Clans, Cliquen, Kandidaten

Sieben wollen, doch nur einer kann der neue Präsident Algeriens werden

Der Ton wird rauher: Der Direktor der algerischen Tageszeitung Le Matin, schrieb das Konkurrenzblatt L'Authentique, habe "ein Gesicht, das er mit Urin gewaschen hat". Der Angesprochene rächte sich umgehend in seiner Zeitung. Dort war zu lesen, der Kollege von L'Authentique "nehme die Rolle des 'Lieblings' im Harem von (General) Betchine ein". Und weiter: "Man findet Gefallen daran, Sie dabei zu sehen, wie Sie von Ihrem Liebhaber gepeitscht werden."

In gut drei Wochen soll in Algerien der nächste Präsident gewählt werden. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres läuft die Vorbereitung - auch als publizistische Schlammschlacht. Und doch ist diese Schlacht nur ein Nebenkriegsschauplatz. Hinter den Kulissen bekämpfen sich seitdem auch verschiedene Clans und Cliquen innerhalb des militärischen Apparats, der das offizielle politische Leben in Algerien weitgehend kontrolliert.

Die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Clans und Fraktionen innerhalb der Armee sind dabei weit weniger auf ideologische Differenzen zurückzuführen als bisher vermutet. Zwar versuchen europäische Medien zwei ideologische Fronten - die Befürworter eines Dialogs mit den Islamisten einerseits und nicht verhandlungswillige "Hardliner" andererseits - herbeizuschreiben. Doch in Wirklichkeit werden die eher geringen ideologischen Unterschiede von anderen Zuordnungen in den Hintergrund gedrängt. Weitaus wichtiger für die Zugehörigkeit zu bestimmten Seilschaften sind die regionale Herkunft sowie verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen. Die derzeit dominierende Fraktion der Militärs stammt aus der Region rund um das ostalgerische Constantine.

Seitdem der jetzige Präsident Liamine Zéroual 1994 von den Militärs ins Amt gehievt (und im November 1995 per Wahl bestätigt) wurde, scheint sich der Präsident samt seinen Getreuen gegenüber dem Armee-Apparat zunehmend zu verselbständigen. Sogar von "parallelen Netzwerken" der Macht ist schon die Rede. Der Hauptteil des Argwohns gilt dabei dem General Mohammed Betchine, mit dem Zéroual seit der gemeinsamen Teilnahme am Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht (1954 bis 1962) eng befreundet ist. Betchine wird verdächtigt, eigene und nur ihm ergebene Spezialdienste heranzuziehen. Aus seiner Zeit als Chef des militärischen Geheimdienstes, so die Vorwürfe, würde er über die entsprechenden Kontakte verfügen.

Kritisiert wird Betchine besonders scharf seit Mitte des vergangenen Jahres. Vor allem die Tageszeitungen El Watan und Le Matin veröffentlichten zahlreiche Enthüllungsstorys über die undurchsichtigen Geschäfte des Präsidentenberaters. Ein ehemaliger Geschäftspartner Betchines, Reda Benboualia, der mittlerweile zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde, präsentierte in den beiden Zeitungen eine Reihe pikanter Informationen. Betchine schlug zurück: In den von ihm kontrollierten Presse-Organen L'Authentique und der Wochenzeitung L'Algérie demain lancierte er Anklagen gegen General Larbi Belkheir, der neben General Khaled Nezzar der wohl mächtigste Mann Algeriens ist.

Anfang der neunziger Jahre habe Belkheir "Todesschwadronen" gründen lassen, die gegen Islamisten vorgehen sollten. Mit diesem Angriff hatte Betchine den Konsens aller zivilen und militärischen Machtzirkel aufgekündigt: Denn insgeheim gibt es eine stillschweigende Übereinkunft, daß alle Mittel (der Repression) recht seien, um die Überreste des "modernen Staates Algerien" gegen den islamischen Fundamentalismus zu verteidigen. Auch die Ineffizienz der Repression, die schließlich kontraproduktiv wirkte und den Islamisten zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene in die Arme trieb, gab nicht zu denken.

Der Druck der Militärs auf Zéroual, sich von seinem Berater zu trennen oder sich selbst zurückzuziehen, wurde in der Folge übermächtig. Zéroual zog es vor, seinen Rücktritt vorzubereiten. Die Alternative wäre gewesen, sich von seinen Armee-Kollegen weiter einengen und sich jeden Handlungsspielraum als Präsident nehmen zu lassen. In einer Fernsehansprache im September letzten Jahres erklärte Zéroual, er werde sein fünfjähriges Mandat, das eigentlich erst im November 2000 auslaufen sollte, "abkürzen". "Vor Ende Februar 1999" sollten Neuwahlen organisiert werden, zu denen er selbst nicht mehr antrete. Bis dahin aber werde er im Amt bleiben.

