Der Arsch auf dem Eimer

Hat Deutschland die USA in den Jugoslawien-Krieg hineingezogen? Fragen an Jürgen Elsässer

Die serbische Allianz für den Wechsel setzt auf das Bündnis mit dem Westen. Den nötigen Rückhalt versprechen sich die Marktwirtschaftler von der serbisch-orthodoxen Kirche, frustrierten Armeereservisten, der arbeitslosen Bevölkerung in den Industriestädten und den ausländischen Medien.

Ich habe in meinem neuen Buch geschrieben: "Die Krauts agieren als Brandstifter, die Yankees löschen mit Benzin." Das soll das Verhältnis ausdrücken. Mir scheint, daß die Diskussion, die Jungle World mit dem Beitrag von Gerhard Hanloser (Nr. 26/99) um die "Kapitulation" der Antideutschen und von konkret initiiert hat, auch ablenken soll von der Kapitulation, die große Teile der Linken und auch die Jungle World in diesem Krieg vollzogen haben.

Die wäre?

Ähnlich wie in der taz während des Bosnien-Krieges gab es einzelne gute Analysen, es gab gute einzelne Essays, aber die Haltung der Zeitung insgesamt war diffus.

Sie war nicht diffus, sondern eindeutig gegen den Krieg. Allerdings haben wir nicht, wie es damals hieß, einfach die geostrategischen Blaupausen der Vergangenheit hervorgeholt.

Ihr wart zwar gegen den Krieg, aber Ihr wolltet nicht wissen, wer ihn vom Zaun gebrochen hat und warum. Auf diese Art ist man gegen den Krieg, wie man gegen schlechtes Wetter ist. In meinem Buch* benutze ich eine Metapher für das Balkan-Schlachten: "Für den Grillabend der Supermächte BRD und USA wird Jugoslawien zu Cevapcici zerhackt." In der Jungle World vom 24. März, dem Tag des Kriegsbeginns, wurde in den Ankündigungen auf der Titelseite dieselbe Metapher ganz anders präsentiert: "Die drei vom Balkan-Grill: Nato, Serbien und die UCK bereiten sich auf einen Krieg vor, der keine Lösung bringt". Für Euch ist also Serbien genauso schuldig wie Nato und UCK. Auf dieser Linie war Eure ganze Kriegsberichterstattung: Vorne wurde gegen Fischer und hinten gegen Handke geholzt.

Wir wollen jetzt nicht über Handke diskutieren, Handke wurde keine Schuld an dem Krieg vorgeworfen - als Beweis für unsere angebliche Gleichverteilung des Schuldvorwurfs taugt das Beispiel nicht. Aber wenn Du meinst, im Krieg hätten wir Kriegsgegner nicht kritisieren dürfen, egal wie sie gegen den Krieg argumentieren, dann sind wir da tatsächlich verschiedener Meinung.

Aber zurück zu Deiner Ursachenforschung. Du schreibst: "Letztlich bestimmte die westliche Einmischung - auch die Subversion von BND und CSU - nur die Verlaufsform des Zerfalls des titoistischen Jugoslawien." Die Gründe seien in den Verwerfungen der kapitalistischen Globalökonomie zu suchen. Wie paßt das zu Deiner Darstellung von der entscheidenden Rolle Deutschlands?

Wie der Arsch auf den Eimer. Das muß man genauer analysieren. Aber es ist Kapitulation, wenn sich eine Zeitung wegen dieser ungeklärten Fragen vor ihrer eigentlichen Aufgabe im Falle des worst case drückt: Gegenöffentlichkeit zu bloody old Germany zu organisieren.

Selbstverständlich ist unsere Berichterstattung kritisierbar. Aber Deine Forderung scheint mir zu sein: Zweifel fallen unter Kriegsrecht. Ich halte es für völlig falsch zu glauben, die Aufgabe unserer Zeitung sei es, gegen die Kriegspropaganda plumpe Gegenpropaganda zu setzen.

Aufklärung, Fakten!

Eben.

Ihr habt sie nur nicht geliefert. Zum Beispiel diese Lageberichte aus dem Auswärtigen Amt, in denen es bis zum März 1999 heißt, es gebe keine ethnischen Säuberungen im Kosovo, keine Gruppenverfolgung.

Die haben wir im innenpolitischen Zusammenhang zititert, wo es um Abschiebungen und Kriegsflüchtlinge ging. Ich finde es aber falsch, Lageberichte, die auch mit dem Ziel geschrieben sind, Abschiebungen zu rechtfertigen, plötzlich als die glaubwürdigsten Quellen zu verwenden.

Nicht als die glaubwürdigsten Quellen. Aber wichtiger als die altbekannte Doppelbödigkeit der Flüchtlingspolitik waren doch die Menschenrechtslügen, mit denen die Fischermen Stimmung für ihren Krieg machten. Das Auswärtige Amt, das ab 24. März von Völkermord sprach, hatte noch kurz vorher das krasse Gegenteil behauptet! Daß Ihr diesen schreienden Widerspruch nicht deutlicher gemacht habt, verstehe ich nicht. Was mir in der Jungle World gefehlt hat, war eine grundsätzliche Ablehnung des Nato-Überfalls.

