Palastrevolten ohne Chance

London vollzieht einen Kurswechsel gegenüber Saddam Hussein. Der behauptet sich trotz schiitischer Aufstände und trotz Putschversuche

Mit ihrem plötzlichen Kurswechsel in der Irak-Politik gibt die britische Regierung derzeit nicht nur der Führung in Bagdad, sondern auch der französischen, chinesischen und russischen Regierung ein Rätsel auf. Hatten die Briten den Entwurf der drei Staaten zur vorübergehenden Aufhebung des UN-Embargos gegen den Irak noch vor einem Monat strikt abgelehnt, so präsentierten die Briten am Mittwoch vergangener Woche überraschend ein eigenes Resolutionspapier an den Weltsicherheitsrat - zur Aussetzung der Sanktionen.

Allem Anschein nach hat sich mittlerweile bei den Regierenden in Großbritannien die Ansicht durchgesetzt, daß sie mit ihrer kompromißlosen Haltung im Irak-Konflikt bisher eher einer möglichen Wiederaufnahme der Unscom-Aktivitäten geschadet und Saddam Hussein den Rücken gestärkt haben als umgekehrt. Erst am vorletzten Montag hatte sich der Irak zum wiederholten Male geweigert, mit den UN-Waffeninspekteuren zu kooperieren. Seit Bagdad die Aktivitäten der UN-Abrüstungskommission für beendet erklärt hat, ist mit einer baldigen Rückkehr der Inspektoren nicht zu rechnen.

Trotz des nunmehr fast neunjährigen Uno-Wirtschaftsembargos und den nahezu täglichen US-amerikanischen und britischen Angriffen in den nördlichen und südlichen Flugverbotszonen des Landes, sitzt Iraks Diktator nach wie vor fest im Sattel. Das politische Kalkül, mittels wirtschaftlicher und militärischer Vergeltungsmaßnahmen das Regime soweit zu destabilisieren, um einen Machtwechsel in der Führungsspitze herbeizuführen, ist nicht aufgegangen. Saddam Hussein ist zwar bis heute zu schwach, um gegen die britisch-amerikanischen Militärschläge nennenswerten Widerstand leisten zu können - allerdings stark genug, um seine innenpolitischen Rivalen in Schach zu halten und soziale Unruhen im Keim zu ersticken.

Schenkt man den zweifelhaften Ratschlägen der irakischen Revolutionspresse Glauben, so kann Slobodan Milosevic noch einiges vom selbsternannten Führer der "Mutter aller Schlachten" lernen: Jugoslawien solle "mit Entschlossenheit Widerstand leisten, um den amerikanischen Aggressoren eine Lektion zu erteilen", nachdem Saddam Hussein den USA bereits eine solche "in Würde" erteilt habe, verkündete die amtliche Tageszeitung ath-Thaura vor wenigen Monaten. Dabei überspielen die irakischen Medien den dauerhaften Kriegszustand im eigenen Land: Im April schlugen Saddams Elitetruppen bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres einen bewaffneten Aufstand schiitischer Oppositioneller in der südirakischen Stadt Basra nieder. Hunderte Dissidenten wurden inhaftiert, eine Moschee, in der sich schiitisches Propagandamaterial und Waffen fanden, wurde nach Angaben der NZZ dem Erdboden gleichmacht.

Vor dem Hintergrund der Ermordung des obersten schiitischen Geistlichen, Ayatollah Mohammad Sadiq as-Sadr, hatte es bereits im Februar Erhebungen im Südirak sowie im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Bagdader Stadtviertel "Saddam-City" gegeben. Nach Angaben des Vorsitzenden des Obersten Rats für die Islamische Revolution, eines in London ansässigen schiitischen Oppositionsbündnisses, sollen bei dem Zusammenstoß mit den irakischen Armee-Einheiten allein im Bagdader Schiitenviertel 25 Personen getötet und 50 weitere verletzt worden sein. Die arabische Zeitung Al-Ittihad berichtete, daß das Militär Panzer und schwere Artillerie einsetzte, nachdem die Aufständischen zuvor zahlreiche Regierungsvertreter in den Baath-Parteizentralen der Distrikte gefangen genommen und umgebracht hatten. Um den Militärs zu entgehen, sind seit dem Ausbruch der Unruhen rund 50 000 irakische Schiiten ins Nachbarland Iran geflohen.

Trotz der vorübergehenden Unterdrückung der Aufstände scheint ein dauerhaftes Ende der politischen Unruhen in den südlichen Regionen des Landes noch lange nicht in Sicht. Um neuerlichen Ausschreitungen vorzubeugen, hat die irakische Armeeführung inzwischen ihre Streitkräfte und Spezialeinheiten in den Krisengebieten verstärkt.

Indes geht Saddam Hussein nicht nur dem religiösen Widerstand an den Kragen, sondern läßt auch in seinen eigenen Reihen die Köpfe rollen: Im Zusammenhang mit den Aufständen wurden zwei hohe Angehörige einer Spezialeinheit des Präsidenten wegen Landesverrats vom Cousin des irakischen Diktators, Ali Hassan al-Majid, eigenhändig mit dem Schwert enthauptet. Darüber hinaus soll Saddams Cousin 25 weitere Mitglieder der Elite-Garde Fida'i Saddam erschossen haben, weil sie angeblich vertrauliche Informationen an oppositionelle Gruppen weitergegeben hatten. Sowohl britische Medien als auch Vertreter der exilirakischen Opposition berichteten in den vergangenen Monaten von einem der gefährlichsten Putschversuche gegen Saddam Hussein seit dem Ende des Zweiten Golf-Kriegs.

