Gift für die Ärzte

Die Gesundheitspolitik der grünen Ministerin Fischer bringt nicht nur den Sozialdemokraten Dreßler auf die Palme

Sechzehn Jahre hatte Rudolf Dreßler in der Opposition auf diesen Augenblick gewartet: Endlich - nach bescheidenen sieben Monaten als Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeitsministerium der sozialliberalen Koalition 1982 - wollte der SPD-Sozialexperte wieder einen Regierungsposten übernehmen.

Und dann das: Als die rot-grüne Koalition sich im Oktober dieses Jahres daran machte, die Plätze am Kabinettstisch neu zu verteilen, ging Dreßler gleich doppelt leer aus. Nachfolger von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) wurde nicht etwa sein Kritiker aus der sozialdemokratischen Bundestagsopposition - die Sozialdemokraten entschieden sich statt dessen für den stellvertretenden IG-Metall-Chef Walter Riester. Dafür, daß auch das zweite auf Dreßler zugeschnittene Regierungsamt nicht an den Renten- und Gesundheitsfachmann ging, sorgte die rot-grüne Koalitionsarithmetik: Den Chefposten im Gesundheitsministerium erhielt die Grüne Andrea Fischer.

Seine anschließende Degradierung zum Gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion mag erklären, warum Dreßler am ersten Werk der neuen Ministerin, dem Vorschaltgesetz, kein gutes Haar ließ: Das von Fischer vorgelegte Gesundheitsgesetz, so Dreßler in der vergangenen Woche, entspreche nicht der Koalitionsvereinbarung, die einseitige Belastung der Versicherten abzubauen und die Beitragskosten zu den gesetzlichen Krankenkassen stabil zu halten.

Dabei hatte es sich bei dem Gesetz zunächst um nicht viel mehr als die Einlösung einiger sozialdemokratischer Wahlkampfversprechen gehandelt: So wird das Krankenhausnotopfer in Höhe von 20 Mark für 1998 und 1999 nicht mehr eingezogen, Zahnersatz gibt es künftig auch für nach 1978 Geborene wieder als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Stimmt auch der SPD-dominierte Bundesrat dem Gesetz zu, nimmt es darüber hinaus die von der alten Regierung beschlossene Erhöhung von Zuzahlungen bei psychotherapeutischen Behandlungen zurück.

Was für Arbeitsminister Riester ein "Tag der Freude" war, brachte Dreßler jedoch nur weiter gegen seine grüne Konkurrentin auf: Die nun verabschiedeten Neuregelungen würden eben nicht zu den von Fischer behaupteten Kosteneinsparungen in Höhe von einer Milliarde Mark führen, sondern - im Gegenteil - die Ausgaben für Arzneimittel nur weiter erhöhen. Unterstützung für seine Position erhielt er dabei vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen: Mit der beschlossenen Budgetierung erhöhe sich die Belastung der Kassen, das Gesundheitsministerium habe für seine Berechnungen falsche Bemessungsgrundlagen herangezogen.

"Handwerkliche Fehler" warf auch Dreßler dem Ministerium vor. Statt die angestrebte Kostensenkung von maximal einer Milliarde Mark zu erreichen, sorge das "Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung" nun für Mehrausgaben in derselben Höhe. Die Ministerin müsse das als Vorstufe zur Gesundheitsreform konzipierte Gesetz deshalb schon Anfang nächsten Jahres korrigieren - jetzt noch "zu erklären, wir haben keinen Fehler gemacht, wäre lächerlich".

Dabei hatten Dreßlers SPD-Kollegen im Gesundheitsausschuß - selbst dort wollte ihn die Fraktionsspitze nicht mehr vertreten sehen - dem Gesetzentwurf im Vorfeld der Bundestagsabstimmung selbst zugestimmt, Dreßler war an den Beratungen beteiligt. Doch nach den Querschüssen gegen die grüne Ministerin hielt ihm auch sein Chef nicht mehr den Rücken frei: Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Peter Struck, sicherte Fischer zu, daß es beim gegenwärtigen Stand des Gesetzes bleiben werde.

Neben der Arzneimittel-Budgetierung streiten sich Fischer und Dreßler vor allem um die gesetzliche Begrenzung der Arzthonorare. So hatten SPD und Grüne vereinbart, die Vergütung der niedergelassenen Mediziner im Osten wegen ihrer geringeren Einnahmen großzügiger zu behandeln als die ihrer Kollegen im Westen. Dies sollte durch einen "Bonus" aus dem Gesamhaushalt der Krankenkassen finanziert werden. Weil dieser "Bonus" jedoch "schlicht vergessen" worden sei, so Dreßler, müsse die Finanzierung nun vor allem von den Ärzten in den alten Bundesländern getragen werden.

Ob Ost, ob West - die Front der Mediziner gegen das neue Gesetz jedenfalls steht: Aus Protest gegen die von der Regierungsmehrheit beschlossene "Honorardeckelung" - die 110 000 niedergelassenen Kassenärzte müssen sich für 1999 mit einem Honorarzuwachs von 1,2 Milliarden Mark bescheiden - haben sie für Freitag bundesweite Praxisschließungen angekündigt. Die Begründung lieferte am Wochenende Bundesärztekammer- Chef Karsten Vilmar: Wenn die Politik die Ausgaben begrenze, werde dies "zwangsläufig dazu führen, daß die Menschen früher sterben". "Dann", so der Cheflobbyist der deutschen Ärzte, "müssen die Patienten mit weniger Leistung zufrieden sein, und wir müssen insgesamt überlegen, ob diese Zählebigkeit anhalten kann oder ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen." Wenn es denn dem Arbeitsplatzerhalt der Mediziner dient.