Paul Austers Regiedebüt »Lulu on the Bridge«

Flying Stones

Zwischen Bordstein und Jüngstem Gericht: Paul Austers Regiedebüt »Lulu on the Bridge«

Den Weg vom ersten Hallo bis ins Bett erledigen die beiden in Rekordzeit. Gerade haben sich Izzy und Celia einander vorgestellt, da liegen sie schon gemeinsam unter der Decke. Das ist wohl Liebe auf den ersten Blick. Aber geht das auch mit rechten Dingen zu? Diese Frage scheint Celia (Mira Sorvino) zu beschäftigen, als sie von Izzy (Harvey Keitel) wissen will: "Sag mal, bist du eigentlich ein richtiger Mensch oder nur ein Geist?" Eine berechtigte Frage, wie sich bald herausstellen soll.

In seinen Romanen gelingt es Paul Auster nur selten, seine Geschichte von Anfang bis zum Ende im Hier und Jetzt zu erzählen. Was in der Realität, die wir alle kennen und mit der wir uns mehr oder weniger abgefunden haben, beginnt, wird dem in Brooklyn lebenden Schriftsteller bald zu fade. Und so befreit er seine Figuren immer wieder aus dem öden Alltag und läßt sie ins Phantastisch-Esoterische driften. So auch in seinem Regiedebüt "Lulu on the Bridge", für das der 52jährige hinter die Kamera gewechselt ist.

Es ist ein Film zwischen Krimi und Märchen. Izzy Maurer ist der heimliche Star der New Yorker Jazz-Szene, als er eines Abends von einem eifersüchtigen Ehemann angeschossen wird. Izzy überlebt den Anschlag, pfeift aber fortan nur noch auf einem Lungenflügel. Das reicht nicht einmal zu einem kurzen Saxophon-Solo auf der Bühne. Damit steht er vor dem Aus. Als er von Selbstmitleid und Depression gequält durchs nächtliche Tribeca läuft, stolpert er über eine Leiche. Einen Moment überlegt er, dann kommt ihm ein Gedanke.

Anstatt die Polizei zu rufen, klaut Izzy dem Toten die Handtasche. Zu Hause angekommen, inspiziert der zum Gelegenheitsdieb gewordene Ex-Musiker den Inhalt der Tasche: eine Telefonnummer und ein Stein, der in einer bemalten Keksdose liegt. Selbst für den Anfang nicht gerade umwerfend.

Als er sich unwirsch ins Bett legt, bemerkt er, daß der Stein in der Dunkelheit zu leuchten beginnt. Und dann hebt die Geschichte vollends ab. Noch während sich Izzy ungläubig die Augen reibt, schwebt sein Leuchtstein auch schon einen guten Meter über dem Nachttisch. Was für ein Mordsschreck gegen Mitternacht, den er sich erst einmal mit der ersten Zigarette nach der Lungenoperation aus dem Leib husten muß. Kaum wieder zu Luft gekommen, greift er nach dem Telefon und wählt die Nummer aus der Handtasche. Der Sache will er auf den Grund gehen. Es meldet sich Celia.

Die hat zwar von dem fliegenden Stein keine Ahnung ("Erinnert mich irgendwie an diese kleinen Brocken aus der Berliner Mauer"), löst aber bei Izzy leidenschaftliche Gefühle aus. Angesichts des schwebenden Steins fühlen sie sich "kosmisch verbunden" und rennen ins Bett, als gäbe es kein Morgen. Siehe oben.

Als Izzy noch ganz liebestrunken "Ich würde sogar für dich sterben" in ihr Ohr säuselt, ahnt er noch nicht, daß er an dieses Versprechen bald erinnert werden könnte. Wen wundert's: Der "Liebesstein" hat besonders unter Männern mit Beziehungsproblemen einen gewissen Sammlerwert. Und so scheint zwar zunächst noch alles in Butter, doch man ahnt schon: Die Beziehung von Izzy und Celia läuft zu gut für einen Film, der noch eine knappe Stunde vor sich hat.

Paul Auster hat ein Faible fürs Kriminalistische, dem er in seinen Romanen, z.B. in der "New York-Trilogie", auch immer wieder nachgegeben hat. "Mein Ziel ist ein Chandler-Roman ohne echten Mord", hat er einmal gesagt. Zugleich verbinden wir mit dem Namen Auster eine Reihe poetischer Geschichten, in denen Menschen nach dem Ausweg aus einem anonymen Leben in der Großstadt suchen. Das übliche moderne Dilemma also. So wie Izzy, der nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus nach den wirklich wichtigen Momenten und Erlebnissen seines Lebens zu suchen beginnt.

Paul Austers erste Regiearbeit (nachdem er bei "Blue in the Face" schon einmal kurzfristig für den erkrankten Wayne Wang eingesprungen war) wird zwar durch einen Mord recht plausibel in Gang gesetzt, endet aber irgendwo zwischen Esoterik und Jüngstem Gericht. "Die Kunst ist", sagt die grauhaarige Regisseurin Catherine Moore (Vanessa Redgrave) an einer Stelle im Film zu Celia, "den Mut zu haben, seine innersten Träume nach außen zu kehren". Paul Auster hat offenbar den Mut aufgebracht, dies zu tun. Ob es eine Kunst ist, darf bezweifelt werden.

Hat die Begegnung zwischen Izzy und Celia wirklich stattgefunden, oder war alles nur eine Phantasie? Oder ist der Film nur eine Parodie des Pandora-Mythos, auf den immer wieder angespielt wird? Die Beantwortung wird dem Zuschauer überlassen; doch was manche als Offenheit schätzen, ist für andere nur beliebig. Sage niemand mehr, Amerikaner seien einfache Typen.

"Lulu on the Bridge". USA 1998. B+R: Paul Auster, K: Alik Sakharov,D: Harvey Keitel, Mira Sorvino, Willem Dafoe, Gina Gershon. Start: 25. März