropfen und bis zum letzten Mann" soll weitergekämpft werden.

In der pakistanischen Armee ist man schon länger unzufrieden mit dem Regierungschef. Neuerdings unterstehen die Soldaten der Zivilgerichtsbarkeit, und im Oktober gab es einen offenen Konflikt, als Sharif den Armeechef Jehangir Karamat durch einen ihm selbst treu ergebenen General ablöste. Nun gilt die in Washington zur Schau gestellte Kompromißfähigkeit des Ministerpräsidenten den Militärs auch noch als "vollkommener Ausverkauf" und als feige Kapitulation. Ist man in Pakistan - bestärkt durch das aggressive nationalistische Gepolter Sharifs - doch überzeugt, es mit dem Nachbarn aufnehmen zu können: Ein pakistanischer Brigadier zeigte sich gegenüber der New York Times schon ganz kriegsgeil: "Die indischen Soldaten kommen in großen Gruppen von 200 oder 300 Mann - ein wundervolles Ziel für unsere Artillerie."

Während Sharif auf die kampfbereiten Kräfte im eigenen Land und die Schuldzuweisungen aus dem Ausland zugleich eingehen muß, kann sich der indische Premier Vajpayee ungestört als Nationalheld feiern lassen. Er ist nur Übergangspräsident ohne parlamentarische Mehrheit und ein erfolgreicher Kriegszug gegen die Mujaheddin wäre zweifellos die beste Werbung für die im September anstehenden Wahlen.

Vajpayee konnte es sich sogar erlauben, nicht nach Washington zu fahren. Statt dessen rief er seinem nationalistischen Hindu-Anhang zu: "Wir werden den Krieg gewinnen." Sein Ziel, die "moslemischen Eindringlinge" zu vertreiben, war bereits seit Vajpayees Amtsantritt im März letzten Jahres Regierungspolitik. Den nationalistischen Hindus gilt schließlich jeder Moslem, jeder Unberührbare, jeder Kommunist und jeder sonstige Nicht-Hindu als Eindringling in ihre heile religiöse Welt, gegen die mit Unterstützung der Vajpayee-Partei Pogrome und Morde organisiert wurden.

Und dieser Krieg für ein großes und religiöses Hindustan, so kündigte Vajpayees Innenminister Lal Krsihna Advani an, "geht auf jeden Fall weiter". Da kann sich Sharif noch so diplomatisch geben.