Malik Gouendoul

»Ich suche keine Rache«

Im Februar dieses Jahres wurde Maliks Bruder Farid, der sich in Deutschland Omar ben Noui nannte, im brandenburgischen Guben von einer Gruppe rechtsextremer und rassistischer Jugendlicher in den Tod gehetzt. Als jetzt vor drei Wochen der Prozeß gegen die elf mutmaßlichen Täter begann, ist Malik Gouendoul, der älteste Bruder von Farids neun Geschwistern, aus Algier nach Deutschland gereist. Zehn Tage lang blieb der 39jährige Bankangestellte hier und besuchte den Prozeß vor dem Cottbusser Landgericht.

Warum ist Ihr Bruder Farid Gouendoul nach Deutschland gekommen?

1997 hat Farid sein Studium als Flugzeugingenieur beendet. Danach hätte er sich zum Militärdienst melden müssen. Davor hatte er Angst, denn ein Studierter wird als Soldat besonders schnell zur Zielscheibe der Fundamentalisten. Deshalb entschied er sich, Algerien zu verlassen. Allerdings braucht man für ein Ausreisevisum einen Nachweis, daß man den zweijährigen Wehrdienst in der algerischen Armee abgeleistet hat. Farid mußte das Land also auf Umwegen verlassen und seine Identität wechseln.

Darüber will ich aber nicht genauer reden. Er hat der Familie vorher nicht gesagt, daß er nach Deutschland fährt. Wahrscheinlich wußte er selber nicht so exakt, wo in Europa er am Ende ankommen würde. Es hat lange gedauert, bis er sich dann wieder bei uns gemeldet hat, fast drei Monate. Danach rief Farid dann alle zwei bis drei Wochen an und bestätigte, daß es ihm gut gehe. Aber unsere Mutter wollte ihm das nie glauben.

Außerdem erzählt er, daß er Schwierigkeiten habe, Arbeit zu finden. Wo genau er in Deutschland war, darüber haben wir nicht geredet. Für unsere Mutter war Farids Abwesenheit besonders schwierig. Schließlich hatte sie alles dafür gegeben, daß er studieren konnte. Und dann hat es ihm die verdammte Lage in Algerien unmöglich gemacht, dort zu bleiben.

Wußten Sie und Ihre Familie, wie sich die politische Situation in Deutschland nach 1990 entwickelt hat und daß es eine steigende Zahl von rassistischen Angriffen und Morden gibt?

Generell wußten wir über Deutschland, daß es ein ökonomisch starkes Land ist, das viel Einfluß und Macht hat. Schon als Kind war mir klar, daß in Deutschland der Rechtsradikalismus keineswegs besiegt ist. Natürlich berichteten die Medien darüber, wie sich die Lage in Deutschland nach 1990 entwickelte. Aber genauer hat mich das nie interessiert. Rassismus ist eine Krankheit. Rassismus und Diskriminierung von Fremden im weitesten Sinn gibt es aber auch in Algerien. So sind beispielsweise die Bewohner von Algier gegenüber Fremden sehr arrogant. Es gibt Vorurteile gegenüber Berbern und Sahauris. Rassismus ist kein Stempel, den ich alleine Deutschland aufdrücken will. Diese Jugendlichen, die meinen Bruder umgebracht haben, bestätigen mich aber darin, daß der Rassismus in Deutschland virulent ist.

Wie haben Sie von Farids Tod erfahren. Und wie haben die algerischen Medien darauf reagiert?

Sicher, die Frage liegt nahe: Wenn die algerische Polizei, die Armee und die Terroristen Tausende von Menschen umbringen, wer interessiert sich dann noch für den Tod eines einzelnen Menschen? Es gab nur kleine Meldungen in den algerischen Medien. Ich bin selbst später zur Presse gegangen und habe ihnen ein Foto von Farid mitgebracht, damit seine Freunde und Bekannten erfahren konnten, was geschehen war.

Wir haben zuerst indirekt von Farids Tod erfahren, weil wir keine Satellitenschüssel fürs Fernsehen besitzen. In unserer Nähe wohnen Leute, die über einen Satellitenempfang verfügen. Sie haben einen Bericht auf Euro News gehört. Der Name des Toten war zwar nicht identisch mit dem meines Bruders, aber sie erkannten ihn auf dem Foto. Bei der Arbeit hat mich dann jemand angesprochen, der den Bericht gesehen hatte. Zusammen mit anderen Angehörigen sahen wir uns die Sendung noch einmal an, und auch wenn Vor- und Familienname völlig falsch waren, war mir völlig klar: das ist mein Bruder. Wir hatten keine Telefonnummer von Farid in Deutschland, um dort nachzufragen. Aber dann hat der Bruder eines Bekannten angerufen, der auch hier lebt. Er bestätigte die Nachricht.

Wurden Sie denn von den deutschen Behörden unterstützt?

Ich habe nach dem Anruf selbst Kontakt zur deutschen Botschaft aufgenommen. Die Botschaft gab mir einen Termin, der drei Tage später stattfinden sollte. Dafür habe ich alle Papiere mitgenommen, um ihnen zu zeigen, daß Farid mein Bruder ist. Die deutschen Behörden wußten das ja nicht, weil er hier unter einem falschen Namen lebte. Später bekam ich von der Botschaft ein Visum für die Einreise nach Deutschland, um die Leiche nach Algerien zu holen. Sie haben auch ihr Beileid ausgedrückt.

