Benjamin Mikfeld

»Die Linken handeln ohne Konzept«

Mit einem kleinen Eklat nahm Benjamin Mikfeld vor anderthalb Wochen sein Amt als neu gewählter Juso-Vorsitzender auf: Seinen Amtsvorgänger Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete der neue Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation als "Rechtsaußen", der in der SPD "die Kapitänsbinde an sich gezogen" habe. Damit verband der 26jährige Student der Sozialwissenschaften aus Bochum die Ankündigung, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit diese sich für ein Ende des Krieges gegen Jugoslawien stark macht. So setzte er eine Resolution des Juso-Kongresses um, in dem dieser - anders als der grüne Koalitionspartner am vergangenen Wochenende - eine sofortige unbedingte Einstellung des Nato-Bombardements, den Abzug aller deutschen Soldaten aus Mazedonien und das Ende der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien gefordert hatte. Auch bei den Jusos sind solche Positionen nicht unumstritten: Mikfeld erhielt die Quittung in Form einer äußerst knappen Mehrheit von nur 50,9 Prozent der Stimmen; 43,6 Prozent der Delegierten stimmten gegen ihn, obwohl es noch nicht einmal einen Gegenkandidaten gab.

Sind Sie froh, daß die Grünen nicht so abgestimmt haben wie die Jusos? Hätten sie es getan, wäre vermutlich die Koalition flöten gegangen.

Ich habe eine Menge kritische Stimmen aus dem linken Lager der Grünen gehört, die zwar gerne wie die Jusos einen Beschluß herbeigeführt hätten, der die sofortige Beendigung der Nato-Luftangriffe fordert. Gleichzeitig haben sie aber deutlich gemacht, daß ein Zuwiderhandeln des Außenministers nicht die Forderung nach einem Ende der Koalition nach sich zöge. Den intelligentesten Beitrag hat die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn gebracht: Sie hat gesagt, was der Außenminister macht, ist das eine. Die Partei hat aber auch den Auftrag, an der öffentlichen Willensbildung teilzuhaben, und das ist das andere.

Ist das nicht eine wachsweiche Position? Zu sagen, wir sind in die Regierung eingetreten, um bestimmte Ziele durchzusetzen, aber wenn unsere eigenen Leute etwas ganz anderes machen, dann hat das auch keine Folgen?

Nein. Das ist einfach das Dilemma, in dem sich kritische Kräfte in Regierungsparteien befinden. Diesen Lernprozeß machen die Jusos genauso durch wie die linken Grünen: Damit, daß ein Parteitagsbeschluß nicht immer eins zu eins in Regierungspolitik mündet, muß man sich abfinden. Parteitagsbeschlüsse sind dazu da, die mittelfristigen Linien klarzuziehen. Das eigentliche Dilemma ist, daß die Linken bei den Grünen wie die Linken bei der SPD nicht wirklich ein Konzept haben, wie man mittelfristig in der Bundesrepublik linke Politik wieder stärken kann, sondern daß auch diese Kräfte immer aus der Situation heraus handeln und keine eigene Tagesordnung bestimmen.

Wäre es nicht das mindeste zu sagen, bestimmte Entscheidungen trägt man nicht mehr mit?

Und was dann? Unser Problem liegt doch tiefer. Wesentliche Teile der Linken sind noch in den Nischen der achtziger Jahre. Sie haben ökonomische und gesellschaftliche Umbrüche nicht wirklich verarbeitet, sie haben nicht versucht, darauf eine Stärkung linker Politik aufzubauen. Die gesellschaftliche Situation ist nun mal eine andere als vor zwanzig Jahren. Und die Neue Mitte - das sind nicht alles Westerwelle-Fans und neoliberale Yuppies, sondern das sind neu entstandene und wachsende soziale Milieus, in denen sich durchaus noch eine ganze Reihe progressive Inhalte finden lassen. Aber einen strategischen Ansatz, der den Wirtschaftsberater, die Journalistin, den Software-Ingenieur in die Linke einbezieht, gibt es ja kaum.

