Mehr Kommunisten als Jäger

Nicht nur Frankreichs Regierungsparteien erlebten die Europa-Wahlen als Bestätigung. Auch die radikale Linke war erfolgreich

Bei den Wahlen zum Europa-Parlament hat in Frankreich die politische Linke deutlich besser abgeschnitten als das rechte Lager. Nicht nur die Regierungsparteien konnten sich bestätigt fühlen, auch die linksradikale Gemeinschaftsliste von Lutte Ouvrière (LO) und der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) verbuchten einen beachtlichen Wahlerfolg.

Die Konservativen und die neofaschistische Rechte besitzen zwar, zählt man ihre Stimmanteile zusammen, nach wie vor die Mehrheit. Doch wegen ihrer Zersplitterung ist die politische Rechte derzeit nicht handlungsfähig. Hinzu kommt, daß die Liste Sarkozy / Madelin, die von dem neogaullistischen RPR und den Berlusconi-Nachahmern der Partei Démocratie Libérale getragen wird, mit 12,82 Prozent auf den dritten Platz zurückgefallen ist. Sie wird sowohl von der Liste Hollande aus dem Mitte-Links-Spektrum, die 21,95 Prozent erhielt, wie auch von einer konkurrierenden Liste der Rechten überholt.

Die Liste Hollande wurde von drei der fünf Regierungsparteien gebildet: des sozialdemokratischen Parti socialiste (PS), des linksliberalen Parti radical de gauche sowie den Linksnationalisten. Der Spitzenkandidat Fran ç ois Hollande, erster Sekretär des PS, war vor allem als braver Vertreter der Regierungspolitik aufgetreten. Der Erfolg seiner Liste kann als Zeichen gedeutet werden, daß die französischen Wähler die seit zwei Jahren amtierende Regierung in ihrer Mehrheit nicht abstrafen wollten. Im Gegensatz zur britischen Labour Party und der deutschen SPD kamen die französischen Sozialdemokraten relativ ungeschoren davon. Vermutlich, weil sie gewerkschaftliche und andere soziale Akteure einbinden konnten. Das hindert die Jospin-Regierung nicht daran, trotz eines - im Vergleich zu Schröder und Blair - sozialeren Diskurses die vermeintlich notwendigen marktwirtschaftlichen Reformen weitgehend ungehindert umzusetzen.

Der zweite Wahlsieger in Frankreich heißt Daniel Cohn-Bendit. Fast zehn Prozent der Stimmen erhielt die von ihm geführte Liste der Grünen, die bei den letzten Europa-Wahlen 1994 gerade mal auf 2,9 Prozent kamen. Seine Liste war besonders bei jungen WählerInnen beliebt. Diese konnten damit ihre Opposition gegen die derzeitige Regierung - vor allem bei der Drogen-, Umwelt- oder Ausländerpolitik - ausdrücken, ohne dadurch die polit-ökonomische Grundordnung in Frage zu stellen. Cohn-Bendit befürwortete im Wahlkampf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, verteidigte den Nato-Krieg und erklärte, bei ökonomischen Fragen "keinerlei Tabus" zu kennen. Das Bild, das sich vor allem die Jungwähler von ihm machten, war davon jedoch nur am Rande geprägt. Die stärkste Resonanz fand er, wenn er sich mit konservativen Politikern über die Legalisierung von weichen Drogen stritt und sich für die Rechte von Homosexuellen aussprach.

In einem Interview mit der linksliberalen Tageszeitung Libération beschrieb Cohn-Bendit vergangene Woche, wie er sich eine "neue Linke" vorstellt. Darin grenzte er sich zwar gegen die neoliberalen Vorstellungen von Gerhard Schröder und Anthony Blair ab; doch auch an der Seine müsse die Linke mit ihrer Vergangenheit abrechnen. "In Frankreich gibt es etwas, was alles kompliziert: das Erbe des Streiks von 1995. Es ist Zeit, das zu überwinden", erklärte er.