Dies wurde umgehend als Versuch interpretiert, das Ergebnis der Wahlen beeinflussen zu wollen. Der Verdacht liegt nahe, da die von Zéroual 1997 gegründete "Präsidentenpartei" RND (Nationale Demokratische Sammlung) als Nachfolgerin der früheren antikolonialen Einheitspartei FLN die Mehrzahl der Kommunen kontrolliert. Betchine, der lange Zeit als Anwärter auf das Präsidentenamt gehandelt wurde, klammerte sich an sein Berateramt, wurde jedoch durch eine neue Pressekampagne weiter unter Druck gesetzt. Nach einer Jugendrevolte im Oktober 1988 habe Betchine an Folterungen in der Kaserne von Sidi Fredj teilgenommen, war beispielsweise in El Watan zu lesen. Betchine gab seinen Posten Mitte Oktober 1998 auf.

Die militärischen Machtzentren einigten sich, wie es den Anschein hat, auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge Zérouals: Abdelaziz Bouteflika. Dieser war von 1964 bis 1979 Außenminister, also in Algeriens "Goldener Zeit". Zwar war der Staatsapparat bereits von Clanstrukturen und Korruption geprägt, doch gab es noch reichlich Geld und Posten zu verteilen - die Ölquellen des Landes sprudelten noch. Zudem diente der algerische Nationalismus im Kontext der weltweiten anti-imperialistischen Kämpfe als ideologischer Kitt.

Auch Zéroual spielte mit, präsentierte bei einem Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan im Januar dieses Jahres Bouteflika als Gastgeber - und damit als potentiellen Nachfolger. Kritik des damaligen RND-Generalsekretärs Tabar Benbaibèche, die Armee übe "Druck" auf die "Präsidentenpartei" aus, um sie zur Unterstützung Bouteflikas zu bewegen, wurde von General Nezzar zurückgewiesen: Der Rücktritt Benbaibèches folgte umgehend.

Mittlerweile wird Bouteflika als "Kandidat des Machtzentrums" von drei politischen Formationen unterstützt: der RND als wichtigster Stütze des Regimes in den letzten beiden Jahren, der ehemaligen Einheitspartei FLN und der Bewegung Ennahdah (Wiedergeburt) - einer der beiden großen Parteien des islamischen Fundamentalismus.

Die Ennahdah setzt sich für Bouteflika ein, da er "nationale Wiederversöhnung" predigt und als Anhänger des Dialogs mit den Islamisten, einschließlich der 1992 verbotenen FIS (Islamische Heilsfront), gilt. Doch mit dieser Position steht Bouteflika nicht allein. Fast alle der sieben Kandidaten, die vom Verfassungsgericht in Algier zugelassen wurden, wollen ebenfalls die Islamisten zurück auf die politische Bühne bringen.

Das gilt auch für Ahmed Taleb Ibrahimi, einen weiteren ehemaligen Minister, der nach der Unabhängigkeit 1962 fast 25 Jahre lang an diversen Regierungen beteiligt war. Unterstützt wird er - ganz offiziell - von der Auslandsführung der FIS, wie der in Deutschland lebende FIS-Sprecher Rabeh Kebir erst jüngst bestätigte. Doch auch zu Algeriens derzeitigem Premierminister Smail Hamdani, der die Wahlen organisiert, bestehen gute Kontakte.

Von den übrigen fünf Kandidaten haben nur zwei, Mouloud Hamrouche und Hocine Ait-Ahmet, bei der Wahl reelle Chancen. Der frühere Premier Hamrouche tritt als "Reformer" auf und für Privatisierungen des enormen Staatsbesitzes ein. Die Frage, wie künftig mit den Islamisten umgegangen werden soll, hat er bislang nicht beantwortet. Ganz anders Ait-Ahmed, Chef der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), der den Dialog suchen will. Sonst aber bleibt sein Programm eher unscharf, den Regionalinteressen der Kabylen wird viel Raum gegeben, die ökonomische Krise Algeriens hingegen kommt recht kurz. Doch unterscheidet sich Ait-Ahmet in diesem Punkt kaum von den anderen Kandidaten. Ein großer Teil der Bevölkerung revanchiert sich entsprechend: Das Interesse am Wahlkampf ist nach Aussagen aller Beobachter gering.