Killing Fields

Das erste Todesopfer rassistischer Gewalt im Jahre 1999 in Brandenburg wird kaum das letzte bleiben

Kerzen, Blumen, eine Mahnwache, eine Schweigeminute auf dem SPD-Kongreß "Toleranz leben - Gegen Rechtsextremismus in Brandenburg" in Potsdam. Sonntagsreden der brandenburgischen Regierungsspitze, betroffene AnwohnerInnen und eine antifaschistische Demonstration mit rund 300 TeilnehmerInnen: Fast vorhersehbare Reaktionen auf das erste Todesopfer der rassistischen Gewalt in Brandenburg im neuen Jahr. Ministerpräsident Manfred Stolpe und Innenminister Alwin Ziel, die am Tag nach der tödlichen Hetzjagd auf den algerischen Asylbewerber Omar ben Noui in Guben zur Mahnwache angetreten waren, ging es in erster Linie wieder einmal ums arg lädierte Brandenburger Image.

Stolpe hatte nur einen Tag zuvor einen Bericht des US-amerikanischen Time Magazine zurückgewiesen, in dem von "national befreiten Zonen" in den brandenburgischen Städten Schwedt, Fürstenwalde und Frankfurt/Oder die Rede ist. Auch Innenminister Ziel wird nicht müde, darauf hinzuweisen, daß die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten in Brandenburg im letzten Jahr gesunken sei - von 385 im Jahr 1997 auf 184 im vergangenen Jahr. Mit anderen Worten: 1998 wurde nur noch an jedem zweiten Tag eine rechtsextremistische Straftat verübt. Auch die Zahl rassistischer Übergriffe sei von 152 auf 93 gesunken, verkündete Ziel stolz und beschwor das "tolerante Brandenburg".

Wie wenig die rituellen Beschwörungsformeln mit der tödlichen Realität in Brandenburg korrespondieren, zeigen einmal mehr die Umstände, unter denen der 28jährige Omar ben Noui von fünf Neonazis im Alter von 17 und 18 Jahren in den Tod gejagt wurde. Schon am Freitagabend war in der Gubener Innenstadt ein 17jähriger afrodeutscher Jugendlicher von der später an der Hetzjagd beteiligten Neonazi-Gruppe mit Morddrohungen verfolgt worden. Um zwei Uhr nachts griffen vor einer Diskothek fünfzehn Neonazis unter Pöbeleien eine Gruppe von Asylbewerbern und Migranten an.

Dabei wurde einer der Anführer der Nazi-Clique, Ronny Penschow, leicht verletzt. Als sich die Migranten erfolgreich zur Wehr setzten und die Diskothek verließen, machte sich die Naziclique in der 30 000-Einwohner-Stadt mit Autos auf die Suche nach weiteren Opfern; dabei wurde die Gruppe von einem stadtbekannten NPD-Kader namens Alexander Bode angestachelt. Zusätzliche Kameraden mobilisierten die Nazis per Telefon. An einer Aral-Tankstelle stießen sie auf Omar ben Noui sowie einen weiteren algerischen Flüchtling und einen Asylbewerber aus Sierra Leone, die auf dem Rückweg von einer anderen Diskothek ins Asylbewerberheim im elf Kilometer entfernten Dorf Sempten waren, wo ben Noui seit achtzehn Monaten lebte.

Die drei Männer versuchten, den sechs Autos, die sie durch das Gubener Plattenbauviertel jagten, zu Fuß zu entkommen. Einem der Flüchtlinge gelang es, wegzulaufen und ein Taxi anzuhalten, das daraufhin von mehreren Nazi-Autos verfolgt wurde. Als der Mann aus dem Taxi stieg und sich in eine Gaststätte flüchtete, wurde das Lokal noch eine ganze Weile von grölenden Neonazis belagert.

Omar ben Noui und der zweite Flüchtling versuchten unterdessen, ihren Verfolgern zu entkommen, die aus zwei Autos "Ausländer und Türken raus" brüllten. Sie flüchteten sich in den Hauseingang eines Wohnblocks. Als auf ihr verzweifeltes Klingeln hin niemand den Türöffner betätigte, trat der 28jährige Algerier in Panik die Glasscheibe der Tür ein. Dabei durchtrennte die Scheibe die Hauptschlagader am Knie. Ben Noui gelang es noch, sich in den ersten Stock zu schleppen, wo er im Treppenhaus verblutete. Anwohner, die die Hetzjagd auf der Straße gehört hatten, alarmierten den Notarzt und die Polizei. Doch im Gegensatz zu dem anderen Flüchtling kam für ben Noui der Notarzt viel zu spät. Währenddessen fuhr der Nazimob "Sieg Heil" brüllend durch die Gubener Innenstadt. Wenig später nahm die Polizei fünf Jugendliche im Alter zwischen 17 und 18 Jahren fest.