Es dauerte 17 Tage, bis der Sarg schließlich überführt wurde. Einen Tag, bevor ich nach Deutschland reisen wollte, kam er dann in Algier an. Zusammen mit einer Tante und einem Onkel habe ich ihn am Flughafen abgeholt und nach Hause gebracht. Am nächsten Tag haben wir ihn begraben.

Warum sind Sie jetzt nach Deutschland gekommen?

Eigentlich wollte ich nie hierher kommen, ich hatte es nie geplant. Jetzt bin ich praktisch dazu gezwungen worden. Meine Mutter wollte, daß ich zum Gericht gehe und mir außerdem anschaue, wo Farid gelebt hat und wo er gestorben ist, um ihr dann davon zu berichten.

Was für einen Eindruck haben Sie bisher von dem Prozeß?

Als ich die zehn Angeklagten gesehen habe, sah ich vor meinen Augen gleichzeitig die Leiche meines Bruders. Die ganze Zeit fragte ich mich: Warum haben die meinen Bruder ermordet? Er war lieb, er hat nie jemandem etwas getan. Wenn er nur noch leben würde - egal, wie schlimm er verletzt worden wäre -, dann wäre ich bereit, aufzustehen und ihnen zu verzeihen. Ich war wütend und hatte Haß. Bei der Aufzählung ihrer Vorstrafen fragte ich mich immer wieder, wie es denn sein kann, daß sie auf freiem Fuß sind?

Aber gleichzeitig ist unübersehbar, daß sie noch Kinder sind. Ich möchte, daß sie bestraft werden. Aber ich möchte auch, daß die Behörden auf sie aufpassen, damit nicht noch mehr Morde passieren und damit sie eine Zukunft haben. Ich suche keine Rache, nur Gerechtigkeit.

Es schockiert mich, daß keiner der Eltern, die die Täter begleitet haben, aufgestanden ist, um sich zu entschuldigen. Sie verhielten sich, als wenn sie einen Krankenbesuch machen würden. Sie haben ihren Kindern Getränke gebracht und freundlich mit ihnen geredet. Die Rechten haben einfach gequatscht, als wenn nichts passiert wäre. Ich fühlte mich im Gerichtsgebäude trotz des Polizeischutzes sehr unwohl.

Haben Sie auch andere Erfahrungen mit Deutschen gemacht?

Die Tatsache, daß auch Unterstützer im Gerichtssaal waren, hat mich davon überzeugt, daß Deutsche normale Menschen sind. Ich kann durchaus unterscheiden und erkennen, daß die Rechten nur eine kleine Gruppe sind.

Ich möchte auf jeden Fall gerne die Aussagen der Täter und der Zeugen zu der Nacht von Farids Tod hören. Wenn das zum Prozeßthema wird, komme ich zusammen mit meinem Bruder wieder. Aber wenn der Prozeß zu Ende ist, werde ich nie wieder nach Deutschland kommen. Seid mir nicht böse, aber das ist so.

Was erwarten Sie vom Gericht?

Die Täter sind zu jung. Mein Wunsch ist, daß das Gericht das richtige Urteil trifft und gleichzeitig eben auf die jungen Männer aufpaßt. Die Justiz sollte solchen Menschen eine Zukunft geben. Farid ist tot, aber es sollte wenigstens nicht noch mehr Tote oder Morde geben. Mir ist klar, daß die Mehrheit in Deutschland gegen Ausländer eingestellt ist.

Aber auch viele deutsche Leute werden von den Rechten bedroht, sie sind nicht nur gegenüber Ausländern gewalttätig. Es könnte sein, daß das, was Farid passiert ist, auch euch passieren kann. Deshalb müßte es im Interesse aller sein, mit dem Problem sorgfältig umzugehen.

Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich die anderen Deutschen kennengelernt. Wenn ich die Jungen jetzt auf der Anklagebank sehe, dann denke ich, daß sie gar nicht dazugehören. Ich hatte erwartet, daß die Mörder groß, kräftig und erwachsen sind. Als ich dann gesehen habe, daß sie so jung sind, hat mir das weh getan. Ich wünsche mir, daß Allah ihnen verzeiht. Trotzdem muß ich dankbar sein, daß die Deutschen mir die Möglichkeit gegeben haben, hierherzukommen.

Welche Auswirkungen hat Farids Tod auf Sie und Ihre Familie gehabt?

Meine Mutter ist seitdem krank. Für uns ist die Situation sehr schwer. Mein Vater ist vor sechs Jahren gestorben, und ich muß jetzt für den Unterhalt der Familie sorgen. Um zum Prozeßbeginn hierherzukommen, habe ich mir zwei Wochen Urlaub genommen. Den Rest werde ich nehmen, wenn das Gericht Farids Tod verhandelt. Aber ohne die finanzielle Unterstützung einiger Organisationen hier, die mein Flugticket bezahlt haben, hätte ich nicht kommen können.