Kohle für Großrumänien

Nach heftigen Krawallen wurde der Marsch der Bergarbeiter auf Bukarest abgebrochen. Bis zum nächsten Mal

Aus früheren Tagen der Lohnverhandlungen in Deutschland ist ein Ritual bekannt: Die Streithähne beider Parteien stehen sich aufgeplustert gegenüber und erläutern, weshalb ihr jeweiliger Standpunkt der einzig richtige sei. Nach viel Lärm einigt man sich dann ungefähr auf halbem Weg zwischen Angebot und Forderung. Auf halbem Weg trafen sich im Streik der rumänischen Bergleute auch deren Vorsitzender Miron Cozma und Staatspräsident Emil Constantinescu. Und doch war alles ganz anders.

Noch bis Freitag vergangener Woche hatte es so ausgesehen, als würde die Lage völlig eskalieren. Der Innenminister war am Donnerstag zurückgetreten, der Staatspräsident drohte mit dem Ausnahmezustand. Die Zahl der streikenden Bergleute, die aus dem 350 Kilometer entfernten Jiu-Tal aufgebrochen waren, um gegen die geplante Schließung zweier Bergwerke und für eine 35prozentige Lohnerhöhung zu demonstrieren, war noch um einige Tausend Kumpel angewachsen, die nun auf halber Strecke zur Hauptstadt bei einem Kloster lagerten.

Der Staatspräsident erklärte die Angelegenheit zur Chefsache, denn auch eilig errichtete Straßensperren, Polizeieinheiten mit Tränengas und anrückende Panzer hatten den Marsch nicht aufhalten können. Noch kurz vor seinem Rücktritt hatte der Innenminister verkündet, sollte die Polizei nicht genügen, werde eben Militär eingesetzt. Dazu kam es nicht mehr. Nach wenigen Stunden Verhandlung war ein Kompromiß geschlossen worden. Innerhalb von 30 Tagen sollen die Gewerkschaftsführer und die Leiter der Zechen ein Programm zum Erhalt der Arbeitsplätze ausarbeiten.

Der von Präsident Constantinescu beauftragte Ministerpäsident Radu Vasile hatte keine andere Wahl, als selbst tätig zu werden. Denn sein Bergbauminister Berceanu hatte noch im Dezember verkündet, er habe "nicht die Absicht, in einen Dialog zu treten". Er plant die Schließung von insgesamt 140 der stark defizitären rumänischen Bergwerke. Rund 100 000 Bergleute sind bereits arbeitslos, für weitere Zehntausende hat Berceanu dieses Schicksal vorgesehen, der schlicht die Gewerkschaften für die Misere der Zechen verantwortlich macht.

Die angekündigte Schließung zweier Zechen im Jiu-Tal versetzte die Bergarbeiter endgültig in Rage. Am 12. Dezember wählten die dortigen Kumpel erneut Miron Cozma zu ihrem Vorsitzenden, der Konflikt war damit schon programmiert. Cozma, der Prototyp eines Demagogen, hatte gerade erst eine 18monatige Haftstrafe wegen Landfriedensbruch abgesessen. Im vergangenen Jahr hatte er sich der faschistischen und antisemitischen Partei Romania M‰re ("Partei Großrumäniens") angeschlossen, die durch ehemalige Offiziere der früheren Geheimpolizei des Ceaucescu-Regimes, der Securitate, geprägt ist. Kader der Romania M‰re beteiligten sich auch an dem Marsch der Bergleute auf Bukarest. Aus den Verbindungen Cozmas zur Securitate erklären sich Beobachter den Umstand, daß die Marschierenden sich immer wieder sehr gut informiert zeigten, wo die Kräfte des Innenministeriums sie erwarten würden. Und so gab es denn meisten der mehr als 100 Verletzten auch auf seiten der Beamten.