Daß der irakische Diktator bislang alle Palastrevolten heil überstanden hat, ist jedoch kein Zufall: Nach Ansicht von Amatzia Baram, Professor für Neuere Geschichte an der Universität im israelischen Haifa, verfügt Saddam Hussein über einen weitverzweigten Sicherheitsapparat, der das Aufkommen subversiver Tendenzen innerhalb der Führungsclique bereits im Keim erstickt. Zum einen verfügt der Staatschef über eine eigene Hausmacht, die sogenannten Speziellen Sicherheitsdienste, die als Leibwächter zu seinem persönlichen Schutz abgestellt sind. Der einige Tausend Mann umfassende Elitetrupp stammt fast ausschließlich aus Saddams Herkunftsstadt Tikrit sowie aus der angrenzenden Region und gehört ferner dem Familienclan des Diktators an.

Zum anderen existieren die loyalen Speziellen Republikanischen Garden, die mit Panzern und Artillerie ausgestattetet sind und als einzige Einheit den Zugang nach Bagdad kontrollieren. Als dritte Säule des baathistischen Sicherheitssystems fungieren die im Süden und Norden stationierten militärischen Verbände der Republikanischen Garden. Zusätzlich unterstützt wird der Herrschaftsapparat durch eine Unzahl privater Spitzel im Auftrag des Präsidenten sowie durch die inländischen Geheimdienste.

Ungeachtet des Embargos und der reduzierten staatlichen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft durch das "Oil for Food"-Programm der Uno genießen Saddam Husseins Offiziersseilschaften sämtliche wirtschaftliche Privilegien. Sie werden auf die Bagdader Führung eingeschworen, wobei ihnen eingetrichtert wird, daß mögliche Putschversuche innerhalb der Offiziersriege prinzipiell als Loyalitätsprüfung zu betrachten seien, die vom Präsidenten selbst initiiert wurden, um die Moral der Truppe zu testen. Da die Sicherheitseinheiten damit beschäftigt sind, sich ständig gegenseitig zu kontrollieren, und mit der Angst leben, jederzeit als potentielle Abtrünnige oder Verräter entlarvt zu werden, macht das System der Überwachung einen von langer Hand geplanten Staatsstreich fast unmöglich.

Die Hoffnungen der US-Führung auf einen möglichen Putsch ranghoher Offiziere gegen die irakische Führung scheinen daher aussichtslos zu sein. Und auch das jüngste Vorhaben, die exil-oppositionellen Gruppen des Irakischen Nationalkongresses (INC) gegen den Diktator aufzubauen, hat gegenwärtig wenig Chancen.

Daran dürfte auch die im Rahmen des "Iraq Liberation Act" vom US-Kongreß Ende letzten Jahres bewilligte Finanzspritze in Höhe von 97 Millionen Dollar für das irakische Oppositionsbündnis nichts ändern. Der INC ist vollkommen zerstritten. Er stellt ein zu großes Sammelbecken unterschiedlichster politischer Strömungen aus liberalen, sozialistischen und islamistischen Gruppierungen dar, als daß diese einen nennenswerten Einfluß auf die innenpolitische Situation im Irak nehmen könnten (Jungle World, Nr. 52-1/98). Das Forum eint lediglich das Ziel, Saddam Hussein zu stürzen.

Aziz Alkazaz vom Deutschen Orient-Institut geht davon aus, daß die Exilopposition ohnehin über wenig Rückhalt innerhalb der irakischen Zivilbevölkerung verfügt und darüber hinaus in den Augen vieler Iraker diskreditiert ist, da sie sehr offen mit den USA - den erklärten Feinden des Irak - kooperiert.

Auch die jüngsten Appelle der USA an die beiden kurdischen Fraktionen im Nordirak, dem INC Stützpunkte in den von ihnen kontrollierten Gebieten zur Verfügung zu stellen, sind sowohl bei Barzanis KDP als auch bei Talabanis PUK auf Skepsis gestoßen. Die kurdischen Parteien befürchten mögliche Vergeltungsschläge der Regierung in Bagdad und halten eine Zusammenarbeit mit dem INC nur dann für denkbar, wenn sich Washington zum militärischen Schutz des gesamten irakisch-kurdischen Gebiets bereit erklärt.

Die Beziehungen der irakischen Kurden zu den USA stehen derzeit nicht zum besten. So bezeichnete - laut NZZ - Talabani die von den USA jüngst beschworene "Wiedergeburt der irakischen Opposition" als illusorisch, da diese primär auf eine Palastrevolution gegen Saddam Hussein abzielen würde.

Ferner kritisierten die Kurdenchefs die ausbleibende finanzielle Unterstützung der US-Regierung sowie die anhaltenden Bombardierungen der Erdölgebiete um die nordirakische Stadt Mossul durch britische und US-Kampfjets. Die nordirakischen Öl-Pipelines in die Türkei sowie Erdöl-Pumpstationen wurden in den letzten Monaten mehrfach zerstört. Da die Iraker wegen der Luftangriffe ihre Erdöllieferungen in den Norden zeitweise aussetzen, droht die wichtigste Einnahmequelle der Kurden, der Erdölhandel, allmählich zu versiegen.