»Hello, Sir! I've shot you down!«

Der "Zero Tolerance" in New York soll ein "urbanes Eden" folgen. Selbst die Polizei soll höflich werden

Shit happens. Selbst in der Millionenstadt New York, wo der republikanische Bürgermeister Rudolph Giuliani alles im Griff zu haben glaubte.

Und nun dies: Vier weiße Polizisten suchten in der Bronx nach einem Vergewaltiger. Und zwar vermuteten sie ihn in dem 22 Jahre alten Amadou Diallo. Als sie ihn zu Hause antrafen, rechneten sie mit bewaffneter Gegenwehr und schossen gleich drauflos. 41 Kugeln gaben sie auf den Immigranten aus Guinea ab, 19 davon trafen den Mann.

Bewaffnet war Diallo zwar nicht und der mutmaßliche Vergewaltiger wurde erst vergangene Woche festgenommen - über zwei Monate nach der Aktion der eifrigen Beamten. Dem Immigranten nützt das aber nichts mehr. Denn er überlebte den Polizeieinsatz nicht.

Was soll's: "Solche Dinge passieren", wie die Washington Post anmerkt. Zumindest, wenn Bürgermeister Giuliani und sein Polizeichef Howard Safir das Sagen haben. Denn für die beiden Männer zählt nur ihre Strategie des "Zero Tolerance". Deswegen kommt man in New York in den Knast, wenn man beim Schwarzfahren erwischt wird, deswegen ging es den Sex-Shops am Time Square an den Kragen, deswegen sollten das Tempolimit rigide durchgesetzt und die Autos alkoholisierter Fahrer beschlagnahmt werden.

Stolz präsentierten die Herren der Stadt bisher die Ergebnisse ihres Schaffens: 1992 wurden in New York noch 2 200 Menschen ermordet, im letzten Jahr waren es nur noch 600. Und noch Ende Februar, drei Wochen nach den Schüssen auf Diallo, startete Bürgermeister Giuliani eine neue Initiative, um New York zu einem "urbanen Eden" zu machen. Freundlich und höflich sollten die Menschen miteinander umgehen und aus der Millionenmetropole ein wahrhaft ruhiges Idyll machen.

Der Stadtoberste ging gleich mit gutem Beispiel voran, entschuldigte sich für den Tod Diallos, besuchte brav dessen Mutter und die Beerdigung. Nur: Besonders beliebt machte er sich damit nicht.

Vor dem Polizeihauptquartier am Police Plaza wird jedenfalls seit dem Vorfall demonstriert: "Stoppt die Mörder!", "Giuliani in den Knast" und "Adolf Giuliani" steht auf den Transparenten. Und die Behörden reagieren strikt nach ihrem "Zero Tolerance"-Konzept: 1 166 Demonstranten wurden bis zur vergangenen Woche von der Polizei festgenommen - unter ihnen auch der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson und David Dinkins, ein ehemaliger Bürgermeister von New York.

Zumindest ein Demonstrant blieb allerdings verschont: Denn Michael Rollo ist ein Gegendemonstrant - und nebenbei Polizeioffizier. Seine Forderung lautet "Unterstützt das NYPD". Schließlich hat sich mittlerweile selbst die Bundespolizei FBI eingeschaltet, die Leiche untersucht, Zeugenaussagen aufgenommen, am Tatort die Schießerei nachgespielt und Ermittlungen gegen die New Yorker Cops eingeleitet.

Der Nation of Islam von Louis Farrakhan paßt ein von weißen Polizisten erschossener Schwarzer genau in ihr identitäres Politikkonzept: Auf einer Protestkundgebung im Stadtteil Brooklyn rief der Nation-Vertreter Benjamin Muhammad seinen Brüdern zu: "Wir brauchen Zero Tolerance für rassistische, mörderische Polizisten, die in unserer community die Leute abknallen."

Mittlerweile haben auch Giuliani und Safir erkannt, daß die "Zero Tolerance" vielleicht bei der weißen Mittel- und Oberschicht in Manhattan ankommen mag, das übereifrige Auftreten ihrer Cops aber nicht gerade popularitätsfördernd ist. Und das ist schlecht, weil Giuliani überlegt, sich im Jahr 2000 für New York in den Senat wählen zu lassen.

Deswegen soll jetzt alles anders werden. Am vergangenen Mittwoch besuchten Bürgermeister und Polizeichef gemeinsam eine Polizeistation in Harlem. Und brachten den Beamten tolles neues Equipment mit: eine "Höflichkeitskarte". Ganz freundlich sollen die Beamten dadurch daran erinnert werden, daß sie auch Verdächtige ganz höflich mit "Ma'am" oder "Sir" ansprechen sollen - und zwar vor dem Schußwaffeneinsatz. Auch andere Zauberworte sollen das Verhältnis zwischen Ordnungsmacht und "Bürgern" verbessern: "Hello" oder "Thank you" beispielsweise.

Und die Beamten der New Yorker Polizei, der auf Protestdemonstrationen vorgeworfen wurde, sich längst zu einer Privatarmee entwickelt zu haben, zeigten sich höchst gelehrig. Das berichtete zumindest die New York Times: "Die Polizisten lauschten höflich - wie Mitglieder paramilitärischer Organisationen zuzuhören haben, wenn ihre Vorgesetzten reden: Sie standen in Achtung-Stellung, Kinn hoch, die Augen nach vorn gerichtet und die Schuhe blankgewichst."