Das Prinzip Arkan

Die serbischen Paramilitärs führten im Kosovo einen Krieg auf eigene Rechnung

Das Leben als Kriegsverbrecher kann so angenehm sein. Regelmäßig besuchte Zeljko Raznjatovic während der Nato-Luftangriffe gegen Jugoslawien das noble Hyatt Regency-Hotel in Belgrad und hielt dort hof. Flankiert von einigen attraktiven jungen Frauen und weniger attraktiven Bodyguards, ließ sich Raznjatovic, besser unter dem Namen "Arkan" bekannt, von westlichen Journalisten zum Fachsimpeln über die Kosovo-Krise bitten. Die Drinks für die Korrespondenten aus aller Welt gingen meist auf Arkans Rechnung.

Für Arkan hatte die PR-Offensive einen angenehmen Nebeneffekt: So konnte er beweisen, sich eben nicht im Kosovo zu befinden und daher auch nicht an möglichen Massakern an der albanischen Zivilbevölkerung beteiligt zu sein. Doch der physischen Anwesenheit des Chefs bedarf es gar nicht. Seit 1974 arbeitet der 46jährige Serbe slowenischer Herkunft am Aufbau eines hochprofitablen Unternehmens, dessen einziger geschäftlicher Inhalt die Verübung aller möglicher Straftaten ist.

In den siebziger Jahren sammelte er erste Haftbefehle aus Deutschland, Schweden und Belgien wegen diverser Banküberfälle und einiger Morde. Nach seiner Flucht aus einem niederländischen Gefängnis zog es Arkan vor, wieder gen Heimat zu reisen und stieg schnell zum Sicherheitschef der Belgrader Disko "Amadeus" auf. Anschließend wurde er Vorsitzender des Fanklubs von Roter Stern Belgrad und schon 1991 Chef des Zentrums für militärische Ausbildung im serbischen Innenministerium. Dort rekrutierte er Anhänger des Fußballklubs und widmet sich dem kriminellen Outsourcing: Die Rekruten wurden zu Arkans "Tigern" und bewährten sich in den folgenden Jahren als Söldner in eigenem Interesse im Bosnien-Krieg.

In der bosnischen Stadt Bijeljina verübten Arkans Tiger nach Angaben der New Yorker Human Rights Watch 400 Morde an den Einwohnern des Ortes. Auch in Bratunac, Brcko, Zvornik, Prijedor, Sanski Most, Rogatica und Visegrad killten sich die Tiger in die Annalen der Region.

Finanziell unterstützt wurde Arkan u. a. von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Kriegsverbrecher gründete nach dem Vertrag von Dayton 1995 eine Partei der Serbischen Einheit. Um im Wahlkampf Überzeugungsarbeit leisten zu können, sponserte die OSZE Arkans Partei mit 225 000 US-Dollar (umgerechnet etwa 150 000 Euro).

Gesponsert werden auch die Spiele von Arkans Fußballklub FK Obilic. Zwar mußte er vor einigen Jahren die Präsidentschaft des Klubs an seine Frau Ceca Velickovic, eine jugoslawische Pop-Sängerin, abgeben (Jungle World, Nr. 28/99), doch Arkan wirkt im Schatten weiter. Als der FK Obilic am 12. August 1998 gegen den FC Bayern München spielen sollte, war die Liste der Sponsoren lang und prominent: Opel, Adidas, die Bayerische Landesbank, Coca-Cola, Erdinger Weißbräu, Hewlett-Packard, Panasonic, SKL, TV-Spielfilm, Warsteiner, Würth, Konica und der Software-Gigant SAP betrieben Bandenwerbung im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Modell Arkan wurde auch im Kosovo angewandt: Während Arkan persönlich im Hyatt Regency saß, wüteten seine Paramilitärs im Kosovo. Wie in jedem der bisherigen Balkan-Kriege hatten die marodierenden Einheiten einen wesentlichen Anteil am militärischen Erfolg. Kosovo-albanische Flüchtlinge berichten völlig übereinstimmend, daß bei den Massakern häufig nach dem gleichen Muster vorgegangen wurde: Wer überleben wollte, mußte zahlen. Auch die völlig unterbezahlten Einheiten der jugoslawischen Armee und der Sonderpolizei MUP lernten von Arkans Tigern und besserten sich ihr Gehalt mit Plünderungen auf.

