Sieg der Spielverderber

Rechtsextreme Hindu-Parteien in der indischen Regierung wollen Christen und Muslime weder im eigenen Land sehen noch mit ihnen Kricket spielen

Sie kamen nach Indien, um Kricket zu spielen. Aber dann beschäftigten sie ganz andere Fragen: "Können wir ohne Sicherheitsgenehmigung in die Disko gehen?" Oder: "Wie ist das Nachtleben in Delhi?"

Und sie waren ziemlich begeistert. "Ich wünschte, ich könnte öfter herkommen, denn ich fühle mich hier viel freier", erzählte ein Spieler des pakistanischen Kricketteams am Freitag vergangener Woche der Times of India. Aber so froh die Spieler waren, den in der Islamischen Republik geltenden Scharia-Gesetzen einmal zu entfliehen, so wenig waren sie in Indien willkommen.

Denn Kricket, erklärte der Hindu-Politiker und Adolf-Hitler-Verehrer Bal Thackerey, "spielt man nur mit seinen Freunden, nicht mit seinen Feinden. Und Pakistan ist unser Feind." - Weil es versuche, "unser Land zu unterwandern und zu spalten". Und deswegen gab sich Bal Thackerey, Vorsitzender und Mitbegründer der Hindupartei Shiv Sena, die größte Mühe, die für Ende Januar und Anfang Februar geplanten Testspiele der indischen Kricketmannschaft gegen die pakistanischen Gäste zu verhindern - "mit allen Mitteln", wie er die Anhänger seiner Shiv Sena aufforderte. Und die ließen sich allerhand einfallen: Protestdemonstrationen, Drohbriefe an die pakistanische Botschaft, Beschädigung von Kricket-Trophäen beim indischen Kricketverband. Und sie buddelten kurzerhand etliche Löcher in das Spielfeld in Neu-Delhi, auf dem die erste sportliche Begegnung der beiden verfeindeten Nachbarstaaten in Indien seit knapp zwölf Jahren stattfinden sollte. Anhänger anderer Hindu-Grüppchen protestierten gar mit Selbstverbrennungen gegen die islamischen Kricket-Gäste auf indischem Boden.

Dabei wären die Moralvorstellungen von Shiv Sena und anderen Hindu-Kombos mit denen der Männer aus dem islamistischen Pakistan durchaus kompatibel. Noch Mitte Januar demonstrierte die Gruppe von Thackeray vor dem Haus des Schauspielers Dilip Kumar in Neu-Delhi. Kumar hatte im indischen Kinofilm "Fire" mitgewirkt, in dem es um die Liebesbeziehung zwischen zwei unglücklichen verheirateten Frauen geht. Nach ihren eigenen Angaben stört das die rechtsextremen Moralwächter gar nicht so sehr - außer, daß die beiden Frauen Hindu-Namen tragen. Anlaß genug, im Dezember Kinos zu demolieren, um die Vorführungen von "Fire" zu verhindern. Gleichzeitig fordert die in den sechziger Jahren gegründete Shiv Sena strikte Bekleidungsvorschriften für Fernsehansagerinnen und den Boykott westlicher Produkte.

Überhaupt kommt nach Ansicht der fanatischen Hindus alles Böse aus dem Ausland - abgeleitet aus der Historie des etwa 960 Millionen Einwohner zählenden Landes: im Mittelalter die Invasion der Muslime aus Arabien, dann der europäische Kolonialismus. Die religiösen Minderheiten Indiens - Muslime und Christen - gelten ihnen vor diesem Hintergrund als äußere Feinde. Insbesondere die Muslime sind für die Hindus eher potentielle Agenten des pakistanischen Geheimdienstes Isi als indische Staatsangehörige. Deswegen protestierten die Männer von Shiv Sena auch gegen eine regelmäßige Busverbindung zwischen Pakistan und Indien, die es ab Februar geben soll: Die konspirative Arbeit des Isi würde dadurch begünstigt. Bisher ist wegen der Streitigkeiten um die Provinz Kaschmir im Norden Indiens der Grenzübertritt nur per Flugzeug möglich.

Die Partei von Thackeray, der am vergangenen Sonnabend 72 Jahre alt geworden ist, unterscheidet sich aber in ihrer Hetze gegen Muslime und Christen nur wenig von anderen rechtsextremen Hindu-Parteien. Die Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei - BJP), aus deren Reihen Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee kommt, versteht sich nicht ohne Grund relativ gut mit ihrem kleineren Koalitionspartner. Mit der Parole "Eine Nation, ein Volk, eine Kultur" war die rechtsextreme Partei in den Wahlkampf für die Parlamentswahl im vergangenen Februar gegangen. Denn auch die 1981 gegründete BJP versteht sich als Vertreterin der Hindutva-Ideologie und geht davon aus, daß allein Hindus Einwohner von Indien sein können.

