Das Runde ist das Rad

Frieden auf Rädern hat Konkurrenz bekommen: Sowohl die Deutschland-Tour der Radprofis als auch die Friedensfahrt starten im Mai

1990 fand wie in jedem Jahr, in dem die DDR existierte, die Friedensfahrt der Radsportler statt, und wie in jedem DDR-Jahr saß politische Prominenz auf der Bühne. Statt Egon Krenz und Manfred Ewald hockten diesmal allerdings Wolfgang Schäuble, damals BRD-Innenminister, und Cornelia Schubert, damals DDR-Sportministerin der De Maizière-Regierung, auf der Tribüne. Die ausgewechselte politische Prominenz symbolisierte unter anderem, daß es für die Friedensfahrt erstmals in ihrer Geschichte schwierig geworden war, die Finanzierung sicherzustellen.

Sie hatte zwar den Ruf, das härteste und anspruchsvollste Amateurrennen der Welt zu sein, aber Geld war trotzdem nicht da, zumal schon der Name Friedensfahrt sich eher DDR-nostalgisch denn sponsorenfreundlich anhörte. Deswegen wurde damals ernsthaft überlegt, den Begriff "Friedensfahrt" durch den Begriff "Deutschlandfahrt" zu ersetzen - das klinge zudem wiedervereinigungsfreundlicher.

Daraus wurde dann doch nichts, schon weil die Friedensfahrt kein deutsches, sondern ein internationales Rennen war, das auch durch Polen und die damalige Tschechoslowakei führte. Hauptsponsor wurde im Jahr 1990 schließlich das Neue Deutschland, zur Rettung der Friedensfahrt wurden ein Verein und ein Kuratorium gegründet, in denen unter anderem der zweifache Friedensfahrtgewinner und zweifache Straßenweltmeister Gustav-Adolf "Täve" Schur sitzt. Verein und Kuratorium gelang es seither, alljährlich die Friedensfahrt auch in Deutschland stattfinden zu lassen, zuletzt als Rennen für Profis und Amateure.

1999 aber können manche Macher der Friedensfahrt ihre ursprüngliche Hoffnung, das Rennen werde vielleicht einmal eine ähnliche Bedeutung wie die Spanienrundfahrt oder die Tour de Suisse - von Giro D'Italia oder Tour de France ganz zu schweigen - erlangen, aufgeben. Die Friedensfahrt erhält nämlich westdeutsche Konkurrenz. Die heißt passend "Deutschland-Tour" und wird am 28. Mai in Berlin gestartet. Sie ist eine Wiederauflage der zuletzt 1982 eingestellten "Deutschland-Rundfahrt" für Profis und hat zwar ihre eigene, bis ins Jahr 1911 zurückreichende Geschichte, gleichwohl bewerteten die Friedensfahrt-Funktionäre die Neuauflage als "Versuch, uns tot zu machen", wie Täve Schur sagt.

Dabei hat die Entstehungsgeschichte der Deutschland-Tour mit der Friedensfahrt nur insoweit zu tun, daß sie in Westdeutschland bis heute kaum bekannt ist. Entstanden ist sie, so geht die Mär, die der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), Manfred Böhmer, gerne erzählt, im Sommer 1997. Da begleiteten er und der damalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl die Schlußetappe der Tour de France, und Bohl sprach wie alle deutschen Staatsmänner, die auf die Champs Elysées einbiegen: "So etwas sollte es bei uns auch geben."

Experte Böhmer assistierte Bohl, erklärte ihm, so etwas habe es tatsächlich mal gegeben, zuletzt von 1979 bis 1982. Mit dem damals abflauenden Thurau-Fieber sei die Deutschland-Rundfahrt dann jedoch wieder eingestellt worden, aber vielleicht sei es eine gute Idee, sie wiederzubeleben. Das Remake war geboren, und die Organisatoren der Friedensfahrt reagierten entsprechend aufgeschreckt, denn eigentlich, so hatte es bis dahin immer geheißen, unterstütze der BDR ja ihre Rundfahrt.

1997 kam es zu einem Treffen zwischen Friedensfahrt-Organisatoren und dem BDR-Präsidium, man einigte sich auf ein Kommuniqué, in dem u.a. steht, daß der BDR beide Veranstaltungen unterstütze und daß sich beide Veranstaltungen, die vom Weltverband UCI mit dem recht hohen Qualitätsfaktor 2,4 versehen wurden, terminlich nicht überschneiden sollten. Damit waren Verein und Kuratorium Friedensfahrt zufrieden, gingen sie doch nicht davon aus, daß die Deutschland-Tour als Vorbereitungsrennen auf eine der großen Rundfahrten, im konkreten Fall: die Tour de France, konzipiert werden würde. Überlappen tun sich die Termine nun zwar tatsächlich nicht, aber beide finden im Mai knapp aufeinanderfolgend statt - die Friedensfahrt dauert vom 7. bis zum 15. Mai, die Deutschland-Tour startet am 28. Mai -, so daß die Spitzenfahrer sich nun für eines von beiden Rennen entscheiden müssen.

Das deutsche Team Telekom wird bei der Friedensfahrt daher mit der zweiten Garnitur antreten, die Topfahrer wie Jan Ullrich oder Erik Zabel werden bei der Deutschland-Tour erwartet, bei der sich auch andere Weltklassefahrer auf die Tour de France vorbereiten werden. Daß sich die Deutschland-Tour zeitlich mit dem renommierten Giro D'Italia überschneidet, stört dabei niemanden, denn in diesem Jahr wird der Giro sehr auf Marco Pantani zugeschnitten sein, der im letzten Jahr Tour und Giro gewinnen konnte und in diesem Jahr wohl nur den Giro fahren wird.