Die Belgrader Zentrale hatte teilweise keine Kontrolle mehr über die marodierenden Soldaten und Polizisten. Diese Verselbständigung der serbischen Einheiten begünstigte Massaker, die denen in Bosnien und Kroatien in ihrer Grausamkeit um nichts nachstehen. Erst am vergangenen Freitag fanden Einheiten der italienischen Kfor-Truppen rund um die Ortschaft Ljupenic in der Nähe der Stadt Pec Spuren eines Massakers: Angeblich sollen in dem Gebiet die Überreste von 350 Kosovo-Albanern verscharrt sein. Ein Dorfbewohner erinnert sich an die Exekutionen: "Am 1. April kamen serbische Paramilitärs, umstellten die Ortschaft und erschossen alle Männer, die verdächtigt wurden, zur UCK zu gehören."

Besonders schlimm erging es jenen Kosovo-Albanern, die in Gebieten wohnten, wo die UCK aktiv war. Schon einen Tag nach Beginn der Nato-Luftangriffe am 24. März etwa suchten serbische Einheiten das Dorf Bela Crkva heim. Es liegt an der Straße zwischen Dakovica und Prizren. Gerade dort versuchte die UCK immer wieder Vorstöße gegen die serbische Armee, und die rächte sich an den Zivilisten in Bela Crkva: Neben Hajrulla Begaj, dem 29jährigen Imam der Ortschaft, wurden 61 andere Dorfbewohner massakriert. In Dakovica selbst ermordeten Paramilitärs 47 kosovo-albanische Männer.

Am 2. und 3. Mai erschossen serbische Einheiten in Vucitrn 100 männliche Kosovo-Albaner, die gerade auf der Flucht nach Albanien waren. Auch hier glich die angeblich von Belgrad befohlene militärische Operation eher einem Raubüberfall mit anschließendem Blutrausch. So erzählt ein 19jähriger Überlebender: "Als die Soldaten zu uns kamen, zerrten sie meinen Bruder von unserem Traktor und fragten ihn nach Geld. Er gab ihnen ein paar Hundert Mark, danach schossen sie ihm in den Rücken. Dann zogen sie meinen Vater vom Traktor und verlangten Geld von ihm. Er gab ihnen 100 Mark, aber sie wollten 1 000 Mark. Die gab er ihnen auch. Auch von meinem Cousin wollten sie Geld. Mein Vater gab ihnen noch einmal 500 Mark."

So ähnlich erlebte es auch ein 20jähriges Mädchen aus Izbice. Auf der Flucht aus dem Dorf stieß ihr Konvoi auf serbische Paramilitärs, die ihre Absichten nicht lange verschwiegen: "Gebt uns Geld, wenn ihr überleben wollt." Mitgeteilt haben die Paramilitärs auch gleich die aktuelle Preisliste: Es koste 1 000 Mark, um eine Familie, und 100 Mark, um den Traktor zu retten.

Srbislav Dukic dagegen war einer jener Serben, der heute in seinem Dorf Sekirica als Held gefeiert wird. Von den Albanern. Als Dukic Anfang April bemerkte, daß serbische Militärs die Häuser seiner albanischen Nachbarn verbrennen wollten, schritt er ein: "Srbislav kam aus seinem Haus und schrie sie an, damit aufzuhören. Sie hörten auf. Ich hatte ihn nicht einmal darum gebeten", erinnert sich Dukics albanischer Nachbar Mustafa Ejupi.

Heute wird der 80jährige Serbe und seine Frau von der ganzen albanischen Bevölkerung des Ortes vor marodierenden UCK-Einheiten beschützt, die mittlerweile die Serben fast vollständig aus dem Kosovo vertrieben haben. Jeden Tag werden nun in der Provinz die Häuser der Serben geplündert und angezündet - ohne daß die Kfor-Truppen dagegen etwas unternehmen.

Mag sein, daß die Geschichte des Dorfes Sekirica einmalig im Kosovo ist. Denn Arkans Tiger und seine Kollegen hatten den Konflikt dringend gebraucht, um ihre Kriegskassen aufzufüllen. Immerhin heißt es in einem Bericht der jugoslawischen Armee zu Arkan: "Sein primäres Motiv ist nicht der Kampf gegen den Feind, sondern der Raub von Privateigentum und die unmenschliche Behandlung von Zivilisten."