Unhip trifft Unhappy

Stilberatung als Lebenshilfe - Nick Hornby erzählt "About a Boy" und rät zum Bau einer Menschenpyramide

"About a Boy" ist fraglos ein waschechter Hornby: Verzweifelte Singles schleppen sich durch Londoner Vorstädte, familiengestreßte, whiskeytrinkende Teenies schlagen Schaufensterscheiben ein und töten Enten mit Baguettes, es geht um Musik, Schallplatten, und auch der Fußball findet Erwähnung. Dem treuen Leser von Hornbys Büchern fällt sofort auf: Die männliche Hauptfigur Will ist mit 36 Jahren ein Jahr älter als Rob in "High Fidelity", und das Buch hat mit 36 Kapiteln eins mehr als das letzte.

"About a Boy" läßt sich als direkte Fortschreibung der Musik- und Lebensplanspekulationen lesen, wie Hornby sie in "High Fidelity" entfaltet. Auch in diesem Buch geht es wieder um das Hornby-typische Grundproblem: Wie stehe ich da, was sagen meine Platten über mich aus, und was kann ich noch unternehmen, um mein Leben zum Sinnvollen zu wenden? Nick Hornby kommt ohne diese Meditation über den Anschein der Dinge, die Moden und Oberflächenphänomene nicht aus.

Er hat sich in seinem ersten Buch, der Autobiographie "Fever Pitch", extensiv mit dem Typ des besessenen Konsumenten auseinandergesetzt, hat aus dem eigenen Verhalten als Fan von Arsenal London höchst aufschlußreiche Beobachtungen über manische Anbeter von Kulturgütern gesammelt. Er hat über die merkwürdigen Wechselbeziehungen nachgedacht, in der die Unrettbaren das eigene Leben als Teil einer Vereinsgeschichte, einer anonymen Fangemeinde, eines Plattenlabels oder einer Kultgruppe erleben. Nick Hornby weiß, wie der Fan die eigene bedrängte Existenz durch vorbehaltlose Hingabe an seinen Verein in eine andere Dimension, ein anderes, erträgliches Verhältnis zur großen Schafherde Gesellschaft bringt.

"About a Boy" kreist immer noch um diesen Prozeß der Selbstaufgabe und Selbstfindung. Nachdem Hornby in seinem Roman "High Fidelity" bereits eine gewisse Distanz zur eigenen Biographie geschaffen hatte, erzählt der Autor nunmehr aus dem Blickwinkel von zwei Figuren, deren Entwicklungslinien sich an einem Stagnationspunkt berühren.

Will ist ein begüterter Nichtstuer, ein privilegierter Asozialer, der höchstens einmal arbeitet, um neue Leute kennenzulernen und sich ein bißchen die Langeweile zu vertreiben. Er kann von den Tantiemen eines Weihnachtsliedes leben, das sein Vater in den dreißiger Jahren geschrieben hat. Jahrein, jahraus durchstreift er London auf der Suche nach Schallplatten, Partys, Frauen und ist die meiste Zeit damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie er am hipsten und coolsten weiter durchs Leben schlendern soll.

Er hat feste Vorstellungen davon, welche Musik man hören (Nirvana und Snoop Doggy Dogg) und welche Drogen man versucht haben muß (Ecstasy), wie man angezogen zu sein und was man zu essen hat (Polenta mit gehobeltem Parmesan), aber er vermißt etwas, und ihn beschleicht das Gefühl, immer nur "Zaungast im Leben anderer" zu spielen. Unnachgiebig beurteilt er die Zeitgenossen nach diesen simplen Maßstäben.

Das wird zum Problem, besonders im Umgang mit Frauen, denn sie wollen seinen Vorstellungen partout nicht genügen und stören seine Schablonenwelt. Um wieder einmal jemanden kennenzulernen, kauft sich Will einen Kindersitz fürs Auto, gibt sich als Vater eines kleinen Sohnes aus und begibt sich in eine Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende.

Dort trifft er auf Fiona, die Mutter des zwölfjährigen Marcus, den das Schicksal nicht gerade begünstigt hat, wie Will bald erkennen muß. Nicht zuletzt wegen seiner suizidgefährdeten Mutter, ihren Prinzipien und ihrer Verbohrtheiten, ist Marcus vom subkulturellen Mainstream etwa so weit entfernt wie Mahalia Jackson von Kurt Cobain, und sein Outfit dementsprechend in Zeiten der Röhrenjeans so hip wie Filzhut und Seppelhose.

Mit Fiona kann der stilbewußte Will nicht das geringste anfangen, und von ihren sozialen Problemen und Komplikationen möchte er verschont bleiben. Schon allein deshalb, weil sie zu jenen Leuten gehört, die Joni Mitchell hören und ihren Kindern verbieten, mit Turnschuhen in die Schule zu gehen. Will kehrt den beiden Trauerfiguren rasch den Rücken zu.

Doch Marcus wittert seine Chance. Beharrlich erklingelt er sich Zutritt zu Wills gestylter Wohnung, um jene praktische Lebenshilfe zu erhalten, die ihm die weltfremde Mutter nicht geben kann. Was zieht man an, um als Zwölfjähriger nicht unangenehm aufzufallen, welche Musik hört man, was hat man über Fußball zu wissen? Will wird unversehens in eine Vaterrolle gedrängt. Im Laufe des pädagogischen Feldversuchs verliert er seine anfängliche Coolness, weil er sich plötzlich mit den üblichen Problemen zwischen Menschen herumschlagen muß.

Wills Leben ist damit ziemlich durcheinandergeraten. Am Ende hat der Einzelgänger nicht nur eine Lebenspartnerin gefunden, Rachel, sondern nimmt an sich auch ein Gefühl wahr, das ihm bisher fremd war: Angst, seine Freundin wieder zu verlieren. Zugleich ist es Will gelungen, Marcus' Selbstbewußtsein soweit zu stabilisieren, daß der Außenseiter die Freundschaft der drei Jahre älteren Nirvana-Anhängerin Ellie nicht nur gewinnt, sondern auch halbwegs aushalten kann.

Das von Will anvisierte Zweierlebensmodell wird allerdings vom nunmehr lebensklug gewordenen Marcus verworfen. Er vertraut fortan auf die "Menschenpyramide", auf möglichst viele Freundinnen und Freunde, wenn es darum geht, und es geht darum, die Probleme und Sinnkrisen des Lebens möglichst unbeschadet zu überstehen. Schneller als seine Mutter hat Marcus vor allem begriffen, weshalb es Blödsinn ist, "den Kopf in den Gasofen" zu stecken. Es gibt einen nächsten Tag, und es wäre schade, etwas zu verpassen. Man könnte auch sagen: Nick Hornbys nächster Roman, er wird kommen, ja, er muß kommen, und es wird 37 Kapitel haben. Warten wir es ab.

Nick Hornby: About a Boy. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998. 310 S., DM 39,80