Dabei bekennt sich die Regierungspartei offiziell zur "religösen Toleranz". In der seit März letzten Jahres bestehenden Koalitionsregierung hat die BJP neben Shiv Sena aber ausschließlich andere Parteien der "Sangh Hindu", der Hindu-Familie, um sich geschart. Die meisten von ihnen sind wie die BJP selbst aus der quasi-militärischen Organisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (Nationales Freiwilligenkorps - RSS) hervorgegangen und tragen die Gleichsetzung von Hindu-Religion und Nationen mit. Aus den Reihen der RSS kam auch der Mann, der im Mai 1991 den Premierminister Rajiv Gandhi ermordete.

Vajpayee gilt zwar als Vertreter des "liberalen" Flügels innerhalb der BJP und erklärte Anfang der neunziger Jahre, er trete für die "Förderung des sozialen Friedens" ein. Aber sein Parteifreund und Innenminister Lal Krishna Advani ist dafür umso mehr ein Eiferer im Sinne der Hindu-Vorherrschaft. Während er BJP anführte, wurde das nordindische Ayodhya zum religiösen Zentrum der Hindus erklärt, und im Dezember 1992 rief Advani zum Sturm Babri-Moschee in Ayodhya auf, um auf dem Gelände einen Tempel zu Ehren des Hindu-Gottes Ram zu errichten. Als er wenige Tage nach dem Niederbrennen der Moschee verhaftet wurde, wollte er mit der gewaltsamen Aktion gegen die Muslime nichts zu tun haben.

Ausgerechnet Advani, der im Dezember noch Verständnis für die Aktionen Shiv Senas gegen "Fire" äußerte, soll außerdem als Innenminister den Schutz der christlichen und islamischen Minderheiten garantieren. Seit Mitte Dezember hat es hauptsächlich in der westindischen Staat Gujarat verstärkt Angriffe auf Christen sowie deren Kirchen und Institutionen gegeben. Vajpayee gibt sich zwar empört, und auch die regionale BJP-geführte Regierung hat versprochen, gegen die dahintersteckenden "Kräfte" vorgehen zu wollen. Aber schließlich vermutet sie auch nicht die eigenen Gefolgsleute, sondern "ausländische Hände" hinter den Aktionen. Dabei hatte sie Ende Dezember ganz formal Hindugruppen Demonstrationen vor christlichen Einrichtungen gestattet, aus denen sich die Riots entwickelten. Nach einem Bericht der Times of India soll in Neu-Delhi außerdem ein Polizist den Spielverderbern der Shiv Sena gelassen zugesehen haben, als diese den Kricketrasen in einen Golfplatz umfunktionierten.

Und so treten die Hindu-Extremisten auch ganz selbstbewußt auf: Thackeray behauptete vergangene Woche in der Shiv-Sena-Zeitung Saamna, Vajpayee habe Advani zu ihm geschickt, um eine Ende der Attacken auf die pakistanischen Kricketprofis auszuhandeln. Und am Freitag erklärte der Hitler-Verehrer den "Kricketkrieg" für beendet und sich selbst zum Sieger über die BJP. Denn die Partei Vajpayees hatte zwar in der Öffentlichkeit Überlegungen angestellt, ob sie die Regierungskoalition auf nationaler und regionaler Ebene aufkündigen solle, bekräftigte dann aber Ende der letzten Woche ihre Allianz mit der Shiv Sena. Seit die BJP im November bei Regionalwahlen Stimmen eingebüßt hat, ist sie bemüht, sich durch ein extrem rechtes Profil hervorzutun.

Für Sonia Gandhi, die Präsidentin der oppositionellen Kongreßpartei und Witwe des 1991 ermordeten Premierministers, ist die BJP-Führung eine "Bande von Feiglingen", weil sie nichts gegen den Terror der Shiv Sena zu tun getraue. Großartige Alternativen hat Gandhi aber auch nicht zu bieten: Nur die Forderung nach einer Stärkung der zentralstaatlichen Macht des Präsidenten Kocheril Raman Narayanan und den Rückgriff auf ein identitär-nationalistisches - aber immerhin säkulares - Staatsverständnis. "Jeder patriotische und friedliebende Inder", forderte sie am vergangenen Freitag auf einer kurzen Kundgebung in Shirampur, müsse die "intoleranten Kräfte" bekämpfen, die an den Fundamenten der pluralistischen Republik Indien rütteln.