Wintermanöver mit Toten

Die Verhandlungspause bei den Kosovo-Friedensgesprächen nutzen UCK und Serben zur Ausweitung ihrer Kämpfe

Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic versteht es derzeit wieder einmal, die um das Kosovo besorgte internationale Gemeinschaft zu reizen. Kurz nachdem die Gespräche über einen Friedensschluß zwischen Kosovo-Albanern und Serben im Schloß von Rambouillet gescheitert waren, blies Milosevic zum "Wintermanöver": 4 500 Soldaten der jugoslawischen Bundesarmee marschierten mit mehr als 60 Panzern und 50 gepanzerten Mannschaftswagen an der Grenze zum Kosovo auf. Zum Jahrestag der ersten großen Offensive serbischer Truppen gegen Kämpfer der Kosovo-"Befreiungsarmee" UCK wurden Schießereien aus mindestens fünf Dörfern im Norden der Provinz und die Entführung von vier serbischen Zivilpersonen gemeldet.

Damit scheint ein Szenario Wirklichkeit zu werden, vor dem die gewohnt hellsichtigen Experten des Pentagon in Washington nach dem Abbruch der Verhandlungen von Rambouillet Milosevic immer wieder gewarnt hatten: daß er die Zeit bis zur Wiederaufnahme der Verhandlungen am 15. März dazu nutzen könnte, um im Falle des Falles günstigere militärische Voraussetzungen zu schaffen.

Aber auch die kosovo-albanische Untergrundarmee ist nicht faul. In Vucitrn liefert sie sich regelmäßig Gemetzel mit der jugoslawischen Armee.

Beunruhigender noch als die militärischen Bewegungen sind aber die personellen Rochaden innerhalb der UCK. So wurde noch während der Verhandlungen in Rambouillet der erst 29jährige Suleiman Selimi zum neuen Kommandanten der UCK gewählt, was als Zeichen dafür gewertet werden kann, daß die militärische Option innerhalb der UCK derzeit mehr im Trend liegt als das Erreichen einer Verhandlungslösung.

Einen abermaligen Aufstieg schaffte auch Adem Demaci. Schon im vergangenen Herbst wurde der Mann, der 28 Jahre lang wegen seiner separatistischen Bestrebungen in serbischen Gefängnissen verbrachte, Chef der "politischen Vertretung der UCK". Im Winter verabschiedete er sich von diesem Posten, um jetzt von Selimi wieder eingesetzt zu werden.

Auch in den Reihen der 1 300 im Kosovo stationierten OSZE-Beobachter sorgt die zweiwöchige Verhandlungspause nicht unbedingt für Entspannung. So hielt die serbische Polizei Ende letzter Woche eine Gruppe von OSZE-Beobachtern eine Nacht lang fest.

Während die Nato weitere Truppen nach Mazedonien verlegte, die entweder einen Friedensschluß überwachen oder einen solchen erbomben sollen, verschärfte sich auch im Nachbarstaat zu Jugoslawien die Lage. Am Donnerstag demonstrierten rund 1 000 Mazedonier serbischer Herkunft im Norden des Landes gegen die Präsenz der dort stationierten 2 300 Nato-Soldaten. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei der Serben in Mazedonien (DPSM), Dragica Miletich, warnte bei der Gelegenheit, daß im Falle eines Nato-Angriffes auf Serbien die westlichen Truppen "mit bloßen Händen" angegriffen würden.

Eintreten würde dann das, wovor Nato und Balkan-Kontaktgruppe immer gewarnt hatten: Sowohl bei einem Aufstand der serbischen Minderheit wie bei dem Versuch der großen albanischen Minderheit (22,9 Prozent der Bevölkerung) in Mazedonien, es den bewaffneten Separatisten im Kosovo gleichzutun, würde die Lage noch komplizierter. Abgesehen davon riskierte die Nato durch einen möglichen Angriff auf serbische Stellungen genau das, was sie eigentlich zu verhindern trachtete: die Internationalisierung des Konflikts durch eine Verwicklung Mazedoniens. Der Flächenbrand auf dem Balkan wäre dann ebenso fix da wie eine Niederlage der serbischen Armee.

Schon jetzt vereitelt das Pentagon die Bemühungen, die zweiwöchige Verhandlungspause zu nutzen, um eine Kompromißlösung für das Kosovo auszuarbeiten und die Siegesgewißheit der UCK zu untergraben. Als Milosevic nun seine Truppen an der Grenze zum Kosovo konzentrierte, konterte Walter Slocombe, Unterstaatssekretär im US-Verteidigungsministerium, jede serbische Offensive im Kosovo würde ein Eingreifen der Nato nach sich ziehen. Dies gelte selbst dann, wenn die UCK direkt angegriffen würde.

Das Kosovo wird durch die US-amerikanischen Interventionisten endgültig zum UCK-Nationalpark. Da darf es nicht weiter verwundern, daß die Skipetaren-Guerilla sich immer weniger bemüßigt fühlt, das Flehen der EU-Verhandler nach der Akzeptanz einer Autonomie-Regelung zu erhören. Die Guerillas wissen ganz genau, daß die Nato auf dem besten Weg ist, zu ihrem verlängerten Arm zu werden - ob die Herren in Brüssel es nun wollen oder nicht. Hintertrieben werden durch die US-amerikanischen Schutzgesten auch die Bemühungen der OSZE, die Angriffslust auf beiden Seiten einzudämmen: Die OSZE-Mißbilligung ihrer Operationen in der vergangenen Woche nahmen die Separatisten nicht einmal zur Kentnis.

Inzwischen scheint auch unklar, ob eines der verheerendsten Massaker an kosovo-albanischen Zivilisten am 14. Januar in Racak sich tatsächlich so zugetragen hat, wie bislang behauptet. So entdeckten der französischen Nachrichtenagentur AFP zufolge zwei weißrussische Pathologen bei der Obduktion der 45 getöteten Personen, daß zumindest ein Teil der Opfer nicht aus unmittelbarer Nähe erschossen worden war. Von einer Hinrichtung könne man daher nicht sprechen. OSZE-Kreise in der Kosovo-Provinzhauptstadt Pristina bestätigten gegenüber Jungle World, daß sich auch die von der EU entsandten finnischen Pathologen der Darstellung ihrer weißrussischen Kollegen angeschlossen hätten, jedoch noch weitere Untersuchungen durchführen wollten. Der Chef der OSZE-Mission im Kosovo, William Walker, bleibt dennoch bei seiner Version: "Das war ein Massaker."