Heim in den Krieg

Aus dem Kosovo Geflohene werden in Deutschland weiterhin nicht als Kriegsflüchtlinge anerkannt. Ein Abschiebestopp wird nicht einmal erwogen

Berlin-Kreuzberg am Tag vor dem Nato-Militärschlag gegen Jugoslawien: Der bevorstehende Krieg ist für die zwei Männer, die am U-Bahnhof Möckernbrücke ihr Bier trinken, Gesprächsthema. "Die sollen endlich anfangen. Ein Krieg ist billiger, als die Asylanten durchzufüttern", meint der kleine Hagere. Was die "Asylanten" kosten, scheint er genau zu wissen: "Millionen jeden Monat". "Je mehr Bomben fallen, desto weniger Asylanten bleiben übrig", ist sich der Ältere sicher. Als Deutscher gehöre er in Kreuzberg ohnehin einer Minderheit an. "Mein Großvater ist für Deutschland gefallen. Und ich muß unter Ausländern wohnen." Für die zwei Männer steht fest: Nur ein Krieg kann sie vor der von ihnen gefürchteten Überfremdung schützen.

Doch nicht nur der Kreuzberger Stammtischkundschaft, auch den Innenpolitikern der Länder und des Bundes sind die Flüchtlinge aus dem Kosovo, um deren Wohl die Nato angeblich so besorgt ist, ein Dorn im Auge. Deutsche Behörden lassen nichts unversucht, die Flüchtlinge von einer Einreise abzuhalten - oder aber ihren Aufenthalt so schnell wie möglich zu beenden: Der Status als Kriegsflüchtlinge wird Kosovo-Albanern weiterhin verwehrt.

"Eine Intervention im Kosovo-Konflikt benötigt ein humanitäres Konzept, das auch die Übernahme von Verantwortung gegenüber den gegebenenfalls zu erwartenden Flüchtlingen beinhaltet", forderte so auch am Tag drei nach der Nato-Intervention Caritas International von der Bundesregierung. Nicht nur Flüchtlinge aus dem Kosovo, sondern Menschen aus ganz Jugoslawien sei endlich der Rechtsstatus von Kriegsflüchtlingen zu verleihen, verlangte der Berliner Flüchtlingsrat.

Darüber kann jedoch allein die Innenministerkonferenz (IMK) entscheiden. Als die Innenchefs der Länder und des Bundes im Februar zum letzten Mal zusammenkamen, lehnten sie einen solchen Beschluß ab. Zunächst, hieß es von der Pressestelle der in Dresden tagenden IMK, wolle man "die aktuelle Entwicklung abwarten". Dabei leben in der Bundesrepublik schon seit Jahren nach offiziellen Angaben 721 000 Bürger aus Jugoslawien, darunter rund 100 000 aus dem Kosovo. Wie viele von ihnen ein Aufenthaltsrecht genießen, ist nicht bekannt.

Damit stehen Kosovo-Flüchtlinge in der Bundesrepublik vor einer zweifelhaften Alternative. Gelingt es ihnen überhaupt, illegal einzureisen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, ein - zumeist aussichtsloses - Asylverfahren zu bestreiten oder aber eine Duldung zu beantragen. Doch auch die schützt vor Abschiebung nicht. Dem Berliner Flüchtlingsrat etwa sind rund 40 Fälle bekannt, in denen Kosovo-Flüchtlingen von Sozialämtern unterstellt wird, sie seien allein wegen der Aussicht auf Sozialhilfebezug eingereist - ein Einreisemotiv, das seit der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes im August 1998 eine Reduzierung der Sozialhilfe auf das "im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene" rechtfertigt. Mehrere Berliner Sozialämter wiederum definieren das als die Kosten für die Rückreise und fordern Kosovo-Albaner deshalb zur freiwilligen Rückreise auf.

Andere, gerade eingereiste Flüchtlinge wurden in letzter Zeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten wegen ihrer illegalen Ausreise strafrechtlich belangt. Nach Auskunft der Regensburger Rechtsanwältin Elisabeth Kaunzner hat beispielsweise das Amtsgericht Cham in Bayern mindestens acht Kosovo-Flüchtlinge zu Haftstrafen zwischen zwei und vier Monaten verurteilt. Nach Absitzen der Strafen droht ihnen nun die Abschiebung ins sichere Drittland Tschechien. Auch Sabine Grauel vom Brandenburger Flüchtlingsrat sind Ermittlungsverfahren gegen Flüchtlinge im Asylverfahren wegen illegaler Einreise bekannt. Bisher hat sie von einem einzigen Strafverfahren gehört: Der illegal eingereiste Asylbewerber wurde in Frankfurt/Oder mit Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention freigesprochen.

Wäre den Bundesländern tatsächlich daran gelegen, den Jugoslawien-Flüchtlingen bis zur nächsten IMK Rechtssicherheit zu geben, gäbe es hierzu einen unbürokratischen Weg: durch Erlaß eines Abschiebestopps nach Paragraph 54 des Ausländergesetzes. Einen solchen Stopp darf ein Bundesland bis zu maximal sechs Monaten verhängen. Er hätte für die Flüchtlinge einen Schutz vor Rückschiebungen in Drittstaaten, ein Ende der Kriminalisierung wegen der illegalen Einreise und eine gesicherte sozialrechtliche Situation zur Folge.

Doch bisher hat kein Bundesland diesen förmlichen Abschiebestopp verhängt. Bettina Cain, Sprecherin des Brandenburger Innenministers, sagte nach dem Beginn der Nato-Angriffe, daß dieser Schritt noch nicht einmal diskutiert worden sei. Begründung: Abschiebungen nach Jugoslawien könnten wegen des Flugboykotts der EU gegen Jugoslawien doch ohnehin nicht stattfinden. Wozu dann noch einen formalen Abschiebestopp verhängen?

Es ist zu befürchten, daß sich diese Auffassung durchsetzt. Für innenpolitische Kontinuität unter Bundesinnenminister Otto Schily wäre gesorgt: Denn schon sein Vorgänger Manfred Kanther (CDU) hatte einen solchen im Ausländergesetz gerade für Kriegs- und Bürgerkriegssituationen vorgesehen Schritt mit der Begründung abgelehnt, daß er als "Einladung" an alle Angehörige der betroffenen Volksgruppe mißverstanden werde könne, in die Bundesrepublik zu kommen.

460 000 Menschen aus dem Kosovo sind nach Schätzung der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), sfluchtsstaat. Die gute Hälfte, so schätzt sie, irre weiterhin im Kosovo herum. Und in Zukunft erwartet der Berliner Flüchtlingsrat neben den Kosovo-Albanern auch eine größere Zahl serbischer Kriegsflüchtlinge. Reichlich Gesprächsstoff also für den Stammtisch an der Möckernbrücke.