Kabbah und Hiebe

Nur durch die Unterstützung Nigerias kann sich der Präsident Sierra Leones als Sieger über die Rebellen präsentieren

Die Leichen auf den Straßen Freetowns sind weggeräumt, der Präsident und seine Unterstützer präsentieren sich in der Hauptstadt Sierra Leones als Sieger. Es war die dritte bewaffnete Auseinandersetzung innerhalb von nur einem Jahr. Nach Berichten von Augenzeugen sind die Universität, das zentrale Krankenhaus, das Rathaus und weite Teile des Hafens abgebrannt - in Brand gesteckt offenbar von sich zurückziehenden Einheiten der Vereinigten Revolutionären Front (Ruf), die am 6. Januar in die Offensive gegangen waren.

Seit Mitte der vergangenen Woche vermitteln die Uno sowie die westafrikanischen Staaten Togo, Guinea und die C(tm)te d'Ivoire zwischen Ahmed Tejan Kabbah, dem Präsidenten Sierra Leones, und dem inhaftierten und zum Tode verurteilten Ruf-Chef Foday Sankoh. Die Ruf kündigte an, ab Montag dieser Woche die Waffen schweigen zu lassen - unter einer Bedingung: Sollte Sankoh nicht innerhalb einer Woche freigelassen werden, würde weiter gekämpft.

Das Geschehen in Sierra Leone ist eng mit dem südöstlichen Nachbarland Liberia verknüpft. Im März 1991 griffen die Rebellen unter Charles Taylor Sierra Leone an, weil das Land angeblich Einheiten des von den Rebellen getöteten Militärmachthabers Samuel Doe Schutz gewährte. Dabei brachten sie die vom ehemaligen Unteroffizier Sankoh geführte Ruf mit. Gefördert wurden diese - wie Taylor - von einer "anti-nigerianischen" Koalition, bestehend aus Libyen, Burkina Faso und der C(tm)te d'Ivoire. Die Regionalmacht Nigeria galt damals als Erfüllungsgehilfin US-amerikanischer Politik in Westafrika.

Die Ruf eroberte weite Teile im Osten Sierra Leones, darunter ein Gebiet, wo Diamanten gefördert werden. Fast die Hälfte der Exporteinnahmen des Landes, das etwa so groß wie Bayern ist, werden durch den Diamantenverkauf erzielt. Dadurch geriet die Zivilregierung unter Präsident Joseph Saidu Momoh unter Druck und wurde im April 1992 weggeputscht. Kabbah gab damals seine Position als Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms in New York auf, um sich als Chef eines Beirates, der eine neue Verfassung ausarbeiten und den Übergang zu einer Zivilregierung organisieren sollte, an der Junta zu beteiligen.

Im Januar 1996 putschte das Militär erneut, der 27jährige Hauptmann Valentine Strasser wurde durch seinen Stellvertreter Kabbah ersetzt. Und im Gegensatz zu Liberia, wo die Warlords erst eine gemeinsame Regierung gebildet hatten und ihre Milizen entwaffneten, setzte Kabbah innerhalb von sechs Wochen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Die Stichwahl gewann er mit 59 Prozent, seine Partei erhielt aber nur 27 von 80 Sitzen im Parlament.

Rund ein Drittel der 4,5 Millionen Sierra Leoner waren Kriegsflüchtlinge und konnten deswegen nicht ihre Stimme abgeben. Aber Kabbah wußte die von den Kriegshandlungen nicht ganz so stark betroffene Bevölkerungsgruppe der Mende hinter sich und setzte von Beginn an auf die Ethnokarte: Statt der Armee stützte er sich auf die Kamajors, die Mende-Miliz. Unterstützung erhielt er dabei unter anderem vom britischen Außenministerium, das trotz eines UN-Waffenembargos die Kamajors mit Waffen versorgte. Denn sowohl den Rebellen Taylors wie der Ruf steht man in den USA und Großbritannien eher mißtrauisch gegenüber.

Zwar schreibt der Chef einer westlichen Hilfsorganisation in einem Zeitungsartikel, die Ruf-Rebellen seien in Sierra Leone "unbeliebt". In der Tat haben sie in den vergangenen Monaten eine Terrorkampagne gestartet, haben wahllos Bauern verstümmelt oder umgebracht. Zugleich stellte aber ein durch den Norden Sierra Leones reisender Journalist der BBC verstört fest, daß die Haltung der Bevölkerung der Ruf gegenüber außerhalb der Mende-Gebiete durchaus ambivalent war - denn durch Kabbahs tribalistische Politik kann die Ruf auf die potentielle Unterstützung der anderen Bevölkerungsgruppen hoffen.