Selbst die für ihre abwiegelnden Kommentare bekannte Gubener Polizei mußte zugeben, daß alle fünf - die stadtbekannten Nazi-Schläger Ronny Hahn, René Kubitza, Jörg Donath, Daniel Tschakowski und Christian Kaschke- in der Vergangenheit schon mehrfach durch Diebstähle, rechtsextreme Propagandadelikte und Körperverletzungen aufgefallen waren. Die beiden 17jährigen Tschakowski und Kubitza, gegen die die Staatsanwaltschaft wegen Landfriedensbruch und fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, wurden 48 Stunden nach der Hetzjagd in ein geschlossenes Heim eingewiesen. Drei 18jährige Neonazis, die sich an der Hetzjagd beteiligt hatten, wurden aus der Untersuchungshaft wieder entlassen, zwei weitere Beteiligte, darunter Neonazi-Kader Bode, wurden in der Nacht von Sonntag auf Montag festgenommen.

Während Klaus Lippmann, der Leiter der Gubener Polizeiwache, schon am Tag nach der tödlichen Hetzjagd über die Möglichkeit eines "bedauerlichen Unfalls" spekulierte und betonte, die fünf Festgenommenen gehörten keineswegs zu einer organisierten Neonazigruppe, sehen BeobachterInnen vor Ort in dem Tod von Omar ben Noui den Höhepunkt einer seit mehreren Jahren andauernden Entwicklung in der ostbrandenburgischen Stadt auf halber Strecke zwischen Frankfurt / Oder und Cottbus. Der Umgang von Polizei, Stadtverwaltung und Justiz mit rechtsextremer Gewalt in Guben sei gekennzeichnet von Verharmlosung, Wegschauen und indirekter oder direkter Unterstützung. So seien die fünf festgenommenen Jugendlichen in dem mit städtischen Mitteln finanzierten Club "Haus der Jugend" von NPD-Kadern für die Neonazipartei angeworben worden. Sie gehörten zu einer Clique, die erst vor wenigen Wochen im 30 Kilometer entfernten Forst den linken Treffpunkt "Reaktor" überfallen und dabei mehrere Menschen verletzt hatte.

Angeführt wird die Gruppe von Michael Nattke, einem engen Vertrauten der Berliner Neonazi-Kader Frank Schwerdt und Christian Wendt. Nattke, dessen Rückkehr nach Guben nach seinem Bundeswehrdienst vor zwei Wochen entscheidend zur Eskalation des rechten Terrors auf der Straße beigetragen haben soll, war in der Vergangenheit mehrfach als Autor von Schwerdts Neonazipostille Berlin-Brandenburger Zeitung aufgefallen. Nattke war es auch, der dafür sorgte, daß Wendt 1996 zu einem Runden Tisch gegen Gewalt mit Vertretern der Stadt und Sozialarbeitern eingeladen wurde.

Bis 1997 verfügte die Jugendorganisation der von Schwerdt und Wendt angeführten Die Nationalen e.V. in Guben über einen eigenen "nationalen Jugendclub", zu dessen Umfeld zeitweise rund 80 Jugendliche zählten. Versuche von seiten des brandenburgischen Verfassungsschutzes, über den Sozialarbeiter Ingo Ley und durch Teilnahme am Runden Tisch die sogenannten Jungnationalen zu beeinflussen, scheiterten. Was blieb, ist eine bis heute andauernde Akzeptanz rechter Strukturen durch die Stadtverwaltung. Denn auch nachdem der Club aufgrund antifaschistischer Proteste und nach einem Brand geschlossen wurde, ging die Aufbauarbeit der Neonazis in Guben weiter. So berichtet der Brandenburgische Verfassungsschutz von einem Kameradschaftsabend der Jungnationalen in der Gaststätte "Junge Welt" unter dem Motto "Neue Wege des nationalen Widerstands", an dem 40 Neonazis teilnahmen. Nach der Selbstauflösung der "Nationalen" und ihrer Jugendorganisation im Winter 1997 wechselten deren Mitglieder und Kader größtenteils nahtlos zur NPD und deren Jugendorganisation JN - so auch in Guben.

Wenn Ministerpräsident Manfred Stolpe jetzt behauptet, Brandenburg habe "sein fremdenfeindliches Image nicht verdient", hat er nur in einem recht: Rassistische Gewalt beschränkt sich keineswegs auf Brandenburg. Doch öfter als in anderen Bundesländern kommen die Opfer - wie in den letzten Monaten drei italienische Bauarbeiter in Dedelow bei Prenzlau, ein afrikanischer Asylbewerber in der Landeshauptstadt Potsdam und ein Student aus Kamerun in Königs Wusterhausen südlich von Berlin - nur knapp mit dem Leben davon. Da helfen keine Polizei-Sondereinheit MEGA, keine Kampagne "Tolerantes Brandenburg" und keine Sonntagsreden: Solange Zivilcourage und Solidarität mit den Opfern von der Mehrheit der Bevölkerung als Fremdwörter angesehen werden und der Rassismus durch die Hetzkampagne der rechten Oppositionsparteien seinen quasi offiziellen Segen erhält, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Brandenburgs Killing Fields ihr nächstes Opfer fordern.

Für die Opfer wurde ein Spendenkonto eingerichtet: Verein für ein multikulturelles Europa e.V., Stichwort: Omar; Volks- und Raiffeisenbank Cottbus, BLZ 180 927 94, Konto Nr. 20 46 40 187