Den Friedensfahrt-Funktionären schmeckt das gar nicht, zumal sie sich in dem zwei Jahre alten Kommuniqué mit der Deutschland-Tour einverstanden erklärt hatten. Verärgert sind sie über den BDR, dessen Präsident Manfred Böhmer ihnen sagte, die Friedensfahrt sei ja kein deutsches, sondern ein internationales Rennen. Und beruhigen lassen sie sich auch nicht vom BDR-Vizepräsidenten Olaf Ludwig, Olympiasieger, Ex-Profi und mehrmaliger Friedensfahrtgewinner, der von einem "Miteinander" der beiden großen Rennen spricht - sie wissen, daß das nicht stimmt.

Täve Schur, jetzt für die PDS im Bundestag, sagt: "Die versuchen doch nur, den Erfolg zu kaufen. Jan Ullrich hat bewiesen, daß man sich langfristig vorbereiten muß, wenn man Erfolg haben will, aber der lange Weg ist ja nicht bequem." Und Volker Mattausch, früher Wissenschaftler an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig, heute für die Öffentlichkeitsarbeit der Friedensfahrt zuständig, meint: "Es ist doch sportpolitisch etwas eigenartig, wenn sich alle im europäischen Rahmen behaupten wollen, daß sich der Radsport mit der Deutschland-Tour auf Deutschland beschränkt."

Die Friedensfahrt schneidet im Vergleich zur Deutschland-Tour schlechter ab: Der Etat der Friedensfahrt beträgt 1,2 Millionen, der der Deutschland-Tour 6,5 Millionen Mark. Die mediale Verwertung übernehmen bei der Friedensfahrt MDR und ORB, die in ihren Dritten Programmen Tageszusammenfassungen bieten wollen. Bei der Deutschland-Tour hingegen wird Sat.1 täglich von 16 bis 18 Uhr auf Sendung sein.

Seit 1984 wird als Ergänzung zum sportlichen Hauptrennen eine "Touristische Friedensfahrt" angeboten, aber auch da legt die Deutschland-Tour noch eins drauf. Erstmals, so verkünden die Veranstalter stolz, böten sie eine "Jedermann-Tour" an. "Logistisch quasi eine zweite Rundfahrt", wie einer der Organisatoren stöhnt: 500 Hobby-Radler erhalten gegen 1 980 Mark Gebühr die Chance, das Rennen auf verkürzten Etappen mitzufahren. Und auch bei der Besetzung des eigentlichen Rennens kann die Friedensfahrt nicht mit der Deutschland-Tour mithalten. Bei der Friedensfahrt wird kein sogenanntes GS-1-Team am Start sein, also ein Rennstall der Spitzenklasse, bei der Deutschland-Tour hingegen sind es acht von insgesamt 18 Mannschaften. Außer Telekom mit Jan Ullrich, Erik Zabel, Rolf Aldag, Udo Bölts, Alberto Elli, Jens Heppner, Jörg Jaksche und Giovanni Lombardi wird es das italienische Mapei-Team mit Michele Bartoli sein oder das Team Polti mit Silvio Martinelli und Tom Steels, bzw. Lampre Daikin mit Franco Ballerini.

Selbst bei den GS-2-Teams ist die Deutschland-Tour führend. Wegen des großen Medienaufgebotes versuchen neue Rennställe wie das von Rolf Gölz betreute Team Gerolsteiner mit Uwe Peschel und Sven Teutenberg, die bei der Tour de France nicht antreten, bei der Deutschland-Tour auf sich aufmerksam zu machen. "Wir hoffen auf ein paar Etappensiege", meint der Ex-Profi Gölz, "das Hochgebirge wäre für meine Fahrer nichts, aber beim Harz können wir noch mithalten." Gute sportliche Perspektiven also für solch kleine Teams wie das von Gölz oder auch für Agro Adler Brandenburg. Wegen der terminlichen Nähe orientieren sich diese Teams nicht auf die Friedensfahrt.

Wie man in BDR-Kreisen über die Friedensfahrt denkt, hat einer, der in keiner Verbandsverantwortung steht, offen ausgesprochen. Ex-Weltmeister Rudi Altig sagte der Berliner Boulvevard-Zeitung B.Z.: "Die Friedensfahrt ist doch schon lange nicht mehr, was sie mal war. Die wird doch nur noch krampfhaft hochgehalten."

Täve Schur kritisierte: "Dem Rudi Altig fehlt der Überblick. Der weiß doch gar nicht, was die Friedensfahrt ist." Ein wenig ist Schur auch empört, weil man ihn zur großen Präsentation der Deutschland-Tour im Berliner Hotel Adlon, moderiert von Jörg Wontorra und Monica Lierhaus, nicht eingeladen hatte. Beim Pressebüro der Deutschland-Tour dementiert man das. Selbstverständlich habe man an Schur gedacht, man überlege sogar, ob er nicht eine der ostdeutschen Etappen starten soll, etwa in Eisleben. Dazu, so Schur, wäre er schon bereit, aber einladen müsse man ihn halt. Wenn dann noch Wolfgang Schäuble auf der Tribüne hockte, wäre es fast wie einst.