Doch prinzipielle Fragestellungen, wie die, ob man militärische Mittel für geeignet zur Beendigung irgendwelcher Schweinereien hält, haben mit der Entwicklung gesellschaftlicher Milieus relativ wenig zu tun. Diese Frage wurde von den Jusos wie von den Grünen früher eindeutig mit Nein beantwortet.

Ich beantworte sie auch nach wie vor mit Nein. Dennoch sehe ich in den Debatten der letzten Jahre auch Defizite auf der Seite der Linken. Die Standortdiskussion hat dazu geführt, daß die Diskussion um die Themen der Linken in den letzten Jahren stark um den Nationalstaat zentriert war; alle internationalen Fragen wurden isoliert voneinander betrachtet. Jetzt geht es darum, die Diskussionslinien der letzten Jahre - um die Zukunft der Weltwirtschaftsordnung, um Krisenprävention, um eine europäische Sicherheitsarchitektur - zusammenzuführen in ein schlüssiges außenpolitisches Konzept. Da sehe ich die Herausforderungen der nächsten Zeit. Wir müssen den Moralismus auf beiden Seiten überwinden. Gerade in der Auseinandersetzung über Krieg und Frieden ist er als alleiniger Ratgeber untauglich.

Die Grünen waren als Partei angetreten, deren Hauptinhalt - in klarer Abgrenzung zur damaligen SPD-Regierung - der Pazifismus war. Für viele Grünen-Wähler ist das bis heute ein wichtiger Punkt geblieben. Befürchten Sie, daß der SPD bei der nächsten Wahl der Koalitionspartner verlorengeht?

Ich hoffe, daß die Grünen das, was die innere Situation angeht, aushalten. Ich hoffe auch, daß diejenigen, die den Kampfeinsatz befürworten, das ernst meinen, daß das eine Ausnahme bleibt, und daß man sich, wenn diese Jugoslawien-Situation erst einmal ausgestanden ist, auch Gedanken über ein zukünftiges Friedenskonzept macht. Was die mögliche Erosion der Wähler angeht, befürchte ich in der Tat, daß sich viele linke Menschen von der Parteiendemokratie insgesamt abwenden und sich weiter in ihre Nischen zurückziehen.

Das würde bedeuten, daß die SPD in Zukunft nur noch mit der FDP oder in einer Großen Koalition regieren könnte ...

In Nordrhein-Westfalen deutet sich bereits an, daß das ein zukünftiges Modell sein könnte. Zwischen Möllemann und Wolfgang Clement sind die Unterschiede in der Wirtschaftspolitik ja so groß nicht. Aber das Problem liegt weniger bei einzelnen Personen in der SPD, das Problem liegt darin, daß Rot-Grün als Reformprojekt neu diskutiert werden muß. Als soziale Variante von Standortpolitik plus Ökoliberalismus ist es wenig ausstrahlungs- und zukunftsfähig. Es gab in den Achtzigern viele Debattenbeiträge zu diesem Projekt, die verloren gegangen sind. In den letzten Jahren hat es die Linke nicht geschafft, beispielsweise die Standortdebatte von links aufzuzäumen, ein schlüssiges Gegenkonzept zu entwickeln.

Dieser Debatte haben ja auch die Grünen nichts entgegenzusetzen.

Im Gegenteil, sie rennen ihr hinterher. Die finanzpolitischen Positionen des Herrn Oswald Metzger sind noch einmal deutlich konservativer als das, was den SPD-Mainstream ausmacht. Da zeigen die Grünen, daß sie eine Partei des gesellschaftlichen Mittelstandes sind. Und sie versuchen auch, diese Klientelinteressen zu vertreten. In diesen inhaltlichen Fragen sind die Grünen in der Tat auf dem Weg zu einer Öko-FDP.

Auch in Ihrer eigenen Partei haben mit Schröder, Hombach und Clement die Standortpolitiker das Sagen.

