Mensch, Staat, Gott

Israels rechtsreligiöse Parteien und Bewegungen machen gegen das Höchste Gericht des Landes mobil

Akten über den Chef der Arbeitspartei, die aus dem Büro von einem seiner Mitarbeiter verschwinden, ein Verteidigungsminister, der mal eben seine Partei verläßt und Vorsitzender einer neuen wird - eigentlich hat der Wahlkampf in Israel genug zu bieten. Doch nun eskaliert auch noch der Streit um eine der Grundlagen des israelischen Staates. Religiös oder säkular, ist seit vergangener Woche wieder verstärkt die Frage.

Genauer: Wieviel Einfluß dürfen religiöse, namentlich die jüdisch-orthodoxen Parteien und Organisationen haben, fragen die einen. Und wenden sich gegen eine Großdemonstration, die am Sonntag in Jerusalem von orthodoxen Juden durchgeführt wurde. Die überwiegende Mehrheit der Israelis steht für diese Richtung wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup vom vergangenen Freitag bestätigte: "75 Prozent der Bevölkerung glauben, daß die Ultra-Orthodoxen zu viel Macht haben", faßte die Tageszeitung Ma'ariv die Ergebnisse der Befragung zusammen.

Aktiv werden jedoch nur wenige: die links-liberale Meeretz-Partei, Teile der Arbeitspartei, einige Gruppen und Organisationen aus der Friedensbewegung, viele Angestellte des Mediensektors sowie zahlreiche Richter und Staatsanwälte. Der Übermacht von rund 200 000 demonstrierenden Orthodoxen vermochte dieses eigenartige Bündnis am Sonntag auch nur knapp 50 000 Menschen entgegenzustellen.

Wieviel Einfluß darf der Staat auf die Religion ausüben, fragen die anderen. Und sprechen von "Diktatur", "Unterdrückung" (Ovadia Yosef, geistiges Oberhaupt der orthodoxen Shas-Partei) und dem Anschein "antisemitischer Entscheidungen" (Menachem Porush, früherer Knesseth-Abgeordneter und heutiger Chef der rechtsreligiösen Bewegung Agudat Yisrael). Der gemäßigte Teil dieser Richtung mochte ohnehin lieber die Synagoge im Dorf lassen und die Demonstration als "Gebet zur Stärkung des Judentums" verstanden wissen - gegen die angeblich antireligiösen Tendenzen israelischer Gerichte.

Denn die sind der Anlaß für das ganze Spektakel. Immer häufiger muß das Höchste Gericht Israels Entscheidungen fällen, die das Verhältnis von säkularer und religiöser Macht betreffen. Müssen Talmud-Schüler zur Armee? Wieviele Reform- und nicht-orthodoxe Juden dürfen in den lokalen und regionalen Religionsräten sitzen? Müssen auch die Kibbuz-Läden am Sabbath geschlossen bleiben?

Israel hat keine vollständige Verfassung. Lediglich einzelne Verfassungsartikel existieren, in denen aber keine Trennung von Religion und Staat vorgesehen ist. Eine Parlamentskommission, die mit der Ausarbeitung weiterer Verfassungsartikel beauftragt würde, arbeitet nur sehr langsam. Denn auch hier versuchen die in der Regierung vertretenen rechtsreligiösen Parteien die Grundlagen in ihrem Sinn zu setzen. Die parlamentarische Linke und Teile der Zentrumsparteien halten dagegen. Solange es im Parlament aber nicht voran geht, bleibt das Höchste Gericht des Landes zuständig.

"Wir akzeptieren das Gericht, solange es sich mit den Beziehungen zwischen Mensch und Mensch beschäftigt", erklärte Porush vergangene Woche der US-amerikanischen Tageszeitung Washington Post. "Aber wenn es sich um Beziehungen zwischen Mensch und Gott handelt, ist das etwas anderes." Das Höchste Gericht unter Präsident Aaharon Barak hatte gerade entschieden, daß die Kibbuz-Läden offen bleiben können, daß auch nicht-orthodoxe Juden in den Religionsräten sitzen dürfen und daß Talmud-Schüler - wie jeder andere auch - zur Armee müssen.

Doch nicht immer fallen die Entscheidungen gegen die Interessen der Orthodoxen aus: Urteile zur staatlichen Förderung von orthodoxen Organisationen, Sonderrechte für die überwiegend religiösen Siedlerbewegungen und eine Be-vorzugung der Orthodoxen gegenüber Reformjuden und anderen eher progressiven Strömungen des Judentums haben schon häufig zu Kritik geführt. Kritisiert haben damals jene, die das Gericht heute gegen seine orthodoxen Kritiker verteidigen.

Solche Verschiebungen stellen bereits einen Teilerfolg im Kulturkampf der Rechtsreligiösen dar. Für Menahem Porush, den "Feld-General im israelischen Kulturkrieg" (Washington Post), reicht das aber noch lange nicht aus. Er fordert, wie die israelische Tageszeitung Ha'aretz in der vergangenen Woche berichtete, zusammen mit anderen Rabbinern und einem Teil der Führung der Shas-Partei die Einrichtung eines Sondergerichtshofes, der dem Höchsten Gericht "alle Fragen des religiösen Lebens" abnehmen soll.

Und doch wird dies nur als vorläufiges Ziel anvisiert. In einer Verfassung nach dem Geschmack des orthodoxen Rabbinats, der Siedler- und anderer Rechtsorganisationen müßte Israel als "jüdischer Staat" definiert werden - und nicht als "jüdischer Staat und Staat all seiner Bürger" oder gar allein als "Staat all seiner Bürger", wie die Gegenvorschläge von linken, liberalen und in Israel lebenden palästinensischen Staatsrechtlern formuliert wurden.