Unsere grundsätzliche Gegnerschaft zum Angriffskrieg der Nato steht außer Frage. Nur gibt es keine Redaktionslinie, wie Du sie vermißt, die glaubt, die eine, gültige Erklärung zu haben, warum der Krieg geführt wird. Deshalb gab es eine Debatte um die Kriegsgründe. Ein Platz dafür waren die Dossiers. Dort kamen als erste die antideutschen Positionen zu Wort. Mich persönlich hat bisher allerdings keine der Analysen völlig überzeugt. Oft deshalb, weil Fakten, die nicht ins Konzept passen, einfach weggelassen werden. Z.B. scheint mir bei Deinem "Nachweis" der Behauptung, Deutschland habe die USA in den Krieg gezogen, einiges so zurechtkonstruiert, daß Deutschland hinterher als größter Aggressor dasteht. Muß es das denn, damit man gegen den Krieg oder gegen Deutschlands Rolle sein kann?

Nein. Für mich ist die Frage nicht: Ist Deutschland oder sind die USA aggressiver. Ich möchte nur die Unterschiede und Differenzen zwischen den beiden festhalten.

Wo ist dann der springende Punkt?

An dem Text von Oliver Tolmein (Jungle World, Nr. 27/99) läßt sich das deutlich machen. Oliver schreibt am Schluß, das Versagen der Linken bestehe darin, allzu oft die Wahrung von Menschenrechten staatsfixierten Interessen und Nutzenüberlegungen unterzuordnen. Denselben Gegensatz machte Habermas in der Zeit auf. Oliver zieht nicht dieselben Schlußfolgerungen wie Habermas, aber er denkt in derselben, völlig falschen Polarität.

Im Kosovo-Konflikt ging es gar nicht um das Staatsinteresse Jugoslawiens versus die Menschenrechte der Kosovaren, sondern um die Verteidigung eines multinationalen Staates versus die Volksgruppenrechte eines Stammes. Tolmein und Habermas fallen beide auf den hundertjährigen Trick der deutschen Außenpolitik herein, individuelle und kollektive Menschenrechte zu vermengen, besser gesagt: Volksgruppenrechte als Menschenrechte auszugeben. Ich würde nach wie vor behaupten, Jugoslawien war bis zum Schluß, bis der Krieg alles suspendiert hat, ein multinationaler Staat, der die individuellen Menschenrechte für alle seine Staatsbürger gewahrt hat.

Verletzt worden sind nicht individuelle Menschenrechte, sondern Volksgruppenrechte: Jeder Ansatz der Kosovaren, sich sezessionistisch zu organisieren, ist zerschlagen worden, und erst infolge dessen sind auch Verletzungen individueller Menschenrechte vorgekommen. Tolmein schwankt, auf welche Seite in diesem Konflikt - zwischen dem Existenzinteresse multinationaler Staaten und den Volksgruppenrechten - er sich schlagen soll.

Doch wenn diese Staaten aufgesprengt werden, wird alles noch sehr viel schlimmer. Das illustriert das Beispiel der Roma, die im multinationalen Jugoslawien und bis zuletzt auch in der serbischen Provinz Kosovo wenigstens eine gesicherte Existenz hatten. Jetzt, da unter Nato-Schutz ein Stammesprotektorat entsteht, werden diese Schwächsten der Schwachen vertrieben.

Für Dich war ja immer klar, die Deutschen sind die Hauptunterstützer aller Sezessionisten, und die USA verteidigen eher die multinationalen Staaten. Im Moment sieht es so aus, daß die USA mehr auf der Seite von Thaqi und der UCK sind. Z.B. hat Fischer öffentlich Großbritannien und die USA dafür kritisiert, daß sie das UCK-Demilitarisierungsdokument, das die Option für eine Umwandlung in eine Nationalgarde enthält, unterzeichnet haben.

Ich halte mich da an die Untersuchungen von Erich Schmidt-Eenboom. Demnach war bis zum Jahreswechsel 1998/99 die UCK eine BRD- und BND-dominierte Kraft. Aber dann ist die CIA reingegangen und hat die Deutschen verdrängt. Deshalb würde ich an meiner These festhalten, daß die Deutschen über ihre jahrelange Unterstützung der UCK und von Bukoshi den Konflikt so weit verschärft haben, daß es zum Krieg kommen mußte.

Und warum haben die USA irgendwann übernommen?

