Ein gefundenes Fressen

Die Unruhen in Indonesien stärken vor allem die Forderung nach einem harten Durchgreifen der Armee

Borneo ist eine geheimnisvolle Insel: "Kopfjäger, halbnackte Wilde, die mit ihren Giftpfeilen jeden Eindringling töten, undurchdringlichen Dschungel fern jeglicher Zivilisation, wo kaum ein Sonnenstrahl den Boden erreicht" findet man dort - glaubt man einem Reiseführer.

Von der "Verrückheit auf Borneo" berichtet auch der BBC-Korrespondent in Indonesien. Immerhin entwickelten sich in der vergangenen Woche auf der drittgrößten Insel der Welt aus dem Streit zwischen einem Busfahrer und einem Fahrgast, der keinen Fahrschein bezahlen wollte, Unruhen. In der Provinz West-Kalimantan sind dabei mittlerweile mindestens 180 Menschen umgekommen.

Die Regierung in der indonesischen Hauptstadt Jakarta reagierte prompt und militärisch: Nach einem Bericht der Jakarta Post wurden die bisher rund 2000 Polizisten und Soldaten auf Borneo um 745 weitere "Ordnungskräfte" aufgestockt. Obwohl selbst der zuständige General Sugiyono äußerte, die Situation habe sich beruhigt, "gibt es nach wie vor die Notwendigkeit, die Sicherheit aufrecht zu erhalten". Seitdem, so meldete die britische Nachrichtenagentur Reuters begeistert, "hat es keine neuen Gewaltakte mehr gegeben".

Eine Freude, die nur zwei Tage andauerte. Am Freitag vergangener Woche kamen bei erneuten Unruhen auf Borneo weitere 15 Menschen um, über 25 000 Menschen befinden sich auf der Flucht. Aus Furcht vor Flüchtlingen hat Malaysia, zu dem ebenfalls ein Teil der Insel gehört, bereits seine Grenze nach West-Kalimantan abgeriegelt. Der Grund für die Unruhen auch diesmal "ethnische Auseinandersetzungen", wie man sie sich exotischer gar nicht vorstellen könnte: abgeschlagene Köpfe, Macheten mit vergifteten Klingen, ja selbst - wie Spiegel und FAZ übereinstimmend berichten - "Fälle von Kannibalismus" soll es gegeben haben. Kein Wunder: Schließlich ist Indonesien "die Heimat Hunderter unterschiedlicher Ethnien und Kulturen" (taz). Und das kann ja nicht gut gehen.

Diesmal waren es Bugis, Dayaks und Malaien gegen die Maduresen. In anderen Teilen der Inselrepublik Indonesien waren es ganz simpel Moslems und Christen, die sich im Namen von Allah und Jesus gegenseitig abschlachteten. Beispielsweise in Ambon, der Provinzhauptstadt auf den Molukkeninseln im Westen des Landes. Dort kamen bei Auseinandersetzungen Mitte März innerhalb von vier Tagen 51 Menschen ums Leben. Radikale Islamisten auf Java riefen bereits zum "Heiligen Krieg" gegen die mehrheitlich christliche Bevölkerung auf.

Und auch am östlichen Ende des Landes - im Norden der Insel Sumatra kriselt es: Separatistische Muslime wollen dort seit einigen Monaten einen unabhängigen Staat ausrufen. Schließlich ist der südostasiatische Inselstaat das Land mit der größten islamischen Bevölkerung weltweit.

Auf den Molukken und Sumatra hatten die Unruhen genau dieselben Auswirkungen wie auf Borneo: eine Verstärkung der Militärpräsenz. Demonstrativ werden täglich Personenkontrollen und Festnahmen durchgeführt. Der Verteidigungsminister und oberste Befehlshaber der indonesischen Streitkräfte (Abri), General Wiranto, kann sich dabei sogar noch als Wohltäter fühlen. Als er am vergangenen Donnerstag für einen Tag nach Borneo in die Provinz West-Kalimantan reiste, appellierten Vertreter der Maduresen an den Armeechef, die Abri solle sie vor weiteren Ausschreitungen schützen. Unter der Obhut der Streitkräfte, hieß es aus Jakarta, sollten auch Vermittlungsgespräche stattfinden.

Und so konnte Wiranto nach einem Bericht der offiziellen indonesischen Nachrichtenagentur Antara seinen untergebenen Soldaten auf Borneo verkünden: "Ihr seid hier alle im Rahmen einer Friedensmission. Zeigt der Bevölkerung, daß ihr eure Pflicht auf sympathische Art und Weise zu erfüllen wißt."

