Deux, trois, quatre Gaulles

In Frankreich ist das konservative Parteienspektrum heillos zersplittert. Eine neue patriotische Sammlungsbewegung soll nun die Einheit bringen - zumindest den ganz Rechten

Es sollte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden. Als der ehemalige Verteidigungsminister Charles Millon im vergangenen Jahr seine Partei La Droite (Die Rechte) gründete, verfolgte er damit das ehrgeizige Ziel, die Grundlage für eine vereinte Rechte zu schaffen. Seine neue Partei sollte an die Stelle der traditionellen Neogaullisten (RPR) und Liberal-Konservativen (UDF) treten.

Anderthalb Jahre später - Charles Millon spielt mittlerweile keine nennenswerte politische Rolle mehr - stellt sich die Lage ganz anders dar. Denn statt vereint zu sein, ist die französische Rechte zersplittert wie nie zuvor. Seit den Europa-Parlamentswahlen vom 13. Juni, zu der die Neogaullisten gemeinsam mit der ultraliberalen UDF-Abspaltung Démocratie Libérale (DL) sowie die UDF angetreten waren, wird das konservative Spektrum auch noch um eine weitere Organisation bereichert.

Der gaullistische Dissident und frühere Innenminister Charles Pasqua will mit dem Rechtskatholiken Philippe de Villiers Ende September eine neue Partei ins Leben zu rufen. Vor allem der überraschende Erfolg bei den Europawahlen, wo die beiden konservativen Politiker auf einer gemeinsamen Liste kandidierten und zur stärksten Kraft auf der Rechten avancierten, hat zu diesem Entschluß beigetragen.

Mit seiner neuen Partei möchte sich Pasqua als nationalistischer Hoffnungsträger für die zerstrittenen Konservativen präsentieren. Entsprechend traditionsbewußt gibt er sich: Der Name seiner neuen Organisation, "Sammlung für Frankreich und die Unabhängigkeit Europas", soll bewußt an die 1947 gegründete und sechs Jahre später wieder aufgelöste "Sammlung des französischen Volkes" von General de Gaulle erinnern.

Patriotismus und der Appell an das Nationalgefühl stehen daher auch im Mittelpunkt der neuen Formation. Besonders heftig wettert Pasqua gegen die EU - und besonders gegen die angebliche US-amerikanische Vorherrschaft. Im Wahlkampf hatte sich Pasqua für die Erhöhung der Militärausgaben eingesetzt, damit sich Europa endlich von der US-Dominanz befreien könne. Die nationalistische Propaganda hat allerdings noch ein anderes Ziel. Sie greift zugleich die Neogaullisten an, denen die Pasqua-Anhänger vorwerfen, jegliche inhaltliche Substanz zugunsten des - der gaullistischen Tradition fremden - Liberalismus aufgegeben zu haben.

Großen Widerstand werden die Neogaullisten der neuen rechten Sammelpartei kaum entgegensetzen können. Denn neben ihrer inhaltlichen Orientierungslosigkeit haben sie derzeit auch mit Personalproblemen zu kämpfen. Wenige Wochen vor den Europa-Wahlen trat ihr damaliger Chef Philippe Séguin - ein nur oberflächlich "bekehrter" ehemaliger EU-Gegner - zurück, da er die liberale und pro-europäische Politik der Liste gegenüber Pasqua nicht verteidigen wollte. Der Interims-Präsident Nicolas Sarkozy, der die Liste bis zum 13. Juni angeführt hatte, nahm nach der Wahlniederlage seinen Hut.

Anschließend versuchte Staatspräsident Jacques Chirac, der 1976 die Partei gegründet hatte, erneut den früheren RPR-Chef und Ex-Premier Alain Juppé an die Parteispitze zu befördern. Doch der erklärte nicht nur, daß er für das Amt nicht zur Verfügung stehe, sondern trat zugleich aus dem RPR-Vorstand zurück.

Aufmerksamkeit erregen die Neogaullisten daher nur noch, wenn sie ihre letzten Pfründe verteidigen. Dies gilt insbesondere für den notorisch korrupten Pariser Oberbürgermeister Jean Tiberi, von dem sich die Parteiführer gerne so schnell wie möglich trennen möchten. Doch der kündigte Ende Juni prompt seine erneute Kandidatur bei den französischen Kommunalwahlen im März 2001 an. Seine Stellvertreterin Fran ç oise de Pannafieu, selbst Anwärterin für das Amt des Bügermeisters, titulierte ihn daraufhin vor laufenden Kameras als "Gartenzwerg".

Der Verfall der ehemals so mächtigen neogaullistischen Partei hatte dabei schon lange vor den letzten Wahlen eingesetzt. Er ist die Konsequenz einer Politik, die 1986 mit der Ernennung von Jacques Chirac zum Premierminister begann.

Damals übernahm die bürgerliche Rechte die Regierung mit dem erklärten Ziel, die Ende der siebziger Jahre von den Regierungen Thatcher und Reagan initiierte neoliberale "Revolution" auch in Frankreich durchzusetzen. Doch damit handelten sich die Konservativen vor allem jede Menge soziale Auseinandersetzungen ein. In ihrer Amtszeit versagten die vermittelnden Instanzen wie etwa Gewerkschaften. Die sozialdemokratischen Regierungen erzielten hingegen mit ihren auf Konsens und Einbindung angelegten Methoden viel größere Erfolge bei der Umsetzung der neoliberalen "Reformen".

Vor allem aber demontierten die Neogaullisten mit ihrer Hinwendung zur neoliberalen Wirtschaftspolitik die Substanz jener politischen und historischen Mythen, auf die sich zumindest die gaullistische Rechte immer berufen hatte. Deren Patriotismus sowie ihr ausgeprägter sozialer Diskurs (im Zeichen der "Versöhnung von Kapital und Arbeit") waren zwar schon immer nur Mystifizierungen, hinter denen sie eine Politik zugunsten der Besitzenden und wirtschaftlich Mächtigen betrieben. Die wirtschaftsliberale Ausrichtung und die damit verbundene Abkehr vom Protektionismus brachte aber vor allem ihre Stammklientel, die Mittelschichten aus Kleingewerbe und Handel, in Bedrängnis.

Bisher wanderten viele enttäuschte Wähler aus diesem Milieu zur neofaschistischen Rechten ab. Doch im Gegensatz zu früher können diese heute nicht mehr von dem spektakulären Niedergang der Neogaullisten profitieren. Wegen ihrer Spaltung in zwei konkurrierende Parteien verliert die neofaschistische "Bewegung" zum ersten Mal seit Jahren an Zulauf. Und das ist vor allem dem Starrsinn von Jean-Marie Le Pen zu verdanken. Er zog es vor, seine "Bewegung" und seine Führungskräfte zu verlieren, als das absehbare Ende seiner politischen Laufbahn und seine Ablösung an der Spitze der extremen Rechten in Kauf zu nehmen.

Der Front National (FN) hat heute nahezu alle halbwegs fähigen Kader an den rivalisierenden Mouvement National (MN) verloren. Umgekehrt hat es der MN bisher nicht vermocht, neben den Kadern auch die Wähler des "alten", vereinigten FN anzuziehen. Während der FN bei den Europwahlen immerhin noch 5,7 Prozent erzielte, kam das Mouvement gerade mal auf 3,3.