»Zaun drum und zuscheißen«

Wurzen war einen Tag lang keine antifafreie Zone. Eine Demo führte zu heftigem Streit in der PDS

Selbst vor Scheiße-Attacken schrecken sie nicht mehr zurück. Als in Wurzen am vergangenen Samstag rund 600 AntifaschistInnen gegen die rechte Szene im Muldentalkreis demonstrierten, wurden sie von Neonazis aus einem Haus mit Fäkalien- und Farbbeuteln beworfen. Die Polizei stürmte daraufhin das Haus und nahm 22 Rechtsextremisten fest. Die Demo war vom Leipziger "Bündnis gegen Rechts" organisiert und von der PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt angemeldet worden. In Wurzen selbst hatte die Demo keine Zustimmung gefunden.

Die Ablehnungsfront umfaßte den gesamten Landkreis Muldental. Von der örtlichen Presse, über das Landratsamt, die Polizei, die Neonazis bis zur PDS und den Grünen war man sich einig: Wurzen soll demofreie Zone sein, die Antifas bringen nur Unruhe.

Ruhe? Das ist für AusländerInnen und linke Jugendliche - für die potentiellen Opfer der rechten Schläger also - in Wurzen ein Fremdwort: "Bestimmte Orte meidet man, Jugendliche achten auf möglichst unauffällige Kleidung, Haarfarbe, Sprüche etc. Und warum ??? 'Angst' lautet die Antwort. Es ist nämlich ein beschissenes Gefühl, von ein paar Typen (Ö) vermöbelt zu werden." So beschrieb ein Jugendlicher die Situation in Wurzen im jüngsten Holzbock, einer kleinen Punker-Zeitung aus der Region.

Für die PDS-Muldentalkreis ist dieser Zustand jedoch kein Anlaß, eine Demo gegen Rechts zu unterstützen. "Reiner Demo-Tourismus", schimpfte die Kreisvorsitzende Kerstin Köditz. Man brauche sich vor den Erfolgen der eigenen Arbeit nicht zu verstecken. Schließlich müsse "die rechtsextreme Szene in Wurzen und Umgebung" sich "von der PDS seit einigen Monaten sehr viel 'gefallen' lassen". Da gebe es zum Beispiel "regelmäßige Presseveröffentlichungen" und im Wahlkampf habe man "bewußt" das PDS-Plakat "Nazis raus aus den Köpfen!" plakatiert. Nicht zu vergessen die Schaufensterfläche der neuen Geschäftsstelle, die von Kindern und Jugendlichen selbst gestaltet werde. Themen seien u. a. die "Ehrung für Rosa und Karl", Erinnerung an die Pogromnacht, die doppelte Staatsbürgerschaft - kurz: "eine tägliche und permanente Demonstration", wie die Kreisvorsitzende voller Stolz erklärte.

Deswegen würden Wurzens Neonazis die Fäuste in letzter Zeit weitgehend ruhen lassen, meint Köditz. Wenn es irgendwo Gewaltausbrüche gab, dann seien immer irgendwie die Antifas daran schuld gewesen. Eine Argumentation, die man schon aus ihrem später zurückgezogenen Papier "AG PDS und Antifaschismus" kennt. Die militanten Autonomen seien schuld, daß sich kein gesellschaftlicher Widerstand gegen Rechtsextremismus entwickele, hieß es dort. Und außerdem müsse man sich immer auch mit "rechtsextremen Inhalten" auseinandersetzen, einen Dialog auch mit Kräften "rechts neben der CDU / CSU" suchen.

Mitautor des Papieres war seinerzeit Tilo Finger, ein enger Köditz-Vertrauter. Er sitzt für die PDS als parteiloser Abgeordneter im Muldentaler Kreistag. Ihm wird vom Antifaschistischen Info-Blatt ein "geradezu freundschaftlicher Kontakt mit dem NPD-Kreischef Marcus Müller" nachgesagt. Finger habe 1992 dafür gesorgt, daß nach Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Jugendlichen im Wurzener Jugendclub "Goldenes Tälchen" nicht die Nazis, sondern die Punks das Projekt verlassen mußten.

Köditz und ihre GenossInnen ließen nichts unversucht, die Demo im Vorfeld zu verhindern. Als rechte Schüler eine Scheibe der PDS-Geschäftsstelle einwarfen, machte man Angela Marquardt und die Demo-Anmeldung verantwortlich und verkündete, der Laden bleibe geschlossen, solange die Demo-Anmeldung nicht zurückgezogen werde. Ferner drohten Köditz und andere Lokalpolitiker mit Rück- und Austritt. Marquardt hielt ihre Anmeldung jedoch aufrecht. "Daß eine antifaschistische Demonstration für mehr Aufsehen sorgt als ein von rechter Gewalt dominierter Alltag, ist doch das beste Argument für die Demonstration", erklärte sie.

Unterstützung kam vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden in Sachsen-Anhalt, Matthias Gärtner, dem dortigen Vize-PDS-Chef Frank Baier, den Thüringer Gewerkschaftern Angelo Lucifero und Michael Ebenau, dem PDS- "Vordenker" André Brie und der Grünen Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach, die 1996 die Wurzener Antifa-Demo angemeldet hatte. Nur aus der sächsischen PDS war keine Zustimmung zu vernehmen. Da sich Angela Marquardt davon nicht beeindrucken ließ, suchte Köditz nach neuen Bündnispartnern - vor allem in der bürgerlichen Presse. Auch mit dem Polizeichef führte sie Gespräche. Schließlich kam es zum Verbot, das allerdings vor Gericht keinen Bestand hatte.

In der Verbotsverfügung fand sich denn auch die ablehnende Haltung der Muldentaler PDS als Argument gegen die Demo wieder. Angela Marquardt findet es nur noch "traurig, daß ausgerechnet die örtliche PDS als Kronzeugin für das Demoverbot angeführt wird". Die "Ablehnung durch den Kreisvorstand" habe "dem antifaschistischen Ansehen der Partei schwer geschadet". Denn die Angriffe auf die Antifademo hätten erneut bewiesen: "Ruhe herrscht in Wurzen nur, solange man die Nazis in Ruhe läßt." Autonome Antifas kommentierten den Anti-Antifa-Konsens in Wurzen mit einem Transparent: "Wurzen - Zaun drum und zuscheißen!"