Ja, aber sie werden über kurz oder lang Opfer ihrer eigenen Widersprüche werden. Mit dem, was gegenwärtig vorgelegt wird - ob es das Niedriglohnkonzept oder Hombachs angebliche "Angebotspolitik von links" ist, bei der die linken Anregungen relativ gering sind -, werden sie die Massenarbeitslosigkeit nicht bekämpfen. Sie werden mit dieser Politik auch nicht moderne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begeistern können. Hombach gilt nur deswegen als Vordenker, weil er das intellektuelle Vakuum der SPD füllt - allerdings auch nur mit heißer Luft und einigen wissenschaftlich klingenden Halbwahrheiten. Wenn die Menschen erkennen, daß die Regierung mit ihrem Ansatz nicht wirklich die Probleme löst, dann sehe ich auch wieder die Bereitschaft dafür, kritische Positionen zu diskutieren.

Das klingt nach einem recht pessimistischen Ausblick in die Zukunft.

Nein, ich vertrete nur die Position, daß die konsequentere Linke in der Bundesrepublik mal wieder Strategie und Taktik sauber diskutieren muß.

Auch gegenüber den eigenen Parteien?

Parteien sind als demokratische Willensbildungsorgane unverzichtbar. Allerdings müssen sich diejenigen, die noch an linken Entwürfen interessiert sind, stärker vernetzen mit Gleichgesinnten in anderen Parteien, in der Wissenschaft, bei den Gewerkschaften. Eine neue Verständigung der Linken ist nur quer zu den Organisations- und inhaltlichen Ressortgrenzen denkbar. Wir brauchen so etwas wie eine Neue Linke - nicht als homogene Strömung oder gar Organisation, sondern als intellektuelles und kampagnenfähiges Netzwerk.

Hätten Sie am Abend des 27. September geglaubt, daß die Linke ein gutes halbes Jahr später so bar jeden Einflusses sein würde?

Ja. Wir haben von vornherein darauf hingewiesen, daß die SPD ihre autoritäre Transformation fortsetzen wird, daß die Spielräume für kritische Positionen in der SPD erst recht in der Regierungssituation wesentlich geringer werden. Wir konnten nicht absehen, daß Schröder auch noch Parteivorsitzender wird. Dadurch wird die Lage weiter verschlechtert, weil der Kanzler und Parteivorsitzende immer argumentiert, ihr dürft nicht diskutieren. Sobald auch nur die Spur von Dissens öffentlich wird, schadet ihr mir und der Regierungspolitik. Die SPD ist nun mal leider eine Partei, die sich auf solche Argumentationen einläßt. Wir müssen natürlich mit der Regierungspolitik die Auseinandersetzung suchen, aber die größeren Würfe sind eine Frage von vielen, vielen Jahren. Und da müssen wir erst wieder klein anfangen.

Von wem könnte nach dem Weggang von Lafontaine eine solche Erneuerung überhaupt ausgehen?

Der Weggang von Lafontaine hat ein politisches Vakuum hinterlassen, das nicht durch Einzelpersonen wieder gefüllt werden kann. Die Parteilinke, der Frankfurter Kreis, hat sich in den letzten Jahren zu sehr hinter Lafontaine versteckt und sich dem Irrglauben hingegeben, der Parteivorsitzende sei ein Vertreter der Linken. Ich selbst habe immer die Position vertreten: Wenn man Lafontaines Politik umsetzen will, muß man Druck auf ihn ausüben, weil er eben als Parteivorsitzender der Mann der Mitte sein mußte. Ich sehe gegenwärtig keine Figuren, die das auf ihre Schultern nehmen könnten. Das müssen breitere Kreise sein. Teile der jungen Abgeordneten um Andrea Nahles spielen da eine Rolle, die Jusos spielen eine Rolle, auch viele Leute in den Regionen. Aber das muß erst langsam wieder aufgebaut werden.