Ich habe in meinem Buch ein längeres Kapitel unter dem Titel "Der Aufstand der Stämme gegen die Nationen". Dort wird die jetzige Situation mit der des Zweiten Weltkriegs verglichen. Ähnlich wie damals wird aktuell von Deutschland ein Aufstand der Stämme gegen die traditionelle Staatenwelt organisiert, vor 1945 gegen "Versailles", danach gegen "Jalta". Damals ist dieser Aufstand von der Anti-Hitler-Koalition niedergeschlagen worden. Man könnte sagen: Im Zweiten Weltkrieg wurden die Völkischen von den Nationalisten besiegt. An der Spitze der Anti-Hitler-Koalition standen Nationalisten wie de Gaulle, Stalin oder Churchill. Sie haben sich nach einigem Zögern gegen Deutschland gestellt, weil sie wußten, dieser völkische Aufstand würde ihre eigenen, multinational aufgebauten Staaten zerstören.

Wenn die Situation so vergleichbar ist, warum sind die Konstellationen jetzt andere?

Das scheint mir auf die Veränderungen im Weltkapitalismus hinzudeuten. Im Spätkapitalismus sind die Nationalstaaten dysfunktional geworden, vor allem aufgrund ihrer Überschuldung. In den Ruinen der Marktökonomie formieren sich die Stämme. Bei ihnen ersetzt, wie bei der Mafia, der Clan den Sozialstaat, das Blutsprinzip das Wertprinzip. Z.B. hat Albanien nach dem Zusammenbruch der Hütchen- und Pyramiden-Ökonomie nicht den Hauch einer volkswirtschaftlichen Perspektive. Einzig die UCK, die nach übereinstimmender Auskunft westlicher Kriminalbeamter mittlerweile den Heroinhandel über die Balkanroute kontrolliert ...

... was ja wohl nicht in der Natur der Kosovo-Albaner liegt, sondern in der Natur illegaler bewaffneter Bewegungen, egal welcher politischen Ausrichtung ...

... jedenfalls sorgt allein der Drogenhandel für den Zufluß von fresh money. Ökonomisch spricht also viel dafür, wenn die UCK die albanische Hauptstadt von Tirana nach Pristina verlegen und so die Skipetaren als Dealer-Nation rekonstruieren würde. Die westlichen Besatzungssoldaten wären bestimmt dankbare Abnehmer des Stoffs, und das so geschaffene Großalbanien könnte sich über den Schwarzmarkt finanzieren, ohne daß Entwicklungshilfe fließen müßte. Soll heißen: Der entfesselte Kapitalismus frißt seine Kinder, die von ihm in seiner Entstehungsphase generierten Nationalstaaten, und wer überleben will, muß sich den Hegemonen des Weltmarktes, den USA oder Deutschland, unterstellen.

Einerseits sagst Du, subjektlose Tendenzen im Weltkapitalismus bestimmten die Entwicklung, andererseits gibt es staatliche Subjekte, denen Du ganz klar formulierte strategische Interessen unterstellst, die sie dann auch noch umsetzen können. Wie paßt das zusammen?

Gerade auf der Grundlage der Krise von Ökonomie und Politik werden völkische und andere irrationale Bewegungen geschichtsmächtig: Bis Mitte 1991 trug Bonn die gemeinsame EU-Linie mit, die balkanischen Sezessionsrepubliken nicht anzuerkennen. Die Dynamik ging nicht von Bonn, sondern von Zagreb, vom kroatischen Mob aus, der aufgrund der gemeinsamen Kampfzeit im Zweiten Weltkrieg in den Deutschen Blutsbrüder sah. Dieses Unterwerfungsangebot hat Genscher, der lange loyal zur EU-Linie war, angenommen und Kroatien anerkannt.

Zurück zur jetzigen Situation im Kosovo: Die Vertreibung der Serben liegt auf der Hand und wird auch hier nicht geleugnet. Aber was sagst Du zu den gefundenen Massengräbern? Nur ein aufgebauschte nachträgliche Legitimation, die selbst geschaffen wurde?

Das denke ich schon. Die jetzt Ausgegrabenen starben infolge des Krieges, nicht davor. Wer hat die Morde begangen? Der Bericht einer UN-Kommission, die Ende Mai im Kosovo war, spricht von irregulären Paramilitärs, also die Arkan-Tiger und andere Milizen.

Bündnispartner von Milosevic.

Natürlich gibt es faschistische Kräfte, die die Situation genutzt haben, um zu morden und zu vergewaltigen. Aber deswegen den serbischen Nationalismus als Faschismus zu zeichnen ...

... was aber Jungle World auch nicht geschrieben hat ...

... so wie die Linke immer gern den israelischen Nationalismus mit der Formel "Zionismus = Faschismus" denunziert hat, den Antinationalismus also ausgerechnet gegen jene Nationalstaaten zu richten, die von den Opfern und Gegnern des Nazi-Faschismus aufgebaut wurden - das ist der "Antinationalismus des dummen Kerls", der der deutschen Eroberungspolitik den Weg bereitet.

Jürgen Elsässer (Hg.): Nie wieder Krieg ohne uns. Das Kosovo und die neue deutsche Geopolitik. Konkret, Hamburg 1999, 165 Seiten, DM 22,80