1990, nach dem Sturz des Ceaucescu-Regimes, hatte Cozma die Bergleute schon einmal nach Bukarest geführt. Damals allerdings stellte ihnen die Regierung keine Truppen entgegen, sondern Lastwagen zur Verfügung. Sie waren willkommen als inoffizielle Hilfstruppe der damaligen Machthaber gegen die Demokratiebewegung, die die vollständige Säuberung des Staatsapparates von Anhängern Ceaucescus forderte. Zahlreiche Führer insbesondere aus der Studentenschaft wurden brutal zusammengeknüppelt und landeten für Monate im Krankenhaus.

Heute sind viele der früheren Gegner vereint gegen die neue Regierung - und vereint im Antisemitismus. Allen voran die Romania M‰re des Senators Vadim Tudor, ehemals Mitarbeiter der Securitate und "Hofdichter" unter Ceaucescu (FAZ). Er ist für seine Hetze gegen Ungarn, Roma und Juden berüchtigt. Vor allen die Juden macht Tudor für den wirtschaftlichen Niedergang des Landes und die soziale Lage der Menschen im heutigen Rumänien verantwortlich.

Die nationalistische Politik Ceaucescus sei ein Garant der Stabilität gewesen, der Liberalismus habe die "Parasiten am Volk", die Juden, wieder nach oben gespült. Gemeinsam mit den ausländischen "Feinden des rumänischen Volkes", dem internationalen Finanzkapital, seien sie verantwortlich für Rumäniens Abstieg: Mit solchen Positionen erzielte Tudor bei den Präsidentschaftswahlen im November 1996 knapp fünf Prozent der Stimmen. Die Lage hat sich seither noch verschärft.

Doch auch die ehedem demokratische Studentenbewegung hat sich radikalisiert. So wurde aus Studentenkreisen der Anschluß Moldawiens gefordert. Der charismatische Studentenführer Marian Munteanu, 1990 ebenfalls ein Opfer der Bergleute, gründete 1991 die faschistische Gruppe Miscarea pentru Romania ("Bewegung für Rumänien"). In deren Organ, der Gazeta de Vest, wurden umgehend die "Protokolle der Weisen von Zion" nachgedruckt.

Viele seiner Anhänger - deren Hochburg die im Westen des Landes gelegene Stadt Timisoara ist, von der der Aufstand gegen Ceaucescu ausgegangen war - orientierten sich zunehmend am Gedankengut des schon legendären faschistischen Führers Corneliu Codreanu, der 1938 ermordet worden war. Codreanu predigte einen an der rumänischen Orthodoxie ausgerichteten Faschismus. Die Kämpfer seiner "Legion des Erzengels Michael" waren für soziale Hilfsprogramme in den ländlichen Gebieten ebenso verantwortlich wie für zahllose Mordaktionen am städtischen jüdischen Bürgertum. Pünktlich zum 60. Jahrestag von Codreanus Ermordung im vergangenen November wurde seine Organisation wiedergegründet. Mit den gleichen Zielen und identischen Feinden, aber mit einem neuen Namen: "Nationale Union für eine christliche Wiedergeburt".

Christlich heißt in diesem Fall zugleich antisemitisch. Hier treffen sich die ehemaligen Feinde Muntenau und Cozma wieder: für Arbeit und gegen die Juden, für ein Groß-Rumänien und gegen das internationale Finanzkapital, für die "werktätige Volksgemeinschaft" gegen die "Feinde des Volkes".

Die "Volksfeinde" in Bukarest haben jetzt vorläufig nachgegeben, die Bergleute ihren Marsch auf Bukarest abgebrochen. Doch unklar ist, wie Ministerpräsident Vasile die Zugeständnisse an die Kumpel erfüllen will. Denn Internationaler Währungsfonds und Weltbank haben dem hochverschuldeten rumänischen Staat ein radikales Sparprogramm verordnet.

Der EU-Rat hat mittlerweile deutlich gemacht, die rumänische Regierung in dem "schwierigen Übergangsprozeß" zur Marktwirtschaft unterstützen zu wollen. Es sei klar, daß Bukarest dazu weiterhin Entscheidungen treffen müsse, die "schmerzhaft für die Bevölkerung" seien. Und so könnte sich Cozma bald wieder berufen fühlen, gegen die internationale Finanzverschwörung und die Regierung nach Bukarest zu marschieren.