Parteigänger und linksgrüne Aussteiger

Desertieren!

Erwartungsgemäß rollt nach der Niederlage der grünen KriegsgegnerInnen keine Austrittswelle durch die Partei. Die Ein- und Austritte halten sich eher im normalen Rahmen. Die Linken sind schon in den letzten zehn Jahren tröpfchenweise ausgetreten, seit 1994 hat sich die Hälfte der Mitgliedschaft ausgetauscht. Wohl keine andere Partei wurde so schnell durch Umwandlung der Mitgliedschaft verändert wie die Grünen der Neunziger. Während die GründerInnen der grünen und alternativen Listen in sozialen Bewegungen engagiert waren, ist es für die heutigen Grünen oftmals die erste politische Handlung ihres Lebens, das Parteibeitrittsformular auszufüllen. Politische Sozialisation: entfällt. Besondere Kennzeichen: bürgerlich und karriereorientiert.

Schlechte Voraussetzungen also für ein linkes Projekt. Aber auch die große Minderheit derjenigen, die auf dem Parteitag unterlegen waren, kommt als Hoffnungsträger nicht in Frage. Der "Ströbele-Antrag", dem 40 Prozent der Delegierten zustimmten, enthält eher Lob als Kritik für die Kriegsregierung. Der Antrag bezieht sich positiv auf die "Friedenspläne" von Joseph Fischer und der G 8. Die AntragstellerInnen werden nicht müde, ihre Koalitionstreue zu betonen. Eine Stimme für einen solchen Antrag ist kein Zeichen für vorhandene Courage oder gar ein linksemanzipatorisches Weltbild. Diese 40 Prozent haben nur gefordert, mit einem Angriffskrieg aufzuhören, der ohnehin schon durch die Verfassung verboten ist. Für die weitergehende Position, die Joseph Fischer vorsichtig als Teil des Problems benennt, bekam die Anti-Kriegs-Initiative um Ilka Schröder und Uli Cremer weit weniger Zustimmung.

Mit dem Krieg gegen Jugoslawien hat die Bundesregierung eines der früher wichtigsten Ziele der Grünen ins Gegenteil verkehrt. Damit sich das Regieren noch lohnt, müßten jetzt innenpolitisch linksgrüne Konzepte realisiert werden. Die Zurückhaltung mancher Rest-Linker bei der Frage des Parteiaustrittes ist aber auch abgesehen vom Krieg unglaubwürdig - diese linken Projekte sind schließlich nicht in Sicht.

Der Atomausstieg wird etwa 20 Jahre dauern, wobei die SPD-Fraktion hier auf einen schnelleren Ausstieg drängt als die grünen Nachhaltigkeits-Prediger. Das Staatsbürgerschaftsrecht hätte eine erneute christlich-liberale Koalition etwa so wie Rot-Grün gelöst. Als Belohnung für Leistungskürzungen sollen Jugendliche nach der Vorstellung der Mehrheit der Grünen zur Arbeit zwangsverpflichtet werden. Im Europawahlkampf werden die jungen Menschen per Plakat darauf eingestimmt: "Jugend braucht Arbeit."

Wer versuchen will, aus den Institutionen heraus die Gesellschaft zu verändern, kann genauso in die CDU oder SPD eintreten. Folgt man dieser Logik, ist das sogar effektiver, da diese Parteien im Gegensatz zum kleinen grünen Ja-Sager-Koalitionspartner wirklich regieren. Um den Verbleib in der Partei zu verteidigen, verweisen viele auf die fehlende Alternative für linkes politisches Engagement. Tatsächlich herrscht in der bundesdeutschen Gesellschaft eine Friedhofsruhe wie zuletzt Mitte der sechziger Jahre. Es gibt keine schlagkräftige politische Bewegung oder Organisation, die linke Ex-Grüne auffangen könnte. Doch hier wird Ursache mit Wirkung verwechselt: Solange Menschen wie Buntenbach, Simmert und Ströbele bei den Grünen sind, ist es schwieriger, Partei und Regierung von links zu bekämpfen.

Erst wenn dem letzten Stammtisch klar ist, daß SPD und Grüne nicht Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie, sondern nur mehr Unternehmerfreiheiten, Krieg und Nachhaltigkeit bedeuten, werden die Menschen merken, daß dort für Linke nichts zu holen ist. Selbst wenn die Linke diese "Hegemonie in den Köpfen" (Gramsci) nicht erreichen wird - die Alternative Privatleben ist allemal politisch sinnvoller, als das linke menschliche Schutzschild für eine neoliberale Kriegspartei zu sein.

Ob das in Dortmund gegründete Netzwerk der linken Ex-Grünen eine kontinuierliche Arbeit leisten wird, bleibt abzuwarten. Möglicherweise geschieht das gleiche wie mit der letzten Grünen-Abspaltung: Die Ökologische Linke spaltete sich von Treffen zu Treffen immer weiter. Die erste Spaltung des Dortmunder Netzwerkes - die Loslösung von den Grünen - ist aber konsequent und macht Hoffnung. Lieber ein grünes Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Linke Grü-ne, desertiert, solange es die Grünen noch gibt!

Tilman Heller war im Landesvorstand der Berliner Grünen und ist direkt nach Kriegsbeginn aus der Partei ausgetreten