Eine Frage der Religion

Der islamische Religionsunterricht trägt dazu bei, daß Migranten Migranten bleiben.

Der Berliner Senat hat bereits einen passenden Partner gefunden: Die Islamische Föderation darf in der Hauptstadt Religionsunterricht erteilen. Bisher hatten nur Kirchen und der Zentralrat der Juden diesen Status inne, da der Islam eine Religion ohne religiöse Autorität ist, also keinen Ansprechpartner für staatliche Stellen hat, der die religiöse Lehre verbindlich für alle Angehörigen der Religionsgemeinschaft auslegt.

Die Islamische Föderation ist eine Dachorganisation von 25 islamischen Vereinen und spiegelt damit eher die Zersplitterung der islamischen Gemeinden wider, als daß sie eine Gemeindeorganisation darstellte. Die Föderation muß jedoch einen einheitlichen deutschsprachigen Lehrplan erstellen, der auch auf die Verfassungsloyalität überprüft wird. Daß es personelle Verbindungen der Islamischen Föderation zu Milli Görüs gibt, ist jedoch bereits bekannt, was Grund genug sein müßte, das Berliner Modell zu kippen. Tritt die rechtsradikale und antisemitische Organisation Milli Görüs doch eher für die Umsetzung der Scharia und des Figh (des islamischen Rechtes) ein als für die von der Union beschworene Toleranzkultur.

Muß bald der Verfassungsschutz im Klassenzimmer mithören, um Lehrer, die von Milli Görüs gestellt werden, zu kontrollieren? Manche meinen, der Einfluß von Milli Görüs werde überschätzt, die Gruppierung sei zu ignorieren, denn die Hauptsache sei, daß 32 000 muslimischen Kindern in öffentlichen Schulen ein anderes Verständnis des Islam vermittelt werden könne als jenes, das in den Koranschulen mancher militanter islamischer Organisationen gepredigt wird.

Selbst der Christdemokrat Jürgen Rüttgers ist für die Einführung des staatlichen Islam-Unterrichts, obwohl er gegen die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts votiert. Die rechtliche Gleichstellung soll verhindert werden, zum Trost gibt's Religion. Das ist absurd. Denn einerseits wird das Horrorszenario von "Parallelgesellschaften" beschworen, andererseits sollen diese in Schulen gefördert werden.

Bereits seit 1986 wird der islamische Religionsunterricht in Bayern praktiziert, wo 800 türkische und arabische Lehrer 10 000 muslimische Schüler an staatlichen Schulen in ihrer "Muttersprache" unterrichten. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, daß die Bayern deshalb einen Toleranzschub erfahren hätten. Wie denn auch, wenn schon in der Schule die Separation praktiziert wird? Während die einen SchülerInnen katholische oder evangelische Religionslehre erhalten, werden die "anderen" islamisch unterwiesen.

Wird der Ghetto-Islam verhindert, indem lediglich islamische Religionsgemeinschaften rechtlich anerkannt werden, wie auch Innenminister Schily es fordert? Die Einführung des Islamunterrichts an deutschen Schulen kann Toleranz nicht fördern, vielmehr werden religiöse und nationale Identitäten gestärkt, die dann doch als fremde Kulturen identifiziert, am Ende als Beleg der Nichtintegration herhalten müssen.

Das Problem ist nicht nur, daß es in absehbarer Zeit noch keine Lehrstühle für die Ausbildung von Islam-Lehrern gibt, die den Islam für die Migranten auslegen könnten. Dialog kann nur im Rahmen einer interkulturellen - und das heißt auch: interreligiösen Erziehung - in der Schule gelehrt werden.

Richtiger wäre es, die religiöse Überzeugungsarbeit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu überlassen und es der privaten Entscheidung jedes einzelnen anheimzustellen, ob er oder sie am Konfirmations-, Kommunions- oder Koranunterricht teilnehmen will.

Es ist verblüffend, daß ausgerechnet die Vertreter der Kirche und des Staates, die die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen begrüßen, kategorisch "Nein" zu einer Unterrichtsform sagen, die die Geschichte und Inhalte aller Religionen gemeinsam lehren soll. Feststeht: Mehr Perspektiven für die Anfangsphase bietet das Hamburger Modell "Religionsunterricht für alle", das von der evangelischen Kirche in eigener Regie organisiert wird. Man wird nicht umhinkommen, Lehrer an deutschen Universitäten auszubilden, die sich zusätzlich zur Religionsgeschichte auch mit atheistisch-humanistischem Gedankengut befassen, gerade in Zeiten, wo christliche wie islamische Fundamentalisten zu Gewalt, Aggression und Intoleranz aufrufen.

Das Ziel der Schule im säkularen Staat kann nur sein, über Hintergründe aller Religionen und demokratischen Weltanschauungen zu unterrichten. Nur ein gemeinsames Lernen kann ein Verständnis für interkulturellen und interreligiösen Dialog fördern. Die Wahl der Glaubensrichtung bleibt dann tatsächlich ein verbrieftes privates Recht.