Diese Antwort verwundert kaum, wenn man weiß, daß jene Intellektuellen einer "modernen Linken" - etwa Alain Touraine und Edgar Morin - zu Cohn-Bendits ersten Unterstützern zählten, und 1995 die Streikwelle im öffentlichen Dienst als "konservative Besitzstandswahrung" abgekanzelt hatten. Sie hatten auch die sozialliberale Gewerkschafterin Nicole Notat von der CFDT unterstützt, die ihrerseits der damaligen konservativen Juppé-Regierung gegen die Streiks den Rücken stärkte.

Keinen Zuwachs verzeichnete hingegen die "offene" Liste der KP, der es an einer inhaltlichen Kohärenz mangelte: Kriegsbefürworter mischten sich mit Kriegsgegnern, Regierungskritiker mit den Funktionsträgern sozialdemokratischer Politik. Mit 6,78 Prozent der Stimmen blieb die Liste knapp unter dem KP-Resultat vom Juni 1994 - und erhielt damit gerade 6 000 Stimmen mehr als die Liste Jagd, Fischerei, Natur und Traditionen (6,77 Prozent).

In den letzten Jahren schien zwar der Niedergangsprozeß der KP, der Mitte der achtziger Jahre begann und sich durch den Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" beschleunigte, vorläufig gestoppt. Ein Verdienst der "Öffnungspolitik" unter Robert Hue? Auf die Frage, wohin oder wozu sich die Partei öffnen will, gibt es bislang keine klaren Antworten. Viele KP-Anhänger sind über die "Liste der Öffnung" irritiert; dies scheint jedenfalls ein Grund für das schwache Abschneiden der Liste zu sein.

Zudem hat die KP sicher auch unter der Konkurrenz der Linksradikalen von Lutte Ouvrière und der Ligue Communiste Révolutionnaire gelitten. Mit 5,18 Prozent der Stimmen und rund 914 000 Wählern wird die von Arlette Laguiller (LO) und dem LCR-Sprecher Alain Krivine angeführte Liste fünf Abgeordnete ins Europa-Parlament entsenden. Zum zweiten Mal nach der Präsidentschaftswahl vom April 1995 - damals erhielt Laguiller 5,3 Prozent - übersprang die radikale Linke damit die Fünf-Prozent-Hürde. Dieser Wahlerfolg ist vor allem das Ergebnis einer kontinuierlichen Arbeit. So ist die LCR in sozialen Bewegungen stark präsent. Sie profitiert auch von ihrer Ausstrahlung - die aus der Bewegung des Mai 1968 entstandene Organisation hat zahlreiche ehemalige Mitglieder in Medien- und Kulturwelt.

LO hingegen konzentrierte sich jahrzehntelang auf eine Organisationsarbeit in den Betrieben - vor allem im privaten Sektor, wo es Gewerkschaften heute wesentlich schwerer als in öffentlichen Betrieben haben oder gar ganz fehlen. Wegen der daraus resultierenden Repression gegen ihre Mitglieder sowie ihrer rigiden Organisationskultur wird LO, im Gegensatz zur LCR, in den bürgerlichen Medien nur als dogmatische und abgeschottete Organisation gesehen. In den sozial schlechter gestellten Schichten trifft LO jedoch auf beträchtliche Resonanz und hat ein größeres Wählerpotential als die LCR.

Das von LO und (vor allem) der LCR angekündigte Projekt, nach einem guten Wahlergebnis eine neue politische Kraft zu initiieren, steht aber nicht sofort auf der Tagesordnung. Auf einer Großveranstaltung am vergangenen Freitag, an der in den Pariser Messehallen über 3 000 Personen teilnahmen, betonten Krivine und Laguiller, zunächst sollten die verschiedenen "Teilbereichskämpfe" (Arbeitskämpfe sowie Erwerbslosen- oder Antirassismusbewegung) zusammengeführt werden. Mittelfristig soll dann eine neue Organisation begründet werden - eine "breite antikapitalistische Kraft" nach Wunsch der LCR bzw. eine "echte revolutionär-kommunistische Partei" im Sinne von LO. Darin aber sollen die derzeit jeweils 2 000 Mitglieder der beiden Gruppen nicht die einzigen aktiven Kräfte sein.

Dennoch liefert das Wahlresultat vom 13. Juni für eine breitere Organisation aber noch keine hinreichende Dynamik. Denn die radikale Linke hat sich zwar seit 1995 stabilisiert, aber noch keine Zuwächse erzielt.