Die Ruf setzt vor allem auf das Ressentiment der Landbevölkerung gegen die Hauptstadtbewohner. Denn in Sierra Leone wie in Liberia nehmen die Kreolen, Nachkommen freigelassener Sklaven, eine dominante Stellung in Wirtschaft und Politik ein. Die Ruf verbindet dieses Ressentiment mit sozial-revolutionärer Rhetorik. Die Bauern sollten nicht mehr ausgeplündert werden, "um die Gier und die Launen der Freetown-Elite zu nähren", hieß es in einem Manifest der Rebellen. Im Sommer folgte sie aber dem Beispiel Taylors und räumte ein, "verbrannt, geplündert, verstümmelt und getötet" zu haben. Ruf-Leute besuchten Kirchen, Moscheen und öffentliche Versammlungen und baten um Vergebung. So will man den Erfolg Taylors kopieren: Der brutale und zynische Warlord gewann im Mai 1997 nach einer öffentlichen Entschuldigung für seine Metzeleien die Wahlen in Liberia deutlich.

Daß die Ruf mit ihrer Offensive überhaupt wieder in die Hauptstadt vordringen konnte, ist eine schwere politische Niederlage für Präsident Kabbah. Dabei hatte er gehofft, die Ruf sei besiegt.

Die Verschlechterung der US-amerikanisch-nigerianischen Beziehungen infolge der 1993 von General Sani Abacha annullierten Präsidentschaftswahl in Nigeria, aus der eine zivile Regierung hervorgehen sollte, hatte eine Annäherung von Frankreich und Nigeria - den einstigen Erzrivalen um die Vormacht in Westafrika - möglich gemacht, die auch Sierra Leone betraf: Frankreich übte Druck auf die C(tm)te d'Ivoire und Burkina Faso aus, die beiden Rebellenführer Taylor und Sankoh fallenzulassen.

Im November 1996 schloß der geschwächte Sankoh daher ein Friedensabkommen mit Kabbah. Die Ruf sollte in eine politische Partei umgewandelt und ihre Kämpfer in die Armee integriert werden. Die Umsetzung des Abkommens wurde von Kabbah jedoch immer wieder hinausgezögert. Von seinen Freunden in Abidjan und Ouagadougou offensichtlich falsch informiert, flog Sankoh nach Nigeria, um die dortige Junta zu bitten, Druck auf Kabbah auszuüben. Er wurde festgenommen und später an Sierra Leone ausgeliefert.

Im Mai 1997 wurde Kabbah jedoch - beim dritten Putschversuch - gestürzt. Die Junta arbeitete mit der Ruf zusammen. Ihnen gegenüber stand die "Beobachtende Gruppe der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten" (Ecomog), die fast ausschließlich aus nigerianischen Soldaten besteht. Für Nigeria ging es vor allem darum, seinen Status als Regionalmacht in Westafrika zu festigen: Und so marschierte die Ecomog im Februar vergangenen Jahres von Liberia aus nach Freetown und setzte Kabbah wieder ein. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die nach eigenen Angaben auf 19 000 Soldaten aufgestockte Ecomog die Ruf aus dem ganzen Land vertrieben hätte.

Kabbah und seine wiedereingesetzte Regierung begannen trotz internationaler Proteste mit der Abstrafung der mutmaßlichen Verantwortlichen des Putsches und ihrer Mitarbeiter. In rechtlich fragwürdigen Prozessen - die gesetzliche Grundlage dafür erließ man erst nachträglich - wurden 38 Militärs und 16 hohe Beamte zum Tode verurteilt. 24 von ihnen wurden ohne Aufschub von einem nigerianischen Erschießungskommando hingerichtet. Einige der Junta-Mitarbeiter wurden wegen "Verrates" und "Zusammenarbeit mit einer Militärregierung" hingerichtet - Vergehen, die Kabbah von 1992 bis 1996 selbst begangen hatte. Seine Kamajor-Miliz, die nachweislich Menschenrechtsverletzungen begangen hatte, wurde ebenfalls nicht zur Rechenschaft gezogen.

Aber nach der Ruf-Offensive scheint Kabbah nun doch die diplomatische Ebene vorzuziehen: "Bisher dachte der Präsident, daß die Rebellen vor Gericht gestellt werden sollten", meinte Lansana Kouyate, der Generalsekretär der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten in der vergangenen Woche. "Jetzt gibt er zu, daß es eine politische Lösung geben muß."