Keine Rede davon, daß die Armee noch vor knapp einem halben Jahr ihre Waffen gegen Demonstranten richtete, die in Jakarta gegen den Präsidenten und Suharto-Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie protestieren. Und auch die Vorwürfe, die Abri habe unter Suharto Oppositionelle verschleppt und gefoltert und durch Provokateure die anti-chinesischen Unruhen im Mai vergangenen Jahres angestiftet, sind so gut wie verstummt. Wiranto hat dafür schließlich seinem internen Abri-Konkurrenten Prabowo Subianto, dem Schwiegersohn Suhartos, die Verantwortung zugeschoben und präsentiert seine Armee in der Öffentlichkeit nun als "gesäubert" und unentbehrlichen Ordnungsfaktor. Teil dieser eifrigen Imagepflege ist auch die Ankündigung Wirantos, die indonesische Armee werde ihre dwifungsi - ihre militärische und politische Doppelfunktion - "ganz allmählich" aufgeben. Nach den nächsten Parlamentswahlen, die am 7. Juni stattfinden sollen, werde die Abri statt bisher 70 daher nur noch 38 Abgeordnete stellen.

Durch die jüngsten Unruhen gilt die Armee aber zugleich als Stabilitätsfaktor. Die FAZ bemerkt erleichtert, daß "die Streitkräfte die Situation endlich unter Kontrolle haben", und der AP-Korrespondent in Ambon bemerkt, unter der 32 Jahre währenden Suharto-Diktatur habe die Armee solche "ethnischen und religiösen Spannungen" durch hartes Durchgreifen verhindert. Unterstützt werden sie dabei nun - wie der Spiegel diese Woche stolz berichtet - durch "vom Bundesgrenzschutz geschulte Elitesoldaten der indonesischen Polizei".

Abri-Chef Wiranto dürfte dies gerade recht kommen. Auch er unterstrich, daß es "niemals zuvor" solche Auseinandersetzungen gegeben habe. In ethnisierenden Deutungen und in der Umsiedlungspolitik unter Suharto - im Rahmen der Transmigrasi wurde vor allem der Bevölkerung der dichtbesiedelten Hauptinsel Java der Wechsel auf andere Inseln mit Privilegien schmackhaft gemacht - sieht aber sonst kaum jemand die Ursache für die aktuelle Situation. Vielmehr sieht man in den Militärs und dem Suharto-Clan selbst die Urheber.

Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta, der sich insbesondere für die Unabhängigkeit des 1976 annektierten Osttimor einsetzt, hält die Unruhen für eine Destabilisierungsstrategie der politischen und militärischen Führung in Jakarta. In Osttimor habe die Abri bereits eine Truppe von Paramilitärs ausgebildet und -gerüstet, damit die Region nach einem von Präsident Habibie in Aussicht gestellten Abzug der Armee in Chaos und Bürgerkrieg versinke. Und der in Jakarta unter Hausarrest stehende Anführer der bewaffneten Separatistentruppe Falantil, Xanana Gusmao, beschuldigte vergangene Woche in einer Pressemitteilung den Geheimdienst der Abri, die Gewalttaten zu initiieren.

In der Tat gibt es dafür Anhaltspunkte. Übereinstimmend berichten die indonesischen Medien und die internationalen Agenturen davon, die Armee habe den Unruhen in den verschiedenen Provinzen tagelang untätig zugesehen. Auch bei den Gemetzeln auf Borneo, so zitiert Reuters einen ausländischen Militärexperten, habe die Abri-Führung "sehr lange für eine Reaktion gebraucht". Mancherorts sollen die Soldaten aber auch direkt auf der einen oder anderen Seite eingegriffen und damit die Auseinandersetzungen geschürt haben.

Dewi Fortuna Anwar, die außenpolitische Beraterin Habibies, dementiert jedoch die Vermutungen über eine Beteiligung der Abri an den Ausschreitungen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen.

Zweifellos profitiert die Regierung Habibie von den Ereignissen. Denn bei ihrer öffentlichen Sorge, die Stabilität und der Zusammenhalt des Landes könne durch einen vermeintlichen Ethno-Krieg gefährdet werden, ist sie sich mit der Opposition einig. So befürchtet beispielsweise auch Amien Rais, Anführer der Moslembruderschaft Muhammadiya Ulama, es könne ein "indonesisches Jugoslawien" entstehen. Das will er aber ebensowenig hinnehmen wie die Abri oder die Regierung. Dagegen müsse man notfalls auch kämpfen - "bis an unser Lebensende".