Erfolgreiche Reanimation

IHN sehen - und dann ab ins Altersheim: "Elvis - The Concert", ein Gottesdienst in Berlin

"Sag, kannst du dir nicht vorstellen,
den King wieder auszugraben?,
ihn zu bitten, / von den himmlischen
Wohnungen zu singen, / die Jesus erwähnte?"
Warren Zevon

Auf den ersten Blick sieht es wie einer der größten Medienschwindel der Moderne aus, wenn ER über zwanzig Jahre nach seinem Tod dank ausgefuchster Videotechnik auf die Konzertbühne zurückkehrt. SEINE Stimme hat man aus Konzertmitschnitten herausgefiltert, SEIN Abbild auf Video-Großleinwand gebannt. Dazu begleiten IHN die Tour-Band, die zu Lebzeiten mit IHM gespielt hat, SEIN Original-Orchester und SEINE Backgroundchöre - eigentlich fehlt nur noch Charlie Hodge, der Bühnendiener, dessen wesentliche Aufgabe darin bestand, dem "King of Rock'n'Roll" die Handtücher zu reichen.

Das Ereignis nennt sich "Elvis - The Concert" und wurde erstmals zum zwanzigsten Todestag des Kings 1997 in Memphis auf die Bühne gebracht, ausgedacht von Stig Edgren, einem wahren Mann vom Fach, der schon megamäßige Multimedia-Events für Papst Johannes Paul II, William Clinton und die 23. Olympischen Spiele organisiert hat.

Nach einer erfolgreichen Welttournee ist die "umgedrehte Karaoke"-Show auch im Berliner Velodrom gelandet, das sich etwa zu Dreiviertel gefüllt hat, um dem Mann zu huldigen, auf den als Idol sich von Adriano Celentano bis Johnny Rotten praktisch alle einigen können. Schließlich ist der Mann für den amerikanischen Traum durch das Tal des Todes geritten, nachdem er das Licht der Aufnahmestudios erblickt hatte, um loszutreten, was später als "Jugendbewegung" in die Geschichtsbücher eingehen sollte, und, da sind sich alle Gelehrten, Pop-Ethnologen, Elvis-Kundler und Zuspätgeborenen mit Hang zu Dekadenz und Größenwahn einig: Als Ikone ist Elvis so groß wie Marilyn Monroe, John F. Kennedy und Che Guevara zusammen, nur noch vergleichbar mit Jesus Christus. Sicherheitshalber ist das Bühnenbild mit dem überlebensgroßen Video-Elvis in der Mitte und Live-Bildern der Musiker auf Bildschirmen an der Seite wie ein Altar aufgebaut worden. Da wird dem letzten klar: Dies ist Gottesdienst.

Das Licht verlöscht. "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss, das Intro aus der legendären Hawaii-Show, eröffnet das Konzert, "C.C. Rider" kommt und die Menge bejubelt etwas, das sie nur erhofft hatte: einmal Elvis sehen und dann ins Altersheim. Nun, es hätte richtig peinlich werden können, und manchmal wird es das auch, wenn z.B. bei "In The Ghetto" rührende Bilder aus Elvis' Familienalbum projiziert werden. Dafür hören wir ein Konzert, das einem Elvis-Konzert allein durch die Identität der Mitwirkenden so nahe wie möglich kommt. Der Sound ist exzellent, die Streicher- und Bläser-Arrangements so fett wie Erdnußbutter, und für Elvis kann man sich aufs neue begeistern, auch wenn er nur als verwaschenes Videobild von der Bühne flimmert. Wie er hinreißende Posen der Verzerrung liefert, in irren Klamotten mit dem Unterkörper mahlt oder die Songs mit Kung-Fu-Einlagen abschmettert, ebenso heroisch wie unmöglich.

Klarer Fall, daß dagegen alle Elvis-Imitatoren verblassen müssen. Auch The King, erklärter Elvis-Impersonator aus Irland, der sich, unterstützt von Burger-King, gerade auf Welttournee befindet und passenderweise eine Woche vorher im völlig überfüllten Columbia-Fritz mit den Hüften wackelt, gerät im Vergleich zur simplen Parodie, obwohl er doch ordentlich bewährte Gassenhauer der Pop-Geschichte durch den Wolf dreht, deren Original-Sänger zumeist das Zeitliche gesegnet haben. "Blasphemie!" schreit jemand aus dem Publikum und unterstreicht damit die Tatsache, daß sich Elvis-Imitatoren alles erlauben können.

Ins nächste Millenium rettet sich aber nur das Original. Obwohl "Elvis - The Concert" mit einer Technik präsentiert wird, die so neu gar nicht ist, entstehen Momente, die man durchaus magisch nennen kann: wenn man plötzlich vergißt, daß die ganze Musik live gespielt wird oder umgekehrt, wenn zum Beispiel James Burton ein hinreißendes Solo auf der Gitarre spielt und uns aufstört aus dem vordergründigen Einverständnis mit dem, was auf der Leinwand passiert.

Besonders interessant wird es, wenn die Musiker gleichzeitig in alten Aufnahmen zu sehen sind. Richtig gespenstisch, wenn die Band kurz stillhält, damit Zombie-Elvis zum Publikum sprechen kann, das darauf mit religiöser Inbrunst reagiert und völlig begeistert Glaubensbezeugungen wie "Elvis, I love you" herauskräht, wozu mir meine Oma einfällt, die immer "Guten Abend" sagt, wenn der Tagesschau- Sprecher die Zuschauer begrüßt.

Schließlich funktioniert die Sache, weil Elvis schon zu Lebzeiten eine Art Monster war, dessen Gestalt noch heute auf geheimnisvolle Weise mit der Geschichte von Millionen Menschen verwoben ist. So wird aus der Video-Reanimation ein "richtiges" Pop-Konzert, bei dem die Fans im Schlußdrittel vor die Bühne stürmen, um ihrem Idol so nah wie möglich zu sein.

Umrahmt von kleinen Nettigkeiten und Abartigkeiten, wie dem Elvis-Impersonator im schwarzen Leder, der nach der Show mit einem Mädel für Fotos posiert, dem kleinen Bengel in der ersten Reihe, den seine Eltern "Mini-Playback-Show"-mäßig in ein Elvis-Superhelden-Kostüm gesteckt haben, oder dem Typen, der in der Pause Zettel verteilt, die ein Konzert von Bill Haleys Original-Band The Comets ankündigen, bei dem es freilich keinen Toten geben wird, der von der Leinwand winkt.

Doch darauf wird man nicht mehr lange warten müssen. Denn wie man hört, wollen die Promoter von "Elvis - The Concert" dasselbe Konzept für andere verstorbene Stars einsetzen. Machen wir uns also bereit für die Wiederauferstehung von Jim Morrison, Kurt Cobain, Bon Scott, Ian Curtis, Freddy Mercury, Frank Sinatra, Bob Marley, John Lennon und etlichen anderen, die schon so lange ungenutzt in der Grube liegen. Vielleicht sollte man gleich Coltrane und Karajan mitausgraben. Denn eins steht nun mal fest: So jung kommen wir nie wieder zusammen.