Blockaden, Streiks und leere Klassen

Die griechischen Schulen werden neu besetzt, der Staatspräsident entdeckt bereits eine "nationale Krise"

"Das Problem der Schulbesetzungen wird sich in den Weihnachtsferien von allein erledigen", hatte Bildungsminister Gersimos Arsenis noch Ende letzten Jahres erklärt. Damals waren rund 1 400 Schulen in ganz Griechenland besetzt. Am 9. Januar, dem ersten Schultag des neuen Jahres, waren es nur noch 200. Doch die Hoffnung von Arsenis zerschlug sich schon nach wenigen Tagen: Die Schulen wurden erneut besetzt, vergangene Woche waren bereits in 620 Schulen die Eingänge verbarrikadiert. In weiteren 130 Schulen wird der Unterricht boykottiert.

Während der Besetzungen kam es in vielen Städten zu tumultartigen Szenen. BesetzerInnen und unterstützende Eltern einerseits und Lehrer und Eltern, die den Streik ablehnen, andererseits, gingen teilweise mit Holzlatten aufeinander los. Die Lage schien völlig zu eskalieren, als Arsenis damit drohte, an vielen Schulen das komplette Schuljahr wiederholen zu lassen.

Einige Eltern versuchten daraufhin, ihre Kinder an Privatschulen anzumelden, was nach Aussage des "Koordinierungskomitees der besetzten Schulen" den "Klassencharakter der Auseinandersetzungen und des neuen Bildungsgesetzes" verdeutliche: "Statt gemeinsam für gleiche Bildungschancen zu kämpfen, schickten die, die es sich leisten können, ihre Kinder auf Privatschulen."

Der Anlaß des Konflikts, die Reform des Bildungsgesetzes, sieht unter anderem eine Verschärfung der Zulassungsvoraussetzungen für die Universität vor. Während bisher eine landesweite Aufnahmeprüfung absolviert werden mußte, sollen nach der neuen Regelung ähnlich wie in Deutschland die Leistungen während der gesamten Oberstufe über die Universitätszulassung entscheiden. Dadurch würde sich nicht nur die Zahl der Prüfungen in den letzten beiden Schuljahren stark erhöhen; von der Reform würden insbesondere die frontistirias (Privatschulen) profitieren, die für die meisten Schüler zur Prüfungsvorbereitung unumgänglich sind. (Jungle World, Nr. 51/98). Schon jetzt bieten diese Schulen passend zur Bildungsreform neue und teurere Kurse an.

Die teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen nahm der Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Nea Demokratia (ND), Kostas Karamanlis, zum Anlaß, um in der zweiten Januarwoche einen Mißtrauensantrag gegen Arsenis einzubringen. Die ansonsten zerstrittene sozialdemokratische Regierungspartei Pasok stimmte gegen den Antrag; mit deutlicher Mehrheit wurde Arsenis im Amt bestätigt.

Der Höhepunkt der turbulenten Woche erfolgte allerdings erst kurz nach dem gescheiterten Mißtrauensantrag: Über 30 000 Personen beteiligten sich am 15. Januar in Athen an der bis dahin größten Demonstration gegen die Bildungsreform. Immer wieder kam es dabei zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen wurde. Zu ähnlichen Auseinandersetzungen kam es auch in den meisten anderen Städten. Insgesamt beteiligten sich zwischen 120 000 und 160 000 Menschen an den Demonstrationen.

Während Ministerpräsident Kostas Simitis die Oppositionsparteien, insbesondere die Jugendorganisation der KP Griechenlands, KKE, für die "Ausschreitungen" verantwortlich machte, sieht die KKE wiederum "staatliche Provokateure" am Werk, die den "Kampf der Schüler diskreditieren" wollen. Auch Staatspräsident Konstantinos Stefanopoulos schaltete sich erstmals in den Konflikt ein und erklärte: "Der Aufruhr im Bildungswesen nimmt Ausmaße einer nationalen Krise an. Wir alle akzeptieren, daß Reformen im Bildungsbereich nötig sind. Jetzt aber, wo sich die Sache so entwickelt hat, ist es nötig, die Reformen noch einmal zu prüfen."

Da die Regierung dazu bisher keine Absichten erkennen läßt, riefen die "Schülerinitiativen" zu "flexiblen Straßenblockaden" auf, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: Rücknahme des Gesetzes, kleinere Klassen und 15 Prozent des Staatshaushaltes für den Bildungsbereich. Seit Beginn vergangener Woche blockieren daher Tausende Schüler täglich die Verkehrsknotenpunkte in den Städten, was oft zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit entnervten Autofahrern führt. Auf Rhodos und Athen wurden zwei SchülerInnen verletzt, als Autofahrer die Blockade durchbrachen.

Arsenis versucht unterdessen, die Lehrergewerkschaft OLME mit kleinen Zugeständnissen auf seine Seite zu ziehen - und ließ gleichzeitig keinen Zweifel daran erkennen, daß die Reform umgesetzt werden müßte. Über die Art und Weise könne zwar noch verhandelt werden, allerdings erst, wenn die Schulbesetzungen beendet seien. Die OLME ließ sich bisher auf die Angebote von Arsenis nicht ein, sondern rief im Gegenteil zu zwei ganztägigen Streiks für Ende Januar auf.

Auch Ende vergangener Woche kam es wieder zu Demonstrationen in allen Städten des Landes. In Athen griffen dabei rund 1 000 teilweise behelmte Demonstranten die Sondereinheiten der Polizei an und lieferten sich mit den Ordnungshütern eine dreistündige Straßenschlacht. Die Sprecher des "Koordinierungskomitees" betonten nach den Demonstrationen, daß die Mobilisierung und die Straßenblockaden ohne Einschränkungen fortgesetzt würden.